14.12.2007

Artikel

Über 10.000 StudentInnen
protestierten in Dresden
gegen sächsisches
Hochschulgesetz

Gestern (Donnerstag) kamen mehr als 10.000 StudentInnen in die Landeshauptstadt Dresden, um gegen die Novellierung des sächsischen Hochschulgesetzes durch die "schwarz-rote" Landesregierung und für ein gebührenfreies Studium in demokratischen Universitäten zu demonstrieren. Der Entwurf war kürzlich vom Kabinett beschlossen worden und soll im Frühjahr 2008 dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Aus mehreren großen Uni-Städten Sachsens brachten zwei Sonderzüge StudentInnen zum Protest nach Dresden. Viele machten sich zwar keine Illusionen, damit die Regierung des sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt beeindrucken zu können, setzten aber dennoch auf ein starkes Zeichen studentischer Solidarität. Mit welchem nur schwach kaschierten Ziel die Demo organisiert worden war, machte bereits die festgelegte Demo-Route deutlich: Um 13 Uhr startete der Demonstrationszug am Fritz-Förster-Platz, bewegte sich dann zur Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), vorbei am Hauptbahnhof und schließlich vor den Landtag. Ein einem Redebeitrag wurde gar offen zur Wahl einer bestimmten Koalition aufgerufen.

In den meisten Redebeiträgen wurde vor allem die weitere Einschränkung der studentischen Mitbestimmung bei universitären Entscheidungen kritisiert. Nach dem vorliegenden Entwurf soll die/der RektorIn einer Uni größere Vollmachten erhalten. Damit werden einerseits bestehende Gremien entmachtet und andererseits die Universitäten einer stärkeren Konkurrenz untereinander ausgesetzt.

So sollen RektorInnen zukünftig entscheiden können, ob eine Uni aus dem Flächentarifvertrag aussteigt und neue MitarbeiterInnen zu Dumping-Löhnen einstellen kann. Über kurz oder lang könnten nun auch in Sachsen Studiengebühren eingeführt werden. Ferner soll das basisdemokratische Konzil, eine Art universitärer Vollversammlung, abgeschafft und die Stimmen der StudentInnen im Senat reduziert werden.

In welche Richtung diese Entwicklung gehen soll, wird an dem zu konstituierenden Hochschulrat besonders deutlich. Dieser soll große Befugnisse an der Universität bekommen und zu 75 Prozent aus externen Mitgliedern aus Wirtschaft und Kultur bestehen, die nicht gewählt, sondern ernannt werden.

Werner Nienhüser von Universität Duisburg-Essen untersuchte die Hochschulräte auf ihre Besetzung und ihren Einfluß. Fürs erste nahm er 57 Räte unter die Lupe. 33 Prozent der Mitglieder stammt aus Unternehmen oder Unternehmerverbänden: "Diese ersten Befunde stützen die Vermutung, daß der Einfluß von Wirtschaftsvertretern erheblich ist und daß die Abhängigkeit einer Universität von ihren Finanzierungsquellen einen deutlichen Einfluß darauf hat, wie ihr Hochschulrat zusammengesetzt ist."

Die Hauptveranstalter in Dresden, die Gewerkschaften Ver.di und GEW waren ebenso wie die 'Konferenz Sächsischer Studierendenschaften' (KSS) und die 'Landesvertretung Akademischer Mittelbau' im Vorfeld der Demo bemüht, die Veranstaltung auf die Frage der Mitbestimmung zu reduzieren und Verweise auf grundlegende Entwicklungen und Zusammenhänge zu vermeiden. Zwar fanden sich in den Aufrufen und Petitionen vereinzelte Hinweise auf die Vermarktung von Bildung - hauptsächlich jedoch wurde der Focus der Diskussion auf konkrete Entscheidungen zu bestimmten Gremienbesetzungen, zur Evaluation der Lehre oder zur Studienberatung gelenkt.

Unter den StudentInnen wird jedoch längst eine tiefgreifendere Kritik geäußert. So sieht Gerald Eisenblätter, Sprecher der KSS, die Gefahr, daß in den Unis zunehmend "Managementstrukturen eingeführt" würden. StudentInnen auf der Straße sprachen noch deutlicher davon, daß die Inhalte der Lehre immer stärker in den Einfluß großer Unternehmen geraten.1 Die Finanzierung über sogenannte Drittmittel sichert mehr und mehr den Einfluß der Wirtschaft und setzt die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre außer Kraft.

