6.06.2004

Interview

Zusammenarbeit und Diskussion

...eine gemeinsame Perspektive für die antikapitalistische Linke?

Vorbemerkung:
Wir dokumentieren hier ein Interview aus der 'SoZ' ("Sozialistische Zeitung" einer trotzkistischen Gruppierung). Obwohl wir, Netzwerk Regenbogen, einer Beteiligung an Wahlen und Bestrebungen zur Bildung einer neuen linken Partei negativ gegenüberstehen1, halten wir die bereits im letzten Jahr beispielsweise im Diskussionszusammenhang der 'FreundInnen der EAL' begonnenen Versuche, Zusammenarbeit und Diskussion über die alten Gräben hinweg zu organisieren, für ermutigend und viel- versprechend. Gerade wenn ein in früheren Zeiten als "Politkommissar" (mit all den in Erinnerung an Stalin damit verknüpften Assoziationen) gebrandmarkter wie der DKP-ler Robert Steigerwald beginnt, offen zu diskutieren und sich ehrliche Selbstkritik erlaubt, ist dies mehr als beachtlich.

Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 4

Robert Steigerwald über historische Schismen und die Perspektiven künftiger Zusammenarbeit einer »kommunistischen« Linken

Keine andere Option

Ende Januar fand in Leverkusen eine zwar kleine, aber symbolisch bedeutende Konferenz statt, bei der sich auf Einladung der Marx-Engels-Stiftung Mitglieder von DKP und ISL, Vertreter von Arbeiterstimme, Arbeiterpolitik und SoZ sowie Unorganisierte trafen, um über Übergangsforderungen und Übergangsprogrammatik in Geschichte und Gegenwart zu diskutieren (siehe SoZ 3/04). Erstmals in dieser Form trafen sich damit jene »Stalinisten«, »Brandlerianer« und »Trotzkisten«, die sich in der Geschichte zum Teil blutig bekämpft haben, um diese Geschichte ansatzweise aufzuarbeiten und auszuloten, was sie heute verbindet bzw. verbinden könnte. Die dort gehaltenen Beiträge sind Ende Mai im neuen Heft der Marxistischen Blätter erschienen. Christoph Jünke sprach für die SoZ mit Robert Steigerwald, dem Vorsitzenden der Marx-Engels-Stiftung und Organisator der Konferenz.

Christoph Jünke:
Was hat dich politisch und persönlich dazu motiviert, die gemeinsame Konferenz zu organisieren?

Robert Steigerwald:
In der Hauptsache meine Überlegung, dass es angesichts der Stärke des Gegners darauf ankommt, alles zusammen- zuführen, was in irgendeiner Weise bereit ist, sich mit diesem Gegner anzulegen. Ich meine, dass alles das zusammen- zuführen wäre, was kommunistische Wurzeln hat, ihnen treu geblieben ist und die Hauptaufgabe im Kampf gegen Imperialismus und Krieg sieht.
Das war meine erste Überlegung. Die zweite war, dass viele der vergangenen Auseinandersetzungen durch die Geschichte überholt sind. In einer Reihe von Fragen hat die Geschichte die einen widerlegt, die anderen bestätigt. Es ist nicht angebracht, wenn wir jetzt mit den Problemen der Vergangenheit die gegenwärtigen Aufgaben gewissermaßen totschlagen. Es kommt vielmehr darauf an, sich zum gemeinsamen Wirken zusammen zu finden und sich dabei offen, sauber und sachlich über die Meinungs- verschiedenheiten zu streiten.

Wie schätzt du den Verlauf der Konferenz und das Ergebnis ein?

Ich bin äußerst zufrieden. Zum einen kamen die Probleme, um die es ging, wirklich auf den Tisch, und wurden nüchtern-sachlich dargestellt. Das ist für die weitere Diskussion und das weitere Studium der Geschichte von Bedeutung. Zweitens war die Atmosphäre, in der diskutiert wurde, sehr positiv. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich auch persönlich kennen zu lernen. Das Persönliche spielt oft eine größere Rolle als man glaubt. Es wäre gut, wenn mehr solcher Begegnungen stattfänden zwischen Leuten, die sich sonst in die Haare geraten sind. Das trägt zu einem rationaleren Umgang miteinander bei.
Was den Inhalt der Konferenz angeht, so gab es natürlich im Großen wenig Neues, aber im Detail doch einiges, wenn ich bspw. an den einleitenden Beitrag von Hans Krusch zur Periode des II. und IV. Kominternkongress denke. Auch das, was Manuel Kellner beigetragen hat, war mir so nicht bekannt. Nicht auf »eure« Gegenliebe gestoßen ist ja, wie Willi Gerns unsere Strategie des antimonopolistischen Kampfes weiter entwickelte oder unsere Einschätzung der Politik des VII. Weltkongresses, v.a. die Volksfrontpolitik. Aber dies sind eben normale Auseinandersetzungen und wir müssen die Souveränität aufbringen, mit solchen Dinge umzugehen.

