...eine gemeinsame Perspektive für die antikapitalistische Linke?
Vorbemerkung:
Wir dokumentieren hier ein Interview aus der 'SoZ' ("Sozialistische Zeitung" einer trotzkistischen Gruppierung). Obwohl wir, Netzwerk Regenbogen, einer Beteiligung an Wahlen und Bestrebungen zur Bildung einer neuen linken Partei negativ gegenüberstehen1, halten wir die bereits im letzten Jahr beispielsweise im Diskussionszusammenhang der 'FreundInnen der EAL' begonnenen Versuche, Zusammenarbeit und Diskussion über die alten Gräben hinweg zu organisieren, für ermutigend und viel- versprechend. Gerade wenn ein in
früheren Zeiten als "Politkommissar" (mit all den in Erinnerung an Stalin damit verknüpften Assoziationen) gebrandmarkter wie der DKP-ler Robert Steigerwald beginnt, offen zu diskutieren und sich ehrliche Selbstkritik erlaubt, ist dies mehr als beachtlich.
Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 4
Robert Steigerwald über historische Schismen und die Perspektiven künftiger
Zusammenarbeit einer »kommunistischen« Linken
Keine andere Option
Ende Januar fand in Leverkusen eine zwar kleine, aber symbolisch bedeutende Konferenz statt, bei der sich auf Einladung der Marx-Engels-Stiftung Mitglieder von DKP und ISL, Vertreter von Arbeiterstimme, Arbeiterpolitik und SoZ sowie Unorganisierte trafen, um über Übergangsforderungen und Übergangsprogrammatik in Geschichte und Gegenwart zu diskutieren (siehe SoZ 3/04). Erstmals in dieser Form trafen sich damit jene »Stalinisten«, »Brandlerianer« und »Trotzkisten«, die sich in der Geschichte zum Teil blutig bekämpft haben, um diese Geschichte ansatzweise aufzuarbeiten und auszuloten, was sie heute verbindet bzw. verbinden könnte. Die dort gehaltenen Beiträge sind Ende Mai im neuen Heft der Marxistischen Blätter erschienen. Christoph Jünke sprach für die SoZ mit Robert Steigerwald, dem Vorsitzenden der Marx-Engels-Stiftung und Organisator der Konferenz.
Christoph Jünke:
Was hat dich politisch und persönlich dazu motiviert, die gemeinsame Konferenz zu organisieren?
Robert Steigerwald:
In der Hauptsache meine Überlegung, dass es
angesichts der Stärke des Gegners darauf
ankommt, alles zusammen- zuführen, was in
irgendeiner Weise bereit ist, sich mit diesem
Gegner anzulegen. Ich meine, dass alles das
zusammen- zuführen wäre, was kommunistische
Wurzeln hat, ihnen treu geblieben ist und die
Hauptaufgabe im Kampf gegen Imperialismus
und Krieg sieht.
Das war meine erste Überlegung. Die zweite
war, dass viele der vergangenen
Auseinandersetzungen durch die Geschichte
überholt sind. In einer Reihe von Fragen hat die
Geschichte die einen widerlegt, die anderen
bestätigt. Es ist nicht angebracht, wenn wir jetzt
mit den Problemen der Vergangenheit die
gegenwärtigen Aufgaben gewissermaßen
totschlagen. Es kommt vielmehr darauf an, sich
zum gemeinsamen Wirken zusammen zu finden
und sich dabei offen, sauber und sachlich über
die Meinungs- verschiedenheiten zu streiten.
Wie schätzt du den Verlauf der Konferenz und das Ergebnis ein?
Ich bin äußerst zufrieden. Zum einen kamen die
Probleme, um die es ging, wirklich auf den
Tisch, und wurden nüchtern-sachlich dargestellt.
Das ist für die weitere Diskussion und das
weitere Studium der Geschichte von Bedeutung.
Zweitens war die Atmosphäre, in der diskutiert
wurde, sehr positiv. Ich glaube, dass es wichtig
ist, sich auch persönlich kennen zu lernen. Das
Persönliche spielt oft eine größere Rolle als man
glaubt. Es wäre gut, wenn mehr solcher
Begegnungen stattfänden zwischen Leuten, die
sich sonst in die Haare geraten sind. Das trägt zu
einem rationaleren Umgang miteinander bei.
Was den Inhalt der Konferenz angeht, so gab
es natürlich im Großen wenig Neues, aber im
Detail doch einiges, wenn ich bspw. an den
einleitenden Beitrag von Hans Krusch zur
Periode des II. und IV. Kominternkongress denke.
