Laut der Zeitschrift 'Auf einen Blick' werden an den Weihnachts-Tagen 55 Stunden Gewalt-Filme gezeigt. In einem Interview kritisiert die Evangelische Kirche diese auffällige Häufung und meint, die TV-Sender hätten doch sicherlich genug "weihnachtliche" Filme in den Archiven. Wie so häufig wird dabei Symptom und Ursache verwechselt.
Ganz abgesehen davon, daß die Berechnung der Zeitschrift 'Auf einen Blick' keinen wissenschaftlichen Standards genügt, liegen soziologische Studien auch zu Kino-Filmen vor, die aufweisen, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Gewaltdarstellung in Filmen zunahm und exzessiver wurde. So wurden von der Redaktion der Zeitschrift 'Auf einen Blick' willkürlich etwa "Harry Potter" und "Der Herr der Ringe" nicht in die Addition der Gewalt-Filme einbezogen. Offensichtlich sollten die jeweiligen Fans nicht vor den Kopf gestoßen werden.
Ändern würde sich allerdings nichts, wenn die TV-Sender - entsprechend kirchlichem Wunsch - mehr auf "weihnachtliche" Filme zurückgriffen. Denn der Zustand der Gesellschaft ist nicht die Folge der an Weihnachten ausgestrahlten Filme, diese Auswahl ist lediglich ein Symptom für den Zustand der Gesellschaft.
Auch wenn es nach den jüngsten Ereignissen naheliegen mag: Eine Zunahme von Amokläufen wird nicht von Gewalt-Videos oder Gewalt-Filmen verursacht - zumindest liegen für diese These bislang keine wissenschaftlich haltbaren Belege vor. Doch ebenso wenig kann die nicht allein anhand von Filmprogrammen in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachtende Verrohung gerade auch im zwischenmenschlichen Umgang in den Industriegesellschaften geleugnet werden. Sie zeigt sich im unmenschlichen Umgang mit den von Hartz IV und Sozialabbau Betroffenen, in der menschenrechtswidrigen Zerstörung des Gesundheitssystems in Griechenland, in der zunehmenden Naturzerstörung durch Klimagase und Raubbau an Bodenschätzen, in dem Anspruch der politischen Führung der Industrienationen, in aller Welt Kriege zu führen, um die Rohstoffversorgung sicherzustellen, und in vielem anderen mehr.
Und dies wird nicht nur im TV-Programm an Weihnachten sichtbar, sondern auch an der Zerstörung des sozialen Zusammenhalts in den Familien. Polizei-Statistiken zeigen, daß die häusliche Gewalt an Weihnachten allein in den Jahren zwischen 2008 und 2010 um über 40 Prozent gestiegen ist. Kaum eine Zeit ist derart stark mit Emotionen aufgeladen, in kaum ein Fest werden derart viele und hohe Erwartungen gesteckt. Und gerade in einer derart sensiblen Phase, in der das "Nervenkostüm" ohnehin schon sehr dünn ist, reichen oft Kleinigkeiten, um eine Situation kippen zu lassen.
Weihnachten, das heuchlerisch gerne als "Familienfest" bezeichnete und vor rund 1700 Jahren christlich usurpierte Winter-Sonnwend-Fest, auf das mangels Überlieferung völlig willkürlich der Geburtstag des "Heilands" gelegt wurde, gilt nicht nur in autonomen, sondern auch in den von Caritas und Arbeiterwohlfahrt geführten Frauenhäusern aufgrund einschlägiger Erfahrungen als "Fest der Hiebe". Zu Weihnachten herrscht in den deutschen Frauenhäusern Hochbetrieb. Zu keiner anderen Zeit im Jahr fliehen mehr Frauen vor prügelnden Ehemännern und Lebensgefährten.
Doch an all dem wird sich nichts ändern, wenn nicht eine tiefgreifende gesellschaftliche Wende durchgesetzt werden kann.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Weihnachten entscheidet sich ...
Karikatur von Harm Bengen (24.12.11)
Weihnachten bei Buddenbrooks (24.12.10)
20 Prozent gegen Weihnachten
Das Fest des Konsums löst Stress aus (11.12.09)
Klimakiller Palmöl:
Christliche Heuchelei im Kerzenschein (20.12.08)
Weihnachten, Sentimentalität
und der Verlust einer Illusion (24.12.07)
Weihnachtslied, chemisch gereinigt
von Erich Kästner (24.12.04)
Friede auf Erden
von Martin L. King - 1967 (30.12.03)
In schlechter Gesellschaft
Kinderreport Deutschland (21.12.02)
Ein Atheist über Weihnachten
von Hans Georg Brenner (22.12.01)
Kitsch und Kälte
Hermann Hesse, Dezember 1917 (17.12.00)