9.08.2004

Sudan:
Lügen für den Krieg

Westen droht mit Intervention, obwohl Regierung in Khartum mit UN kooperiert

Am heutigen Montag soll in der sudanesischen Hauptstadt Khartum die zwischen Sudans Außenminister Mustafa Osman Ismail und dem UN-Sondergesandten Jan Pronk getroffene Grundsatzvereinbarung über "konkrete Schritte" bei der Befriedung der Krisenprovinz Darfur unterzeichnet werden. Tags zuvor trafen in Kairo die Außenminister der Arabischen Liga zu einer Sondersitzung zusammen, um insbesondere eine Verlängerung der vom UN-Sicherheitsrat der sudanesischen Regierung gestellten 30-Tage-Frist zur Entwaffnung der verschiedenen Rebellengruppen in Darfur zu erreichen. Zudem einigten sich die sudanesische Regierung und zwei Darfur-Rebellenorganisationen auf Friedensgespräche. Wie es in einer Erklärung am Sitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba hieß, soll das Treffen am 23. August in der nigerianischen Hauptstadt Abuja stattfinden.

Derweil reißen die Berichte über Vertreibungen und Greueltaten durch die arabischen Reitermilizen, die sogenannten Dschandschawid, nicht ab: So warf eine Sonderberichterstatterin der UNO der Regierung in Khartum jüngst erneut vor, diese zu unterstützen. Dabei wird die westliche Öffentlichkeit systematisch darüber getäuscht, daß die Verbrechen in der Region mindestens im selben Umfang auf die Darfur-Rebellenorganisationen Sudan Liberation Army (SLA) und Justice and Equality Movement (JEM) zurückgehen. Wie der arabische Nachrichtensender Al Dschasira in der vergangenen Woche berichtete, haben Kämpfer von SLA und JEM 28 Angehörige eines Stammes in Darfur getötet und sich für diese Bluttat als Dschandschawid verkleidet. "Sie ritten auf Kamelen und Pferden und zogen sich wie die arabischen Reiter an", sagte Provinzgouverneur Abd Allah Massar. "Sie haben schon in den letzten Wochen Angriffe gestartet, aber jetzt machen sie das täglich."

Ohne Zweifel werden in Darfur Dörfer überfallen, Frauen vergewaltigt, Menschen ermordet. Demagogisch ist es aber, dies als "Völkermord" oder "ethnische Säuberung" zu bezeichnen. "Dieselben Stämme sind vertreten sowohl unter denjenigen, die andere vertreiben, als auch unter denjenigen, die vertrieben werden", meint Jan Egeland, Generalsekretär des Menschenrechtsbüros der UN. Schon die Größenordnung der humanitären Krise in Darfur ist unklar. So ging etwa die französische Nachrichtenagentur AFP noch am 15. Juli von 10.000 ums Leben gekommenen Personen aus, während Reuters gleichzeitig schon von 30.000 sprach. Zu Recht kritisiert die Neue Zürcher Zeitung Ende Juli, daß diese Berechnungen "ohne nähere Angaben" und "ohne nähere Erklärungen in die Welt gesetzt" wurden - nur um dann diese ungeprüften Werte aufgrund windiger Hochrechnungen zu multiplizieren und bei 100.000 Opfern anzukommen.

Wie einseitige Schuldzuweisungen zustande kommen, zeigt etwa der aktuelle Bericht von Amnesty International über Massenvergewaltigungen in Darfur. Daß darin nur die Greueltaten der Dschandschawid vorkommen, wird ganz salopp erklärt: "Es gibt Berichte über Mißbrauch und Folter, einschließlich Vergewaltigung, durch Mitglieder der SLA und der JEM, aber wegen Zugangsbeschränkungen zu dem Gebiet ... war es schwierig, mehr Beweise über die berichteten Menschenrechtsverletzungen zu sammeln, die angeblich von den Aufständischen begangen wurden." Und weil das so schwierig war, ging Amnesty den einfachen Weg und befragte nur die Opfer der Dschandschawid.

Unbestritten ist die Tatsache, daß der Ausbruch der Kämpfe in Darfur nicht auf die Regierung und die Dschandschawid zurückgeht, sondern auf die Rebellen. SLA und JEM begannen im März 2003 einen Aufstand, und zwar "just zu dem Zeitpunkt, als die Friedensverhandlungen zwischen Khartum und dem Süden ins Stocken geraten waren". Durch die Eröffnung dieser zweiten Front wollten die mit der SLA kooperierenden Südrebellen die Regierung "zu schnellen Konzessionen ... bewegen", konnte man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 28. Mai entnehmen.

Interessant ist auch, daß die JEM von Khalil Ibrahim geführt wird, der lange Zeit Mitglied in der islamistischen Partei von Hassan al-Turabi war. Dieser wiederum war bis 1995 der sudanische Gastgeber und Statthalter von Osama bin Laden. Staatschef Omar al-Bashir hatte Turabi 1999 entmachtet und damit den Fundamentalismus im Land zurückgedrängt. Anstatt ihn dafür zu belohnen, unterstützt der Westen nun die JEM-Rebellen des Bin-Laden-Freundes Turabi. Darüber kann sich nur wundern, wer immer noch glaubt, daß George W. Bush und der saudische Millionär Todfeinde seien.

Übrigens: "Im Sudan ist sehr viel Geld zu verdienen", titelte die FAZ am 27. Juli. Die Darfur-Rebellen fordern "dreizehn Prozent der künftigen Öleinnahmen".

 

Jürgen Elsässer

 

Anmerkung (NR):

Siehe auch unsere Artikel
    Neue Runde im Propagandakrieg gegen den Sudan (24.07.04)

und
    Das "humanitäre" Interesse am Sudan (4.06.04)

3 Siehe auch unseren Artikel
    US-Besatzung bleibt im Irak (29.06.04)

 

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