Ganz persönlich: Nicht zuletzt deine zum Teil umfangreichen und aggressiven Interventionen gegen andere Linke jedweder Couleur haben in den 70er und 80er Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass sich das DKP-Milieu gegen unabhängige Linke sektiererisch abgeschottet hat. Noch in deiner letzten Schrift von 2002 (Kommunistische Stand- und Streitpunkte) gibt es Passagen, in denen du bspw. in Neomarxisten, Neuen Linken, Grün- Alternativen und ehemaligen DKP-Erneuerern nur verschiedene Versionen eines Angriffs auf Sozialismus und Marxismus erkennen kannst. Das scheint jetzt mindestens teilweise der Vergangenheit anzugehören, warum?

Vor allem habe ich in der genannten Schrift damit begonnen, dass ich Selbstkritik geübt habe, gefragt habe, wie wir früher mit Leuten umgegangen sind, die sich zur kritischen Solidarität bekannten und die wir generell als Gegner eingeschätzt haben - was manche auch waren. Da haben wir eine ganze Reihe Fehler gemacht, politische wie theoretische. Manches war aber auch der Härte der damaligen Auseinandersetzung geschuldet, wo man heute abgeklärter sein kann. Manches würde ich heute nicht mehr so machen. Hinzu kommt, dass wir zwar nicht in materieller Hinsicht - das ist Quatsch - wohl aber in ideologisch-politischer im Gleichschritt mit der Sowjetunion und der DDR gingen. Das hat dazu geführt, dass wir im internen Kreis manches anders gesehen haben, während wir nach außen die Sowjetunion verteidigt haben. Das ist heute weg und man kann sich unbeschwert über solche Dinge auseinandersetzen.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?

Wir waren z.B. mit der schönfärberischen Betrachtung der inneren Entwicklung in der Sowjetunion oder in Polen oder mit der Informationspolitik in der DDR nicht einverstanden. Ich habe mich bspw. mit meinem alten Freund Karl-Eduard von Schnitzler über seinen »Schwarzen Kanal« auseinander- gesetzt, den ich für zu zynisch hielt. Der kam vielleicht bei gewissen Intellektuellen an, aber insgesamt nicht. Dem Wesen nach war die Mauer nicht bloß ein antifaschistischer Schutzwall, sondern schützte die eigenen Entwicklungs- bedingungen der DDR gegen ständiges Ausbluten. Das haben wir schon so gesehen, aber nie so gesagt.

Trotz der mittlerweile auch von dir stärker und offener eingeräumten historischen »Fehler« und »Verirrungen« des ehemals real existierenden Sozialismus, betonst auch du den vermeintlich sozialistischen Charakter von UdSSR und DDR, siehst in ihnen noch immer ein zu verteidigendes Modell menschlicher Emanzipation.

Ich bin auch heute noch der Meinung, dass es für uns keine andere Option gab, wenn es um die Problematik des Friedens ging. Die einzige wirkliche Kraft, die dem US-amerikanischen und sonstigen Imperialismus damals Paroli bieten konnte, war die Sowjetunion. Und die Tatsache, dass nach deren Zusammenbruch der Krieg wieder zur Normaloption geworden ist, deutet darauf hin, dass diese Einschätzung richtig war.
Wenn du, zweitens, das Wort emanzipatorisch anführst, ist das natürlich eine philosophische Frage. Eine solche Gesellschaft gibt es zurzeit nicht und ich weiß auch nicht, wie man sie auf die Schnelle bekommen kann. Vielleicht können wir untereinander, bei unseren eigenen Treffen und Diskussionen emanzipatorische Eigenschaften entwickeln - das wäre ein Beispiel. Aber unter den Bedingungen des Kalten Krieges und des Wettrüstens usw. halte ich eine emanzipatorische Gesellschaft für Illusion.
Ich bin allerdings der Meinung, dass, wenn man als Kriterium einer sozialistischen Gesellschaft nimmt, dass das gesellschaftlich erarbeitete Mehrprodukt gesellschaftlich angeeignet wird, wir es mit sozialistischen Staaten zu tun hatten. Gefährdet allerdings dadurch, dass es nicht gelungen ist, eine wirkliche, entwickelte sozialistische Demokratie zu schaffen. Dadurch bildete sich die Gefahr einer Trennung von Volkseigentum und Volk heraus. 1989 hat bewiesen, dass die Massen dieses Eigentum nicht verteidigt haben, weil sie es nicht als ihr Eigentum verstanden.

