Die Zahl der menschlichen Todesopfer in Folge von BSE ist wegen des langsamen Krankheitsverlaufs heute noch kaum einzuschätzen. Von der extrem hohen Ansteckungsgefahr bei chirurgischem Besteck und direktem Kontakt einmal abgesehen, ist BSE im Vergleich mit Grippe-Viren in Hinblick auf die Ansteckungsgefahr geradezu harmlos. Die häufigsten Grippe-Viren, die bei Epidemien schon tausenden Menschen den Tod brachten, sind durch Tröpfchen-Infektion - also über den Luftweg und damit die Atmung übertragbar. Die Übertragungsrate ist sehr hoch. Bei BSE hingegen sind zumindest VegetarierInnen - bis auf einen einzigen bekannt gewordenen tragischen Ausnahmefall - auf der sicheren Seite.
Bei H5N1, dem derzeit grassierenden Vogelgrippe-Virus, ist die Übertragungsrate ebenfalls sehr hoch. In Asien sind bereits 18 Menschen an der Vogelgrippe gestorben, obwohl H5N1 sich noch nicht an den Menschen adaptiert hat. Allerdings hat sich bereits eine Mutation des Virus an ein Säugetier angepaßt und eine Variante des H5N1 wurde Mitte letzter Woche erstmals bei Schweinen nachgewiesen. Die UNO erklärte am 6. Februar, die bereits in zehn Ländern grassierende Vogelgrippe sei keinesfalls unter Kontrolle und könne sich auf weitere Staaten ausbreiten. Das Auftreten bei Schweinen sei insbesondere deshalb alarmierend, weil das menschliche Imunsystem dem von Schweinen ähnelt. Ein Vielzahl von Krankheiten bei Schweinen sind bisher auch beim Menschen aufgetreten. Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO befürchten, daß sich das Vogelgrippe-Virus in einem Schwein mit einem menschlichen Grippevirus verbinden könnte. Deshalb warnt die WHO vor dem Entstehen eines neuen, für den Menschen noch viel gefährlicheren Virus. Australische Zeitungen erschrecken an diesem Wochenende ihre Leser bereits mit der Überschrift: "Vogelgrippevirus tausend mal gefährlicher als SARS". Die WHO befürchtet eine weltweite Grippeepidemie mit Millionen von Todesopfern.
Bereits heute steht fest, daß es sich bei der neuen Vogelgrippe um die größte Tierseuche der Geschichte handelt. In Südostasiens sind dem H5N1-Virus bereits Millionen von Hühnern und Puten zum Opfer gefallen. Die Behörden in China, Vietnam und anderen betroffenen Staaten legen zwar hektische Geschäftigkeit an den Tag. Millionen von Hühnern werden notgeschlachtet, das heißt oft genug, einfach ertränkt oder lebend verbrannt. Doch damit sollen mehr die Öffentlichkeit und die Absatzmärkte im Ausland beruhigt werden. Die Seuche wird damit real kaum eingedämmt und die Ursachen werden nicht angegangen. Der niederländische Virologe Albert Osterhaus zieht einen Vergleich zu SARS und erklärt: Gegen die Vogelgrippe sei SARS ein "Schwächling"1. Er verweist auf die fünfziger Jahre. Damals traf der Ausbruch einer Hühnerseuche die Welt völlig unvorbereitet und forderte Millionen von Toten. Seither hätten wir immer wieder erlebt, so Osterhaus, wie Tierkrankheiten auf den Menschen übergehen. Auch heute wäre ein Ausbruch kaum einzudämmen.
Immerhin wurde die Bundesregierung jetzt aktiv und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll nach Informationen der 'Welt' an einem Notfallplan arbeiten. Dem entgegen steht die Profitgier der Tourismus-Branche, die bisher selbst bei der Stornierung von Asienreisen kaum zu Entgegenkommen bereit ist. Mit Einschränkungen des ohnehin umstrittenen Massentourismus ist solange nicht zu rechnen, wie es nicht zu einer erheblichen Zahl von Todesfällen kommt - und dann wird die Ausbreitung der Seuche kaum mehr zu stoppen sein. Für diesen Fall rechnet das Robert-Koch-Institut mit Millionen von Toten. Obwohl Tierseuchen auf der Welt inzwischen zur Regel geworden sind und immer wieder auch auf den Menschen übergehen, ist etwa Deutschland kaum angemessen geschützt. So gibt es laut dem Tropeninstitut München einen Impfstoff, der das Erkrankungsrisiko minimiert. Jedoch wird eine Impfung vor Reisen in die betroffenen Regionen lediglich empfohlen.
Wie rasant sich ein Grippe-Virus ausbreiten kann, ist am Fall einer Variante der Vogelgrippe zu erkennen, die in den letzten Jahren bereits massenhaft in den Benelux-Ländern auftrat und auch nach Deutschland überschwappte. Lebendes Geflügel aus Asien darf zwar in Deutschland nur in Ausnahmefällen verkauft werden, und für gefrorenes Fleisch gibt es seit dem 1. Januar eine Einfuhrsperre. Allerdings lassen die aufgedeckten Unterlassungen bei den BSE-Tests und die ebenfalls bei BSE bekannt gewordenen Fälle von umgangenen Einfuhrverboten, kaum darauf hoffen, daß diese bei der Vogelgrippe Sicherheit böten.
Wirksamer als solche Abwehrmaßnahmen wäre es in jedem Falle, die Ursachen zu bekämpfen. Und diese liegen bei den immer häufiger auftretenden Massenerkrankungen der zur Nahrungsproduktion oder Pelzzucht gehaltenen Tiere, klar auf der Hand. BSE, SARS und die Seuche der Zibethkatzen im vergangenen Jahr waren kein Zufall. In den meisten Fällen von Tierseuchen ist Massentierhaltung eindeutig als Ursache erkannt. Und bevor nicht das heutige am Profit orientierte Wirtschaftssystem demokratisiert wird, werden die Folgen der zukünftigen Tierseuchen entsprechend einer in diesem System angelegten Dynamik von Mal zu Mal gravierender werden. Denn die Folgen bezahlen nicht die Verursacher, sondern die betroffenen Volkswirtschaften.
BSE ist inzwischen, wenn auch noch viele Fragen offen sind, eindeutig auf die industrielle Massentierhaltung zurückzuführen. Es wird kaum mehr angezweifelt, daß die Fütterung mit aus Tierleichen (zunächst von Scrapie-verseuchten Schafen, später von BSE-Rindern) gewonnenem Eiweiß ursächlich war. Auch die Reduzierung der Sterilisations- temperatur der Eiweiß-Produkte war dem Profit-Druck geschuldet. Die beengten Haltungsbedingungen in der industriell betriebenen Landwirtschaft taten ein übriges. Informationen, die bereits seit Beginn der achziger Jahre über BSE vorlagen, wurden aus Profit-Gründen unterdrückt und mögliche Sicherheitsmaßnahmen verhindert. Weder der von Bundeskanzler Schröder auf dem Höhepunkt der BSE-Krise verkündete Slogan "Weg von den Agrarfabriken", noch die von Ministerin Künast propagierte "Agrar-Wende" waren mehr als heiße Luft.2 Auch am unreflektierten Fleischkonsum der Mehrheit der KonsumentInnen hat sich auf Dauer nichts geändert.
Allerdings war dies ohne einen grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen kaum zu erwarten.
Solveig Brendel
Anmerkungen:
1 Die Press, Wien, 2.02.04
2 Siehe auch unseren Artikel
'Agrar-Wende - Nichts als heiße Luft' v. 24.01.04