Zur Bürgerschaftswahl in Hamburg konstituiert sich eine linke Wahlalternative
In Hamburg ist Wahlkampf und damit die Hochzeit der Kaffeesatz- leserei:
Schafft Schill wieder den Sprung in die Bürgerschaft? Was wird aus den
regierenden Rechtspopulisten? Und vor allem: Wer mit wem und wie viel?
Was hingegen unterbelichtet bleibt, sind die Formierungsversuche auf der
Linken, jenseits von SPD und Grünen.
Die Neuwahlen in Hamburg treffen alle politischen Formationen
unvorbereitet, für die Linke kommen sie zu einem denkbar ungünstigen
Zeitpunkt. Links von den Grünen fristen alle Organisationen ein
frustrierendes Schattendasein. DKP, SAV, Linksruck kommen nicht über
einen Sektenstatus hinaus, und auch PDS und die links-alternative
WählerInnenvereinigung REGENBOGEN sind im politischen Geschehen der
Stadt praktisch nicht existent. Dabei hat sich der REGENBOGEN nach den
Wahlen 2001 praktisch in die unterschiedlichen sozialen Bewegungen aufgelöst.
Diese wiederum unterliegen teilweise dramatischen und
unberechenbaren konjunkturellen Schwankungen. Einem breiten und
massenhaften Sozialprotest im ersten Halbjahr 2002 folgten ein trüber
Sommer und Herbst, bevor im Winter 2002 mit den
Bambule- Auseinandersetzungen wieder eine Phase der permanenten
Massendemonstrationen einsetzte. Das Jahr 2003 war eines ohne
Höhepunkte, aber mit unterschiedlichen und leider in der Regel unkoordinierten
Protestaktivitäten, vor allem im Kita- und Bildungsbereich. Die jetzige
Neuwahl fällt somit in eine Zeit, in der mühselige und zaghafte Versuche
für eine kontinuierliche und dauerhafte Vernetzung von unten gestartet
werden, von einer breiten und lebendigen sozialen Bewegung als politisch
relevanter Kraft in Hamburg aber (noch) nicht gesprochen werden kann.
Für die Linke stellt sich mit den jetzigen Neuwahlen ein nahezu
tragisches Dilemma. Einerseits gibt es das berechtigte und taktisch auch
richtige Bedürfnis, sich in den Wahlkampf einzuschalten und vor allem
gegen die Ideologie von der Unausweichlichkeit der Agenda 2010 in
Hamburg wie Berlin eine Protestwahlalternative aufzubauen. Die Aussicht,
gegen CDU, FDP und Schill nur SPD und Grüne wählen zu können, ist für
viele eine erschreckende Aussicht. Zu deutlich ist es geworden, daß die
Parteien der politischen Klasse allesamt an einem gemeinsamen
Verarmungs- und Repressionsprogramm stricken.
Andererseits kann eine linke Wahlalternative in Hamburg zur Zeit nur
von den verblieben Organisationen getragen werden. Das spült allerdings
genau die Sekten nach oben, die erstens faktisch politisch bedeutungslos
sind und die zweitens auch Organisations- und Politikmodelle
repräsentieren, die strategisch überholt sind. Das Gewicht, das
politisch irrelevante Gruppierungen wie DKP oder SAV in den momentanen
Formierungsprozessen bekommen, ist somit auch ein unmittelbarer Reflex
auf eine organisatorische wie personelle Schwäche der sozialen
Bewegungen und Basisorganismen. Der Hamburger Prozess hat somit vieles
von einer Übergangssituation, in der auf alte Strukturen zurückgegriffen
werden muß, weil neue (noch) nicht existieren.
Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit über die Weihnachtsfeiertage
und den Jahreswechsel und angesichts der formaljuristischen Bedingungen
für die Wahlanmeldungen war es von Anfang an klar, daß eine
realistische linke Wahloption nur den Namen REGENBOGEN oder PDS haben
konnte. Ebenfalls klar war es, daß eine solche Wahloption eine offene
Angelegenheit sein muß und nicht von irgendjemandem durchgezockt werden
kann. Dabei ist eine nennenswerte Attraktivität und Ausstrahlungskraft
in Hamburg - gerade auch auf nicht organisierte und Bewegungslinke - nur
mit dem REGENBOGEN verbunden. Dies ist auch auf einer großen
öffentlichen Versammlung am 18.12.2003 sehr deutlich zum Ausdruck
gekommen, wo 200 bis 300 Menschen öffentlich über die Frage einer linken
Wahloption in Hamburg diskutierten. Doch auf dieser Versammlung wurde
auch klar, daß die Formierung einer solchen Wahloption vor allem von
den taktischen und strategischen Interessen der genannten Organisationen
bestimmt sein würde: Für DKP und SAV kommt eine Kandidatur unter einem
PDS-Label aus einem rein organisationspolitischen Kalkül heraus
prinzipiell nicht in Frage. Die PDS ihrerseits befindet sich in Hamburg
in einem Erneuerungsprozess und schwankt zwischen Bewegungsoffenheit und
organisatorischer Profilierung. Während sie auf Bürgerschafts- ebene eine
offene REGENBOGEN-Liste akzeptiert und unterstützt, setzt sie in
einzelnen Bezirken auf eigenes "Flaggezeigen", teilweise auf sehr
rigorose Weise und ohne Rücksicht auf tatsächliche Stimmungen und Wahlchancen.
Mühselige Suchprozesse
Bei allen Schwierigkeiten und aller Skepsis vollzieht sich der
innerlinke Diskussionsprozess in einer bemerkenswerten Offenheit.
Programmatik, Listenbesetzungen etcetra werden so transparent wie möglich
ausgehandelt, der großen Versammlung am 18.12. folgte eine ebenso gut
besuchte am 8.1., und es wird weitere geben. Aus diesen Versammlungen
heraus hat sich ein "20er Kreis" konstituiert, in dem die weiteren
organisatorischen Diskussionen geführt und Aktivitäten koordiniert
werden. Neben REGENBOGEN, PDS, DKP, SAV und Linksruck sind auch
unorganisierter Linke in diesem Kreis vertreten. Der Diskussionsprozess
ist teilweise extrem mühselig und nervenaufreibend, aber er steht unter
einem gewissen Einigungsdruck. In wenigen Tagen ist ein erster
"Programm"entwurf weitgehend konsensual erarbeitet worden.
Im Moment spricht vieles dafür, daß eine offene Bürgerschaftsliste
unter dem Namen REGENBOGEN antreten wird. Ob und wie weit diese Liste
eine Ausstrahlungskraft entwickeln kann, wird vor allem davon abhängen,
wie weit die OrganisationsvertreterInnen ihre Repräsentationsansprüche
zurücknehmen und in wie weit RepräsentantInnen unterschiedlicher
"Szenen" und Bewegungsansätze bereit sind, auf einer solchen Liste zu
kandidieren.
dk
Nachveröffentl. aus: ak 480 vom 16.01.04
ak - analyse + kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
www.akweb.de
Anmerkung:
Siehe unseren Artikel
'REGENBOGEN Hamburg
tritt zur Bürgerschaftswahl an' v. 1.02.04