Zu Schröders Regierungserklärung vom 14. März 2003
Während die Metapher von den Schnitten, die in Zeiten der Not bei den sozialen
Errungenschaften angesetzt werden müßten, bisher noch an einen verfetteten, unflexibel
gewordenen Körper denken ließ, dem vielleicht entsprechend mittelalterlicher Medizin
ein paar Schröpfköpfe verpaßt werden, legt die aktuelle wirtschaftspolitische Rede von
Bundeskanzler Schröder ganz andere Assoziationen nahe: Medicus Schröder wetzt das Messer
für Amputationen und dem "Patienten" Sozialstaat winkt das Schicksal auszubluten...
In seiner (mal wieder) als historisch angekündigten Regierungserklärung hat Bundeskanzler
Schröder zum 120. Todestag von Karl Marx im Berliner Reichstag uns das angedroht, was
eines Sozialdemokraten (historisch) würdig ist: Sozialabbau. Arbeitslosengeld und
Sozialhilfe sollen zusammen gelegt werden - "in der Regel auf dem Niveau der Sozialhilfe".
Noch letzten Herbst hatte er den Gewerkschaften die Zustimmung zum Hartz-Konzept mit dem
Versprechen abgehandelt, die Arbeitslosenhilfe nicht abzusenken. Sahra Wagenknecht nennt
Schröder ganz zu Recht einen Betrüger und darin einen Wiederholungstäter ('junge welt'
vom Wochenende). Daß Schröder immer und immer wieder betrügt, hätten die Gewerkschaften
wissen können und deshalb billigt sie Schröder augenzwinkernd mildernde Umstände zu.
Betrugsfall Arbeitslosenhilfe, Betrugsfall Rente,...
Im Jahr 2001 ließen sich die Gewerkschaften die Zustimmung zur Rister-Rente und damit
die Zerstörung der paritätisch beitragsfinanzierten Rente mit dem Versprechen abkaufen,
das "Eckrentenniveau" von 67 Prozent im Jahr 2030 bliebe unangetastet. Schnee von gestern.
Doch nicht alle lassen sich beliebig oft betrügen - empirisches Material1
hierzu liefert beispielsweise
Allensbach. Dieses Institut hatte einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung im
Oktober 1998 nach den Erwartungen gefragt, wem die Reformen der neuen "rot-grünen"
Regierung nutzen werden:
Bei den Antworten standen "Familien mit Kindern" (63%) an der Spitze, gefolgt
von"Geringverdienenden" (43%) sowie "Arbeitnehmer, Angestellte, Arbeiter" (42%).
35% erwarteten Verbesserungen für "Arbeitslose" und 33% für "Die Armen". Die
gleiche Frage - jetzt allerdings nicht mehr nach der
Erwartung, wer profitieren wird, sondern nach der Bewertung, wer profitiert hat -
wurde 2002 noch einmal gestellt. Die
Einschätzung hat sich nunmehr grundlegend gewandelt: An der Spitze der Profiteure
werden jetzt "Die Unternehmer" (43%) genannt,
gefolgt von "Die Reichen" (39%). Daß "Familien mit Kindern" von SPD-Grün profitiert
haben, glauben noch 30%. Vorteile für "Arbeitnehmer" sehen gerade noch 12%, für
Geringverdiener" 9% für "Arme" 6%. Wer Allensbach nicht traut: Es gibt Umfragen
SPD-naher Institute, die gleiches besagen. (Z.B. die Studie von Manfred Güllner in
"Sicherheit im Wandel - neue Solidarität im 21. Jahrhundert", die den massiven
Vertrauensverlust der SPD bei den unteren Einkommensgruppen beschreibt.)
Als die folgenschwerste Amputation dürfte sich noch die "Flexibilisierung des Tarif- und
Arbeitsrechts" herausstellen, die auf Abschaffung der Flächentarifverträge hinausläuft.
Damit wird die Kampfkraft der Gewerkschaften und letztlich die Solidarität der
Arbeiterschaft untergraben. Flächentarifverträge werden in Zukunft musealen Charakter
haben. Billigste Hire-and-Fire-Job nach US-amikanischem Vorbild sollen etabliert werden
(wer über die Folgen Bescheid wissen will, lese beispielsweise den Artikel 'Barbara
Ehrenreich: Arbeit poor'.
Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll auf 18 Monate herabgesetzt werden - für unter
55-jährige sogar auf nur 12 Monate. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen
soll ausgedünnt und für das bisherige Krankengeld eine Zusatzversicherung vorgeschrieben
werden.
Rentenerhöhungen sollen geringer ausfallen und der Kündigungsschutz durchlöchert werden.
Der Meisterbrief, Zeichen ehemals "deutscher Qualitätsarbeit" und letzter Rest
jahrhundertealter Zunft-Tradition, wird auf die Müllhalde der Geschichte entsorgt.
Für "Rot-grün" scheint jetzt der Zeitpunkt günstig zu sein, den Sozialabbau forciert
voranzutreiben. In der letzten Legislaturperiode wurde das neoliberale Klima bereitet
und die Gewerkschaftsführung ist weitgehend eingebunden und läßt alles mit sich machen -
allenfalls medienwirksame verbalradikale Drohkulissen, hinter denen nicht die geringste
Kraft zur Durchsetzung steht, werden von Bsirske und Co. aufgebaut. Was von der Linken
übrig ist, wird momentan durch den Irak-Konflikt absorbiert und von der PDS geht sowieso
keine Gefahr mehr aus, seit sie einerseits durch den inszenierten Lager-Wahlkampf der
letzten Bundestagswahl dezimiert und andererseits über Koalitionsbeteiligungen in
Landtagen und in Berlin "in die Pflicht" eingebunden wurde...
Es bleibt die geringe Hoffnung, daß in dem durch die vielen Einschnitte gefühllos
gewordenen Körper sich doch noch Widerstandskräfte zu regen beginnen, sobald es ans
Mark geht. In der Friedensbewegung könnte sich die Erkenntnis ausbreiten, daß "Öl" nur
ein Aspekt des Kapitalismus ist, und es solange Kriege geben wird, solange diese
Wirtschaftsform weiter besteht. Es bleibt noch die geringe Hoffnung, daß die
globalisierungskritische Bewegung von einer oberflächlichen Kritik und systemimanenten
Verbesserungsvorschlägen wie dem einer Tobin-Steuer sich zu einer grundsätzlichen
Analyse durchringt.
Harry Weber
Anmerkung:
1 die Angaben von Allensbach verdanken wir ebenfalls einem Text von Sahra
Wagenknecht