Auch das, was Manuel Kellner beigetragen hat,
war mir so nicht bekannt. Nicht auf »eure«
Gegenliebe gestoßen ist ja, wie Willi Gerns
unsere Strategie des antimonopolistischen
Kampfes weiter entwickelte oder unsere
Einschätzung der Politik des VII. Weltkongresses,
v.a. die Volksfrontpolitik. Aber dies sind eben
normale Auseinandersetzungen und wir müssen
die Souveränität aufbringen, mit solchen Dinge
umzugehen.
Ganz persönlich: Nicht zuletzt deine zum Teil
umfangreichen und aggressiven Interventionen
gegen andere Linke jedweder Couleur haben in
den 70er und 80er Jahren wesentlich dazu
beigetragen, dass sich das DKP-Milieu gegen
unabhängige Linke sektiererisch abgeschottet
hat. Noch in deiner letzten Schrift von 2002
(Kommunistische Stand- und Streitpunkte) gibt
es Passagen, in denen du bspw. in
Neomarxisten, Neuen Linken, Grün-
Alternativen und ehemaligen DKP-Erneuerern
nur verschiedene Versionen eines Angriffs auf
Sozialismus und Marxismus erkennen kannst.
Das scheint jetzt mindestens teilweise der
Vergangenheit anzugehören, warum?
Vor allem habe ich in der genannten Schrift damit
begonnen, dass ich Selbstkritik geübt habe,
gefragt habe, wie wir früher mit Leuten
umgegangen sind, die sich zur kritischen
Solidarität bekannten und die wir generell als
Gegner eingeschätzt haben - was manche auch
waren. Da haben wir eine ganze Reihe Fehler
gemacht, politische wie theoretische. Manches
war aber auch der Härte der damaligen
Auseinandersetzung geschuldet, wo man heute
abgeklärter sein kann. Manches würde ich heute
nicht mehr so machen. Hinzu kommt, dass wir
zwar nicht in materieller Hinsicht - das ist
Quatsch - wohl aber in ideologisch-politischer
im Gleichschritt mit der Sowjetunion und der
DDR gingen. Das hat dazu geführt, dass wir im
internen Kreis manches anders gesehen haben,
während wir nach außen die Sowjetunion
verteidigt haben. Das ist heute weg und man kann
sich unbeschwert über solche Dinge
auseinandersetzen.
Kannst du dafür ein Beispiel nennen?
Wir waren z.B. mit der schönfärberischen
Betrachtung der inneren Entwicklung in der
Sowjetunion oder in Polen oder mit der
Informationspolitik in der DDR nicht
einverstanden. Ich habe mich bspw. mit meinem
alten Freund Karl-Eduard von Schnitzler über
seinen »Schwarzen Kanal« auseinander- gesetzt,
den ich für zu zynisch hielt. Der kam vielleicht
bei gewissen Intellektuellen an, aber insgesamt
nicht. Dem Wesen nach war die Mauer nicht bloß
ein antifaschistischer Schutzwall, sondern
schützte die eigenen Entwicklungs- bedingungen
der DDR gegen ständiges Ausbluten. Das haben
wir schon so gesehen, aber nie so gesagt.
Trotz der mittlerweile auch von dir stärker und
offener eingeräumten historischen »Fehler«
und »Verirrungen« des ehemals real
existierenden Sozialismus, betonst auch du den
vermeintlich sozialistischen Charakter von
UdSSR und DDR, siehst in ihnen noch immer
ein zu verteidigendes Modell menschlicher
Emanzipation.
Ich bin auch heute noch der Meinung, dass es für
uns keine andere Option gab, wenn es um die
Problematik des Friedens ging. Die einzige
wirkliche Kraft, die dem US-amerikanischen und
sonstigen Imperialismus damals Paroli bieten
konnte, war die Sowjetunion. Und die Tatsache,
dass nach deren Zusammenbruch der Krieg
wieder zur Normaloption geworden ist, deutet
darauf hin, dass diese Einschätzung richtig war.
Wenn du, zweitens, das Wort
emanzipatorisch anführst, ist das natürlich eine
philosophische Frage. Eine solche Gesellschaft
gibt es zurzeit nicht und ich weiß auch nicht, wie
man sie auf die Schnelle bekommen kann.
Vielleicht können wir untereinander, bei unseren
eigenen Treffen und Diskussionen
emanzipatorische Eigenschaften entwickeln -
das wäre ein Beispiel. Aber unter den
Bedingungen des Kalten Krieges und des
Wettrüstens usw. halte ich eine emanzipatorische
Gesellschaft für Illusion.
