Drei Landtagswahlen zeigen wachsendes Selbstbewußtsein der NichtwählerInnen
Die Zahl der Menschen, die sich nicht mehr von schein-demokratischen Wahlen zum Narren halten lassen, wächst. Bei allen drei Landtagswahlen am Wochenende sank die Wahlbeteiligung auf "historische Tiefststände". Die KommentatorInnen der Mainstream-Medien jammern um die Wette: Die eigentliche Verliererin dieses Wahltages sei die Demokratie. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Ein besonderes Kennzeichen von Sekten-AnhängerInnen ist es, einen großen Teil der Realität völlig ausblenden zu können. Ein Beispiel mag da genügen. Es ist zwar schon einige Jahre her, aber da war das Phänomen noch zum mindesten wöchentliche Titelschlagzeilen, Wochenendbeilagen und Endzeitbeschwörungen wert: Der Zustand der deutschen Wälder. Den Begriff "Waldsterben" erachteten wir bereits in den 80er Jahren als mediale Fußangel, doch seitdem hat sich die Lage nicht verbessert, sondern im Gegenteil verschlechtert. Sieben Jahre "Rot-Grün" haben uns - nicht nur in dieser Hinsicht - immer tiefer ins Schlamassel hinein geritten. Inzwischen erscheint der Begriff "Wald-AIDS" angebracht.1 In Baden-Württemberg sind inzwischen drei Viertel aller Eichen - der "Baum der Deutschen" - schwer geschädigt. Doch weder hiervon noch vom Gesamtzustand der Wälder war im Wahlkampf auch nur die Rede. Weder von CDU noch von SPD oder FDP - wer würde es von denen auch erwarten? - noch von "Bündnis 90 - Die Lügen" oder von der ÖDP - von denen es manche ja immer noch erwartet hätten - und auch nicht von WASG, MLPD oder was sich sonst als "echte Opposition" begreift.
Die veröffentlichten Mitgliederzahlen der Parteien spiegeln - obschon geschönt - das Abrutschen ins Sektendasein: Die SPD beispielsweise hat inzwischen weniger als 500.000 Mitglieder, weniger als die Hälfte des Mitgliederstandes, den sie einmal in der Glanzzeit des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt erreicht hatte.2 Je schneller die Mitgliederzahlen sanken, desto schneller wechselten sich seitdem die Vorsitzenden ab. Noch schlimmer sieht es an der Basis aus. Parteimitglieder sind kaum mehr bereit, bei Wahlen Plakate aufzuhängen. Immer häufiger sind Orts- und Kreisvorsitzende von SPD und CDU, die sich früher niemals selbst die Hände schmutzig gemacht hätten, dabei zu beobachten, wie sie im PKW herumfahren und eigenhändig Plakat-Tafeln aufhängen oder neu bekleben. Vielfach auch werden SchülerInnen oder Privatfirmen dafür bezahlt. Die Basis der Parteien gleicht immer mehr Potemkinschen Dörfern.
Dennoch feiern sich die CDU in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt und die SPD in Rheinland-Pfalz keck als Wahlsieger. Sie klammern sich an die Prozentergebnisse. Tatsächlich aber haben auch sie in absoluten Zahlen verloren: Bei einer Wahlbeteiligung von 53,4 Prozent (Minus: 9,2) verlor die CDU in Baden-Württemberg real rund 280.000 Stimmen. Bei einer Wahlbeteiligung von 44,4 Prozent (Minus: 12,0) verlor die CDU in Sachsen-Anhalt sogar prozentual. Bei einer Wahlbeteiligung von 58,2 Prozent (Minus: 3,9) verlor der "Wahlsieger" Kurt Beck real rund 20.000 Stimmen.
In vielen Kommentaren zu den Landtagswahlen wird - selbst von ausgewiesen neoliberalen JournalistInnen - bejammert, daß "die linksorientierten Wählerinnen und Wähler besonders desinteressiert" gewesen seien. Das "Angebot", sich durch eine neue "Linkspartei" (erneut) aufs Parkett des Parlamentarismus locken zu lassen, hat zu großen Teilen nicht verfangen. Bezeichnend, wer dies zum Heulen findet...
You can fool some people all the time, you can even fool all the people some time, but you can't fool all the people all the time.
Du kannst einige Leute für alle Zeit zum Narren halten, du kannst sogar alle Leute einige Zeit zum Narren halten, aber du kannst nicht alle Leute für alle Zeit zum Narren halten.
(Abraham Lincoln, 1865)
NETZWERK REGENBOGEN
Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch unseren Artikel:
'Wald-AIDS' (11.02.2001)
Der Waldzustandsbericht der Bundesregierung und die
Ursachen des seit über zwanzig Jahren anhaltenden Siechtums
der deutschen Wälder (22.01.2006)
2 Siehe hierzu:
'SPD benötigt Minderheitenschutz' (9.04.2005)