6.02.2004

Formierung im Vakuum

Zur Bürgerschaftswahl in Hamburg konstituiert sich eine linke Wahlalternative

In Hamburg ist Wahlkampf und damit die Hochzeit der Kaffeesatz- leserei: Schafft Schill wieder den Sprung in die Bürgerschaft? Was wird aus den regierenden Rechtspopulisten? Und vor allem: Wer mit wem und wie viel? Was hingegen unterbelichtet bleibt, sind die Formierungsversuche auf der Linken, jenseits von SPD und Grünen.

Die Neuwahlen in Hamburg treffen alle politischen Formationen unvorbereitet, für die Linke kommen sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Links von den Grünen fristen alle Organisationen ein frustrierendes Schattendasein. DKP, SAV, Linksruck kommen nicht über einen Sektenstatus hinaus, und auch PDS und die links-alternative WählerInnenvereinigung REGENBOGEN sind im politischen Geschehen der Stadt praktisch nicht existent. Dabei hat sich der REGENBOGEN nach den Wahlen 2001 praktisch in die unterschiedlichen sozialen Bewegungen aufgelöst.

Diese wiederum unterliegen teilweise dramatischen und unberechenbaren konjunkturellen Schwankungen. Einem breiten und massenhaften Sozialprotest im ersten Halbjahr 2002 folgten ein trüber Sommer und Herbst, bevor im Winter 2002 mit den Bambule- Auseinandersetzungen wieder eine Phase der permanenten Massendemonstrationen einsetzte. Das Jahr 2003 war eines ohne Höhepunkte, aber mit unterschiedlichen und leider in der Regel unkoordinierten Protestaktivitäten, vor allem im Kita- und Bildungsbereich. Die jetzige Neuwahl fällt somit in eine Zeit, in der mühselige und zaghafte Versuche für eine kontinuierliche und dauerhafte Vernetzung von unten gestartet werden, von einer breiten und lebendigen sozialen Bewegung als politisch relevanter Kraft in Hamburg aber (noch) nicht gesprochen werden kann.

Für die Linke stellt sich mit den jetzigen Neuwahlen ein nahezu tragisches Dilemma. Einerseits gibt es das berechtigte und taktisch auch richtige Bedürfnis, sich in den Wahlkampf einzuschalten und vor allem gegen die Ideologie von der Unausweichlichkeit der Agenda 2010 in Hamburg wie Berlin eine Protestwahlalternative aufzubauen. Die Aussicht, gegen CDU, FDP und Schill nur SPD und Grüne wählen zu können, ist für viele eine erschreckende Aussicht. Zu deutlich ist es geworden, daß die Parteien der politischen Klasse allesamt an einem gemeinsamen Verarmungs- und Repressionsprogramm stricken.

Andererseits kann eine linke Wahlalternative in Hamburg zur Zeit nur von den verblieben Organisationen getragen werden. Das spült allerdings genau die Sekten nach oben, die erstens faktisch politisch bedeutungslos sind und die zweitens auch Organisations- und Politikmodelle repräsentieren, die strategisch überholt sind. Das Gewicht, das politisch irrelevante Gruppierungen wie DKP oder SAV in den momentanen Formierungsprozessen bekommen, ist somit auch ein unmittelbarer Reflex auf eine organisatorische wie personelle Schwäche der sozialen Bewegungen und Basisorganismen. Der Hamburger Prozess hat somit vieles von einer Übergangssituation, in der auf alte Strukturen zurückgegriffen werden muß, weil neue (noch) nicht existieren.

Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel und angesichts der formaljuristischen Bedingungen für die Wahlanmeldungen war es von Anfang an klar, daß eine realistische linke Wahloption nur den Namen REGENBOGEN oder PDS haben konnte. Ebenfalls klar war es, daß eine solche Wahloption eine offene Angelegenheit sein muß und nicht von irgendjemandem durchgezockt werden kann. Dabei ist eine nennenswerte Attraktivität und Ausstrahlungskraft in Hamburg - gerade auch auf nicht organisierte und Bewegungslinke - nur mit dem REGENBOGEN verbunden. Dies ist auch auf einer großen öffentlichen Versammlung am 18.12.2003 sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, wo 200 bis 300 Menschen öffentlich über die Frage einer linken Wahloption in Hamburg diskutierten. Doch auf dieser Versammlung wurde auch klar, daß die Formierung einer solchen Wahloption vor allem von den taktischen und strategischen Interessen der genannten Organisationen bestimmt sein würde: Für DKP und SAV kommt eine Kandidatur unter einem PDS-Label aus einem rein organisationspolitischen Kalkül heraus prinzipiell nicht in Frage. Die PDS ihrerseits befindet sich in Hamburg in einem Erneuerungsprozess und schwankt zwischen Bewegungsoffenheit und organisatorischer Profilierung. Während sie auf Bürgerschafts- ebene eine offene REGENBOGEN-Liste akzeptiert und unterstützt, setzt sie in einzelnen Bezirken auf eigenes "Flaggezeigen", teilweise auf sehr rigorose Weise und ohne Rücksicht auf tatsächliche Stimmungen und Wahlchancen.

Mühselige Suchprozesse

Bei allen Schwierigkeiten und aller Skepsis vollzieht sich der innerlinke Diskussionsprozess in einer bemerkenswerten Offenheit. Programmatik, Listenbesetzungen etcetra werden so transparent wie möglich ausgehandelt, der großen Versammlung am 18.12. folgte eine ebenso gut besuchte am 8.1., und es wird weitere geben. Aus diesen Versammlungen heraus hat sich ein "20er Kreis" konstituiert, in dem die weiteren organisatorischen Diskussionen geführt und Aktivitäten koordiniert werden. Neben REGENBOGEN, PDS, DKP, SAV und Linksruck sind auch unorganisierter Linke in diesem Kreis vertreten. Der Diskussionsprozess ist teilweise extrem mühselig und nervenaufreibend, aber er steht unter einem gewissen Einigungsdruck. In wenigen Tagen ist ein erster "Programm"entwurf weitgehend konsensual erarbeitet worden.

Im Moment spricht vieles dafür, daß eine offene Bürgerschaftsliste unter dem Namen REGENBOGEN antreten wird. Ob und wie weit diese Liste eine Ausstrahlungskraft entwickeln kann, wird vor allem davon abhängen, wie weit die OrganisationsvertreterInnen ihre Repräsentationsansprüche zurücknehmen und in wie weit RepräsentantInnen unterschiedlicher "Szenen" und Bewegungsansätze bereit sind, auf einer solchen Liste zu kandidieren.

 

dk

Nachveröffentl. aus: ak 480 vom 16.01.04
ak - analyse + kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
www.akweb.de

 

Anmerkung:
Siehe unseren Artikel
    'REGENBOGEN Hamburg
        tritt zur Bürgerschaftswahl an' v. 1.02.04

 

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