Doch es stellt sich hier die Frage, wie es da zu einem neuen gemeinsamen Selbstverständnis mit anderen sozialistischen Linken kommen kann, die ihre wesentliche Existenz der grundsätzlichen Kritik solcher Verhältnisse schulden? Wie kann man heute vor diesem Hintergrund die verschiedenen Strömungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen?

Wir versuchen, neue Sozialismusvorstellungen zu entwickeln. Wir müssen sagen, was wir wollen. Dies auch in Kritik an Fehlern des realen Sozialismus. Nehmen wir z.B. das Streitproblem der Gewaltentrennung, etwas, was es bei Lenin nicht gab, auch nicht bei Trotzki. Das war ja auch verständlich, denn die späteren Erfahrungen lagen ja noch nicht vor. Dass die Gewaltentrennung von der Bourgeoisie schrecklich missbraucht wurde, hat uns dazu gebracht, das reale Problem, das darin steckt, nicht zu sehen. Ein anderes Beispiel ist der Charakter der künftigen Staatsmacht. Wir gehen davon aus, dass die Staatsmacht im künftigen Sozialismus von mehreren den Sozialismus bejahenden Kräften getragen wird. Ich spreche von einem Mehrparteiensystem, das wirklich eins ist. Wir räumen auch den Gewerkschaften eine gänzlich andere Rolle ein. Usw. usf. Dies kann man weiter führen und darüber diskutieren, vielleicht ja auch im gleichen Kreis, der in Leverkusen zusammen war.

Heißt dies, dass es eine Frage der friedlichen Koexistenz ist, wie man zukünftig den Charakter des Stalinismus einschätzt?

Das wäre mir zu billig. Da gibt es manches, wo ich denken würde, dass »ihr« die Dinge auch zu rosig seht. Aber das kann man nur in der gemeinsamen Diskussion klären. Es ist ein Unterschied auch im Sozialismusbild, zu sagen, was wir möchten und zu registrieren, was wir können. Ich glaube z.B., dass »eure« Autonomievorstellungen eine ganze Menge an Illusionärem enthalten. Aber wie gesagt, solche Behauptungen kann man nur in der Diskussion klären.
Ich gehe davon aus, dass die, die dort in Leverkusen zusammen gesessen haben, allesamt den Kapitalismus weg haben wollen, allesamt davon überzeugt sind, dass man den mit Reformen nicht wegkriegt - ohne dabei den Kampf um Reformen zu verweigern, dass wir dazu eine politische Formation in Gestalt einer Partei oder Parteien brauchen. Darin stimmen wir ja ebenso überein wie darin, dass die zentrale Frage die Frage des Eigentums bleibt und man sie ohne Staatsfrage nicht lösen kann. Auf diesen Gemeinsamkeiten könnte man aufbauen. Wenn wir das nicht schaffen, hat die Diskussion keinen großen Sinn.
Hier kommt dann auch die Diskussion um Übergangs- forderungen ins Spiel. Es ist heute angesichts der Bankenskandale und anderer vergleichbarer Ereignisse viel einfacher, die Frage der Kontrolle, bspw. der Deutschen Bank, als ersten Schritt, als Übergangsforderung in den Vordergrund zu stellen und den Leuten ihre Notwendigkeit nahe zu legen. De facto ist das ja auch ein Eingriff in das Eigentumsrecht.

In der DKP scheint die Tagung nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen zu sein. Die UZ bspw. hat nicht über das Ereignis berichtet.

Das war ein Fehler, für den sich die UZ entschuldigt hat. Im Parteivorstand und auf anderen Treffen wurde dies sogar sehr gelobt. Wenn es in der Partei wirklichen Widerstand gegeben hätte, hätte man ja mich etwa gedrängt, nicht ein ganzes Heft der Marxistischen Blätter mit den Konferenzbeiträgen zu machen.

