2.12.2004

Kommentar

UNO soll in Zukunft
präventive Kriege absegnen

Disput um Sitzverteilung im Sicherheitsrat nur Vernebelung

Viel genutzt hat es bisher nicht, daß laut UN-Charta die territoriale Souveränität von Staaten als unverletzlich gegolten hat. Die USA konnten ungehindert den Irak besetzen und sich dessen Ölquellen sichern, ohne daß die 'Vereinten Nationen' entsprechend ihrer Charta auch nur vernehmbar dagegen protestiert oder die USA zum Abzug aufgefordert oder gar Sanktionen ausgesprochen hätte. Auch als Argument der Friedensbewegung war der Verweis darauf, daß die "Allianz der Willigen" ohne UN-Mandat gegen angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen und angebliche Terror-Unterstützung im Irak zu Felde zog, zweischneidig. Denn er nährte die Illusion, die UNO könnte im Kantschen Sinne als Hort des Rechts der Willkür der Macht Schranken setzen1.

Damit ist es nun endgültig vorbei. Auch bei allen Modellen der Sitzverteilung zeigt sich, daß die bisherigen ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates kein Jota ihrer Macht freiwillig an freche Emporkömmlinge abzugeben bereit sind. Es bleibt bei fünf ständigen Sitzen für USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich. Und nur diese besitzen das Veto-Recht - auch in Zukunft. Ohne Druck- oder Machtmittel - und über solche verfügt Deutschland bisher nicht - lassen sich Rechtspositionen nicht verschieben. Zumindest solange nicht, wie diese Erde ein Planet ist, auf dem das Recht ein Ausdruck der Machtverhältnisse ist.

Eine Machtverschiebung zeichnet sich dagegen in die andere Richtung hin zu den USA ab. Es wird sich in Zukunft zeigen, daß allein die USA die Stärke besitzen, das neue "Völker"-Recht, präventive Kriege führen zu dürfen, auch zu nutzen. Die "rot-grüne" deutsche Bundesregierung versucht nun zwar schon seit Monaten, mit einem Kriegseinsatz unter vorgeblich humanitären Gründen und im Verein mit Frankreich und Großbritannien zusammen eine EU-Intervention im Sudan zu starten, um einen entsprechenden Präzedenzfall zu schaffen - wie es der Irak für die USA bedeutet. Doch das dauert bereits zu lange und längst haben die USA das Spiel durchschaut und sich in den Poker um das Öl des Sudan eingemischt.

Der Kernpunkt der 60-seitigen Empfehlung zur Reform der UNO ist nicht - wie in den Massenmedien vorgegaukelt - das umfangreiche Kapitel über die Modelle für zukünftige Sitzverteilungen, sondern die Aushebelung der bisherigen Grundsätze zur Wahrung der staatlichen Souveränität. Dies war das Minimum dessen, was als Lehre aus den beiden Weltkriegen gezogen worden war.

Des einen Terrorstaat und Erbfeind ist des anderen eherner Verbündeter in unverbrüchlicher Nibelungentreue. Was die eine Regierung als Guerilla-Truppen bezeichnet, sieht die andere als Befreiungsarmee. Ohne einen unabhängigen Weltgerichtshof, den es nie geben wird, sind alle diese Urteile interessengebunden. Und ohne den Notnagel einer allgemeinen Übereinkunft, die Souveränität und territoriale Unverletzlichkeit aller Staaten zu achten, führt dies geradewegs in den nächsten Weltkrieg.

Die AutorInnen der Reform-Empfehlung meinen, mit der Definition von fünferlei Voraussetzungen für die Absegnung eines präventiven Angriffs Barrieren errichtet zu haben. Kommentatoren aus den Reihen der Friedensbewegung meinen gar, die UNO-Reform loben und über diesen zentralen Punkt hinwegsehen zu müssen.

Als erste Barriere wird in der Empfehlung definiert, die vorliegende Bedrohung müsse eindeutig bestimmt sein. Sowohl die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak als auch die Verbindung zwischen Diktator Saddam Hussein und Al Qaida wurde selbst in den europäischen, sich Kriegs-kritisch gebenden Massenmedien vor Beginn des Irak-Krieges nicht angezweifelt.

Als zweite Barriere wird in der Empfehlung definiert, das Ziel müsse eindeutig bestimmt sein. Der Irak war als Ziel zur allgemeinen Zufriedenheit hinreichend genau bestimmt. Daß das exakte Ziel die Eroberung der irakischen Ölquellen war, interessierte die UNO nicht.

Als dritte Barriere wird in der Empfehlung definiert, daß es sich bei einer solchen Intervention nur um das letzte Mittel handeln dürfe. Vor dem Irak-Krieg hatten die USA erklärt, es sei nun lange genug nach Massenvernichtungswaffen gesucht worden. Die UNO zog ihre Inspekteure klaglos zurück. Tatsächlich: Es hätte noch Jahre und Jahrzehnte lang weiter gesucht werden können.

Als vierte Barriere wird in der Empfehlung definiert, die eingesetzten Mittel müßten der Bedrohung angemessen sein. Es sei daran erinnert, daß selbst seriöse Militärwissenschaftler vor dem Irak-Krieg die Möglichkeit ernsthaft diskutierten, die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten könnten sich bei der Eroberung der Städte - der Vergleich mit Stalingrad wurde hin- und hergewogen - in ihrem Angriff festfahren. Vor dem Hintergrund der öffentlich kaum in Frage gestellten angeblichen Kampfstärke der irakischen Armee wurden keine Fragen in Hinblick auf die Angemessenheit der eingesetzten Mittel laut.

Als fünfte Barriere wird in der Empfehlung definiert, die möglichen Konsequenzen eines präventiven Krieges müßten vorab erwogen werden. Vor Beginn des Irak-Kriegs wurde tatsächlich erwogen, ob dieser Krieg den gesamten Nahen und Mittleren Osten destabilisieren könnte. Die Bedenken wurden tatsächlich in den Massenmedien ernst genommen. Doch es führte nicht dazu, daß die UNO eine Resolution verabschiedet oder auch nur erwogen hätte, um dem Aufmarsch der USA und ihrer Verbündeten ernsthaft etwas in den Weg zu legen. So könnte diese letzte "Barriere" in der Zukunft allenfalls dazu dienen, daß sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ihre Zustimmung zu einer US-amerikanischen Eroberung mit einer entsprechenden Beteiligung an den in Aussicht stehenden Rohstoff-Schätzen abkaufen lassen.

Sämtliche fünf "Barrieren" stellen sich also bei näherer Betrachtung als recht ebenerdig dar. Vermutlich besteht der Sinn dieser Arbeit eines Expertengremiums aus 16 Ländern allein darin, den USA etwas anbieten zu können, um bei deren zukünftigen Eroberungen ein wenig am Kriegsgewinn beteiligt zu werden: eine Sanktionierung durch die höheren Weihen der Völkergemeinschaft.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob den USA in Zukunft eine Zustimmung der UNO der Mühe oder irgendeines geringen Obolus überhaupt wert ist. Beim Irak-Krieg ging es ja ohne auch ganz passabel...

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
      Zumach kritisiert UN-Resolution zum Irak (9.06.04)

 

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