Ich bin allerdings der Meinung, dass, wenn
man als Kriterium einer sozialistischen
Gesellschaft nimmt, dass das gesellschaftlich
erarbeitete Mehrprodukt gesellschaftlich
angeeignet wird, wir es mit sozialistischen
Staaten zu tun hatten. Gefährdet allerdings
dadurch, dass es nicht gelungen ist, eine
wirkliche, entwickelte sozialistische Demokratie
zu schaffen. Dadurch bildete sich die Gefahr
einer Trennung von Volkseigentum und Volk
heraus. 1989 hat bewiesen, dass die Massen
dieses Eigentum nicht verteidigt haben, weil sie
es nicht als ihr Eigentum verstanden.
Doch es stellt sich hier die Frage, wie es da zu
einem neuen gemeinsamen Selbstverständnis
mit anderen sozialistischen Linken kommen
kann, die ihre wesentliche Existenz der
grundsätzlichen Kritik solcher Verhältnisse
schulden? Wie kann man heute vor diesem
Hintergrund die verschiedenen Strömungen auf
einen gemeinsamen Nenner bringen?
Wir versuchen, neue Sozialismusvorstellungen zu
entwickeln. Wir müssen sagen, was wir wollen.
Dies auch in Kritik an Fehlern des realen
Sozialismus. Nehmen wir z.B. das Streitproblem
der Gewaltentrennung, etwas, was es bei Lenin
nicht gab, auch nicht bei Trotzki. Das war ja auch
verständlich, denn die späteren Erfahrungen
lagen ja noch nicht vor. Dass die
Gewaltentrennung von der Bourgeoisie
schrecklich missbraucht wurde, hat uns dazu
gebracht, das reale Problem, das darin steckt,
nicht zu sehen. Ein anderes Beispiel ist der
Charakter der künftigen Staatsmacht. Wir gehen
davon aus, dass die Staatsmacht im künftigen
Sozialismus von mehreren den Sozialismus
bejahenden Kräften getragen wird. Ich spreche
von einem Mehrparteiensystem, das wirklich
eins ist. Wir räumen auch den Gewerkschaften
eine gänzlich andere Rolle ein. Usw. usf. Dies
kann man weiter führen und darüber diskutieren,
vielleicht ja auch im gleichen Kreis, der in
Leverkusen zusammen war.
Heißt dies, dass es eine Frage der friedlichen
Koexistenz ist, wie man zukünftig den
Charakter des Stalinismus einschätzt?
Das wäre mir zu billig. Da gibt es manches, wo
ich denken würde, dass »ihr« die Dinge auch zu
rosig seht. Aber das kann man nur in der
gemeinsamen Diskussion klären. Es ist ein
Unterschied auch im Sozialismusbild, zu sagen,
was wir möchten und zu registrieren, was wir
können. Ich glaube z.B., dass »eure«
Autonomievorstellungen eine ganze Menge an
Illusionärem enthalten. Aber wie gesagt, solche
Behauptungen kann man nur in der Diskussion
klären.
Ich gehe davon aus, dass die, die dort in
Leverkusen zusammen gesessen haben, allesamt
den Kapitalismus weg haben wollen, allesamt
davon überzeugt sind, dass man den mit
Reformen nicht wegkriegt - ohne dabei den
Kampf um Reformen zu verweigern, dass wir
dazu eine politische Formation in Gestalt einer
Partei oder Parteien brauchen. Darin stimmen
wir ja ebenso überein wie darin, dass die
zentrale Frage die Frage des Eigentums bleibt
und man sie ohne Staatsfrage nicht lösen kann.
Auf diesen Gemeinsamkeiten könnte man
aufbauen. Wenn wir das nicht schaffen, hat die
Diskussion keinen großen Sinn.
Hier kommt dann auch die Diskussion um
Übergangs- forderungen ins Spiel. Es ist heute
angesichts der Bankenskandale und anderer
vergleichbarer Ereignisse viel einfacher, die
Frage der Kontrolle, bspw. der Deutschen Bank,
als ersten Schritt, als Übergangsforderung in den
Vordergrund zu stellen und den Leuten ihre
Notwendigkeit nahe zu legen. De facto ist das ja
auch ein Eingriff in das Eigentumsrecht.
In der DKP scheint die Tagung nicht auf
ungeteilte Zustimmung gestoßen zu sein. Die
UZ bspw. hat nicht über das Ereignis berichtet.
Das war ein Fehler, für den sich die UZ
entschuldigt hat. Im Parteivorstand und auf
anderen Treffen wurde dies sogar sehr gelobt.