Die Studienbedingungen haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren drastisch geändert. Die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen an nahezu allen Universitäten, das Exzellenz-Programm der Bundesregierung und die Kürzungen im Bildungsbereich haben zu teils grotesken Deformierungen geführt. Vorgebliches Ziel ist es, die Universitäten international konkurrenzfähig zu machen und die Stellung im internationalen Ranking zu verbessern. Tatsächlich jedoch hat sich weltweit längst gezeigt, daß die Herausbildung von Eliten dem wissenschaftlichen Niveau abträglich ist. Wissenschaft lebt in erster Linie von freiem Austauch der Information und gegenseitiger offener Kritik und ist damit uneingeschränkt demokratie-kompatibel - während Eliten lediglich zur Absicherung von Macht und zur Herausbildung von Dogmatismus dienlich sind.

Die Wirtschaft redet zwar gern von "Humankapital", doch die Orientierung auf Eliten führt über kurz oder lang zu einer gigantischen Vergeudung der in jeder Gesellschaft breit gestreuten Talente. Mit dieser Ausrichtung schneidet sich die Wirtschaft selbst von einer ihrer wichtigsten Ressourcen ab.

Ein Musterbeispiel hierfür sind gerade die so oft als Vorbild genannten Elitehochschulen der USA. Es gibt dort zwar - anders als in Deutschland - sehr ausgefeilte und tiefgestaffelte Stipendien- und Darlehenssysteme. Harvard oder Princeton etwa übernehmen für Kinder aus der unteren Hälfte der Bevölkerung die gesamten Jahresgebühren von bis zu 45.000 US-Dollar. Dennoch ändert dies nichts an der extremen sozialen Selektion des Systems. Aus den unteren 80 Prozent der Bevölkerung stammen gerade einmal 20 Prozent der StudentInnen in den USA, aus den oberen zwei Prozent genauso viele, trotz aller Stipendien. Davon ist Deutschland zwar noch weit entfernt, aber der Trend geht exakt in diese Richtung.

Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaft sieht bei dieser Entwicklung die wissenschaftliche Kritikfähigkeit gefährdet. Nach neoliberalen Maßstäben sei kein Markt für unabhängige Forschung vorhanden. Es würden immer mehr "nützliche" Ergebnisse für politische und ökonomische Funktionseliten produziert. Die Ausrichtung der Universitäten und Fachhochschulen nach internen und externen Effizienzkriterien würde ein instrumentelles Wissenschaftsverständnis fördern.

Mit beachtlichem Mut stellte sich die sächsische Staatsministerin für Bildung und Kultur, Eva-Maria Stange, auf der Dresdener Demo den StudentInnen. Doch offenbarte sie zumindest geringe pädagogische Kenntnisse, denn sie blaffte ins Mikrofon: "Die meisten auf diesem Platz wissen doch gar nicht, was in der Gesetzesnovelle drin steht. Es macht doch gar keine Sinn, hier sachlich mit euch über ein Gesetz zu diskutieren."

Das war denn auch eine Steilvorlage für die Rednerin vom U-AStA der der Uni Gießen, Nathalie Meyer, die offen aussprach, daß die StudentInnen auf keinerlei Unterstützung von Seiten politischer Parteien rechnen können. Ansonsten war in den Redebeiträgen kaum Kritik an SPD, "Grünen" oder "Linkspartei" zu hören. Nathalie Meyer zeigte darüber hinaus den Zusammenhang zwischen Ökonomisierung der Bildung und sozialer Polarisierung auf.

Marius Heuser, der für eine bei der Landtagswahl in Hessen kandidierende trotzkistische Mini-Partei, die PSG sprach, griff "Grüne" und "Linkspartei" mit durchweg zutreffenden Argumenten an und zog Parallelen zwischen der Entwicklung in Sachsen und der bereits weit fortgeschrittenen in Berlin. Die von der "rot-roten" Regierungskoalition in Berlin vorexerzierte Hochschulpolitik stellte Heuser in den Kontext des Bologna-Prozesses, der darauf ausgerichtet ist, das Grundrecht Bildung in eine handelbare Ware in der "Dienstleistungsgesellschaft" umzuwandeln.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 In welche pseudo-wissenschaftliche Richtung diese Entwicklung führt, zeigt ein Text aus der Freiburger Universität auf.

 

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