Niediglohnsektor ausgeweitet
Fördern unter den Tisch gefallen
Mit den zum Januar 2005 eingeführten Hartz-IV-Gesetzen wurde der Auftrag, den "Rot-Grün" auszuführen hatte, erfüllt: ein wachsender Niedriglohnsektor erfreut die deutsche Wirtschaft. Bei der Vorstellung der offiziellen Halbjahresbilanz mußte die Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Deutsche Städtetag am Mittwoch letzter Woche in Berlin bestätigen, daß mittlerweile 1,18 der rund 5,36 Millionen ALG-II-BezieherInnen erwerbstätig sind, 440.000 davon sogar in sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs. Ihre Löhne sind jedoch so gering, daß sie auf ergänzende Leistungen angewiesen sind, um überhaupt
überleben zu können.
Für diese staatlich alimentierten Billig-LöhnerInnen gibt es nun die hübschen Bezeichnungen "Kombi-Löhner" oder auch "Aufstocker". Entgegen der sprachlichen Suggestivkraft dieser Bezeichnungen sind dabei jedoch nicht ausschließlich Männer, sondern weit überproportional Frauen betroffen. Hinzu kommt, daß inzwischen über 500.000 Menschen auf die Übernahme der Mietkosten durch die Kommunen angewiesen sind.
Dennoch versuchen BA-VertreterInnen und die jetzige "schwarz-rote" Bundesregierung das Bild der "Arbeitsmarktreform", die mit dem Namen des abgehalfterten VW-Personalchefs Peter Hartz unauflöslich verbunden bleibt, in den leuchtendsten Farben zu malen. So teilte BA-Vorstand Heinrich Alt am Mittwoch mit, daß im ersten Halbjahr 2007 1,9 Millionen Bezieher von ALG II "ihre Arbeitslosigkeit beendet" und davon 400.000 eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen hätten. Wie viele darunter ins Niedriglohnsegment gedrückt wurden, wußte Alt nicht zu sagen.
Wer allerdings in die BA-Statistiken schaut, wird fündig: Von den genannten 1,9 Millionen, die angeblich "erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert" wurden, standen 23 Prozent nach nur drei Monaten erneut in den Fluren der "Jobcenter". Zu den genannten 1,9 Millionen gehören auch 404.000 Menschen, die mit einem "Ein-Euro-Job" abgespeist wurden. Und auch die 350.800 TeilnehmerInnen an "Qualifizierungsmaßnahmen" wurden bei den 1,9 Millionen, die "erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert" wurden, mitgezählt. Dabei ist längst bekannt, daß jene "Qualifizierungsmaßnahmen" nicht zu erkennbar höheren Vermittlungs-Chancen führen, wie Alt letzte Woche selbst einräumen mußte.
Die Zwecklosigkeit von "Qualifizierungsmaßnahmen" ist auch kaum verwunderlich: So konzentriert sich die BA beispielsweise bei den besonders "umsorgten" Jugendlichen unter 25 Jahren nicht etwa um die Schaffung und Finanzierung anerkannter Berufsausbildungsgänge, sondern um Maßnahmen mit so modernen Namen wie "Ausbildungsmodule" und "Einstiegsqualifikationen".
Eines der Schlagworte bei der Einführung von Hartz IV hieß "Fördern und Fordern". Obwohl das Fördern dabei scheinbar an erster Stelle stand, stellt es sich nun wie so viele gegenüber den WählerInnen gemachte Versprechen als heiße Luft heraus. Konkret hatte "Rot-Grün" versprochen, die Betreuung und Arbeitsvermittlung von Hartz-IV-Betroffenen deutlich zu verbessern. Bei Arbeitslosen unter 25 sollte ein Job-Vermittler auf 75 junge Leute kommen. Für die über 25-Jährigen versprachen "Superminister" Clement und die "rot-grüne" Regierung einen Betreuungsschlüssel von eins zu 150.
Nach nunmehr gut zweieinhalb Jahren ist dieser Schlüssel immer noch nicht erreicht. Auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag kamen folgende Zahlen zu Tage: Ende Juni betreuten knapp 26.700 Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen die dort angeblich gemeldeten 2,5 Millionen Erwerbslosen. Daß die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland de facto weit höher liegt, sei hier einmal beiseite gelassen. Selbst auf der Grundlage dieser regierungsamtlichen Zahlen beträgt der Betreuungsschlüssel bei den unter 25-Jährigen eins zu 93 und bei den über 25-Jährigen eins zu 178. In manchen Bundesländern wie Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern Sachsen und Hessen müssen sich BA-BetreuerInnen gar um jeweils 102 bis 110 Jugendliche kümmern.
Daß die vor wenigen Jahren angekündigten Zahlen nicht erreicht wurden, wird von der jetzigen Bundesregierung nicht etwa als Fehlschlag betrachtet. Die von Wolfgang Clement ("S"PD) genannten Betreuungsschlüssel seien keine Vorgaben, heißt es nun in der Antwort der Regierung, die im Haus von Arbeitsminister Franz Müntefering ("S"PD) erstellt wurde. Es handele sich um "politische Referenzwerte" , die nicht verbindlich seien.
So ist nun offensichtlich, daß es sich bei allen Versprechungen, die Arbeitslosigkeit durch besonderes "Fördern" der Betroffenen beseitigen zu wollen, nur um Propaganda handelte. Schließlich besteht ja auch in Zukunft ein hoher Bedarf an im Niedriglohnbereich angesiedelten "Helfertätigkeiten", wie Alt es nannte. Und wenn das dem Kapital immer noch zu teuer ist, gibt es "Eingliederungszuschüsse" von der BA. Alleine im ersten Halbjahr 2007 wurden solche "Eingliederungszuschüsse" 66.200 mal gewährt. Auch dies eine Form staatlich geförderten Lohndumpings. Ebenso bleiben die Ein-Euro-Jobs bestehen. Schließlich brächten diese Tätigkeiten den Teilnehmern "wichtige Erfahrungen" und "soziale Kontakte", so Alt.
In den kommenden Monaten werden derartige Maßnahmen noch beträchtlich ausgeweitet. Bis zum Ende des Jahres könnten weitere 150.000 subventionierte Jobs entstehen. Bei einem Großteil von ihnen soll die Förderung, also das Geschenk an den jeweiligen Unternehmer, sogar unbefristet sein. So betrachtet war der Slogan vom "Fördern und Fordern" lediglich ein großes Mißverständnis: Das "Fördern" bezog sich nicht auf die Arbeitslosen, nur das Fordern.
Das beste Mittel, um die rapide Ausweitung des Niediglohnsektors zu stoppen, wäre die Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro. Wer jedoch erwartet, dies würde von einer Regierung freiwillig umgesetzt, verkennt die Zielrichtung von "Hartz IV", die stetige Absenkung des Lohnniveaus.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe hierzu auch unsere Artikel:
Für einen Mindestlohn von 10 Euro
(22.08.06)
Die Fälschung der Arbeitslosenstatistik
Real mehr als 9 Millionen Arbeitslose in Deutschland (25.06.07)