Wenn es in der Partei wirklichen Widerstand
gegeben hätte, hätte man ja mich etwa gedrängt,
nicht ein ganzes Heft der Marxistischen Blätter
mit den Konferenzbeiträgen zu machen.
Generell sieht es danach aus, dass innerhalb
der DKP der Streit groß ist über den
zukünftigen Weg der Partei. Auf der einen Seite
gibt es partielle Zusammenarbeit mit radikal
linken Kräften wie bspw. denen im
Freundeskreis der EAL organisierten, auf der
anderen Seite treibt auch der Kampf gegen
vermeintliche Revisionisten und andere
Abweichler fröhliche Urständ. Was liegt dieser
Auseinandersetzung deiner Ansicht nach
zugrunde und wo liegt für dich die Zukunft der
DKP?
Einer der Gründe ist das Problem der
komplizierten Geschichte des Kommunismus,
dass noch immer viele nicht bereit sind, sich
nicht nur zu den Leistungen, sondern eben auch
ohne Wenn und Aber zu seinen Fehlern und
Verbrechen zu äußern. Jede Diskussion darüber
gilt bereits als Verrat. Zum zweiten gibt es Leute,
die Angst haben, in der Begegnung mit anderen
ihre Identität zu verlieren - eine völlig
idiotische Angst, die mit Kommunismus nichts zu
tun hat. Wer von seiner eigenen Position
überzeugt ist, erleidet durch Diskussion mit
anderen auch keinen Schaden. Was, drittens, die
Zukunft der DKP angeht, so denke ich, dass sie
keine »Kurze Lehrgangs«-Partei mehr wird sein
können. Die Partei muss so organisiert sein, dass
in ihr der Meinungsstreit möglich ist, dass es in
ihr Gruppen geben kann, die vor Parteitagen auch
organisiert und öffentlich den Meinungsstreit
führen. Es geht also auf marxistischer Grundlage
um einen ideologischen Pluralismus, nicht um
einen organisatorischen, denn der führt zur
Spaltung.
Dies ist aber noch Zukunftsmusik.
Ja natürlich. Wenn ich mir die DKP angucke,
dann haben wir grob gesprochen drei Tendenzen.
Einmal die »Tradition- alisten«, diejenigen, die -
mit dieser oder jener Abschwächung - ganz auf
dem Boden des Kurzen Lehrgangs der KPdSU
stehen. Zweitens eine schwache Richtung, die
beeinflusst ist durch die euroreformistische
Entwicklungstendenz. Diese Richtung spielt zwar
keine direkte Rolle, strahlt aber von anderen KPs
zu uns herein. Dazwischen stehen die
»Zentristen« - dazu gehöre auch ich -, die in
wichtigen Grundfragen Übereinstimmungen mit
den Traditionalisten haben (dass es ohne Staat
und Eigentumsfrage nicht geht, dass wir uns auf
den Kampf um Reformen nicht beschränken
dürfen) und die in manchen praktischen Fragen
Übereinstimmungen bis hinein in Kreise der
Sozialdemokratie haben.
Wenn sich in der Klasse etwas bewegt, dann
wirkt sich dies auch auf die Partei aus, wenn
nicht, dann ist der ganze Prozess wegen des
Überalterungsprozesses in der DKP gefährdet.
Nun habe ich aber den Eindruck, dass sich
zurzeit in der Klasse etwas bewegt. Unsere
gemeinsame Aufgabe ist, uns in diese
Bewegungen hineinzubegeben, um zu verhindern,
dass die wieder integriert werden können. In dem
Maße, in dem das gelingt, hat der Kommunismus
auch bei uns eine Perspektive.
Du sprichst von der globalisierungskritischen
Bewegung oder auch von der aktuellen
Diskussion um eine neue Wahlpartei?
Wenn sich die Bewegungen so entwickeln, dass
daraus eine neue politische Kraft entstehen kann,
die auf revolutionäre Veränderungen abzielt,
dann würde ich das sehr begrüßen. Aber wir
wollen den dritten Monat der Schwangerschaft
nicht mit dem neunten verwechseln, wobei ja
noch nicht einmal sicher ist, ob überhaupt eine
Schwangerschaft besteht. Es gibt positive
Chancen und Ansätze, zweifellos, und wir wären
schlecht beraten, wenn wir wie bei Dante sagen
würden: »Ihr, die ihr eintretet, lasset alle
Hoffnung fahren.« Genau so falsch wäre es, hier
schon Bedingungen für eine neue revolutionäre
Partei im Entstehen zu sehen.
Ende des Interviews der 'SoZ'
Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel
'Wählen oder nicht wählen - eine existentielle Frage?'
v. 30.05.04