Generell sieht es danach aus, dass innerhalb der DKP der Streit groß ist über den zukünftigen Weg der Partei. Auf der einen Seite gibt es partielle Zusammenarbeit mit radikal linken Kräften wie bspw. denen im Freundeskreis der EAL organisierten, auf der anderen Seite treibt auch der Kampf gegen vermeintliche Revisionisten und andere Abweichler fröhliche Urständ. Was liegt dieser Auseinandersetzung deiner Ansicht nach zugrunde und wo liegt für dich die Zukunft der DKP?

Einer der Gründe ist das Problem der komplizierten Geschichte des Kommunismus, dass noch immer viele nicht bereit sind, sich nicht nur zu den Leistungen, sondern eben auch ohne Wenn und Aber zu seinen Fehlern und Verbrechen zu äußern. Jede Diskussion darüber gilt bereits als Verrat. Zum zweiten gibt es Leute, die Angst haben, in der Begegnung mit anderen ihre Identität zu verlieren - eine völlig idiotische Angst, die mit Kommunismus nichts zu tun hat. Wer von seiner eigenen Position überzeugt ist, erleidet durch Diskussion mit anderen auch keinen Schaden. Was, drittens, die Zukunft der DKP angeht, so denke ich, dass sie keine »Kurze Lehrgangs«-Partei mehr wird sein können. Die Partei muss so organisiert sein, dass in ihr der Meinungsstreit möglich ist, dass es in ihr Gruppen geben kann, die vor Parteitagen auch organisiert und öffentlich den Meinungsstreit führen. Es geht also auf marxistischer Grundlage um einen ideologischen Pluralismus, nicht um einen organisatorischen, denn der führt zur Spaltung.

Dies ist aber noch Zukunftsmusik.

Ja natürlich. Wenn ich mir die DKP angucke, dann haben wir grob gesprochen drei Tendenzen. Einmal die »Tradition- alisten«, diejenigen, die - mit dieser oder jener Abschwächung - ganz auf dem Boden des Kurzen Lehrgangs der KPdSU stehen. Zweitens eine schwache Richtung, die beeinflusst ist durch die euroreformistische Entwicklungstendenz. Diese Richtung spielt zwar keine direkte Rolle, strahlt aber von anderen KPs zu uns herein. Dazwischen stehen die »Zentristen« - dazu gehöre auch ich -, die in wichtigen Grundfragen Übereinstimmungen mit den Traditionalisten haben (dass es ohne Staat und Eigentumsfrage nicht geht, dass wir uns auf den Kampf um Reformen nicht beschränken dürfen) und die in manchen praktischen Fragen Übereinstimmungen bis hinein in Kreise der Sozialdemokratie haben.
Wenn sich in der Klasse etwas bewegt, dann wirkt sich dies auch auf die Partei aus, wenn nicht, dann ist der ganze Prozess wegen des Überalterungsprozesses in der DKP gefährdet. Nun habe ich aber den Eindruck, dass sich zurzeit in der Klasse etwas bewegt. Unsere gemeinsame Aufgabe ist, uns in diese Bewegungen hineinzubegeben, um zu verhindern, dass die wieder integriert werden können. In dem Maße, in dem das gelingt, hat der Kommunismus auch bei uns eine Perspektive.

Du sprichst von der globalisierungskritischen Bewegung oder auch von der aktuellen Diskussion um eine neue Wahlpartei?

Wenn sich die Bewegungen so entwickeln, dass daraus eine neue politische Kraft entstehen kann, die auf revolutionäre Veränderungen abzielt, dann würde ich das sehr begrüßen. Aber wir wollen den dritten Monat der Schwangerschaft nicht mit dem neunten verwechseln, wobei ja noch nicht einmal sicher ist, ob überhaupt eine Schwangerschaft besteht. Es gibt positive Chancen und Ansätze, zweifellos, und wir wären schlecht beraten, wenn wir wie bei Dante sagen würden: »Ihr, die ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.« Genau so falsch wäre es, hier schon Bedingungen für eine neue revolutionäre Partei im Entstehen zu sehen.

Ende des Interviews der 'SoZ'

 

Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel
    'Wählen oder nicht wählen - eine existentielle Frage?'
    v. 30.05.04

 

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