7.04.2009

Toter bei G-20-Gipfel in London

Video belastet Polizei

Nach dem Tod des ein unbeteiligten 47-jähriger Zeitungsverkäufer namens Ian Tomlinson am Rande der Proteste gegen den G-20-Gipfel vergangene Woche in London gerät die britische Polizei unter Druck. Die britische Tageszeitung 'The Guardian' veröffentlichte auf ihren Internet-Seiten die Video-Aufnahme eines zufällig vor Ort anwesenden New Yorker Vermögensverwalters. Auf dieser ist zu sehen, wie Polizisten den wehrlosen Mann attackieren und zu Fall bringen. Kurze Zeit darauf war Tomlinson tot.

Bisher hatte es von offizieller Seite geheißen, von Seiten der britischen Polizei habe es "keinen Kontakt und keine Einwirkung" auf Ian Tomlinson vor dessen Zusammenbruch gegeben. Außerdem enthielt diese Darstellung die Behauptung, die Polizei sei beim Versuch, dem am Boden liegenden Mann zu helfen, von DemonstrantInnen mit Wurfgeschossen angegriffen worden.

Eine Woche nach Ian Tomlinsons Tod ist die britische Polizei schwer in Bedrängnis. Die Video-Aufzeichnung, die von der renommierten Tageszeitung 'Guardian' auf ihren Internet-Seiten veröffentlicht wurde, zeigt, wie ein Polizist Tomlinson schlägt und dann zu Boden schubst. Wenig später brach der Mann zusammen und erlitt - nach den Ergebnissen der ersten Autopsie - einen Herzinfarkt. Strafrechtliche Ermittlungen gegen gegen Scotland Yard werden kaum mehr zu vermeiden sein. Offenbar soll nun eine "unabhängige" Polizeiaufsichtsbehörde das Video prüfen und die Todesumstände prüfen.

Auf dem Video ist zu sehen, wie Tomlinson auf dem Heimweg von der Arbeit um 19.20 Uhr in der Royal Exchange Passage in der Nähe der Bank von England vor einer Reihe von Polizisten entlang geht. Erb hat die Hände in den Hosentaschen. Plötzlich und offensichtlich grundlos schlägt ihm ein vermummter Beamter im Kampfmontur von hinten mit dem Schlagstock in die Beine und stößt ihn dann zu Boden. Im Fallen zieht Tomlinson die Hände aus den Taschen, um den Sturz abzufedern. Er fällt auf den Bauch, dreht sich um und scheint sich, auf dem Boden sitzend, bei den Polizisten zu beschweren. Ein Demonstrant hilft ihm auf die Beine, und Tomlinson geht langsam weiter.

Der Justizsprecher der Liberaldemokraten, David Howarth, sagte, das Video zeige einen "widerlichen und nicht provozierten Angriff" der Polizei. Peter Smyth vom Verband der Londoner Polizei erklärte dagegen, während eines solch großen Protestes seien Konfrontationen "unvermeidbar".

Unmittelbar nach den Vorkommnissen hatten sich bereits ZeugInnen gemeldet, die aussagten, daß die Polizei den Mann angegriffen hatte. Die Polizei hatte dagegen erklärt, von Demonstranten attackiert worden zu sein, als sie dem Mann helfen wollte.

Eine Augenzeugin berichtete dem 'Guardian', daß dies bereits der zweite Angriff auf Tomlinson gewesen sei. Die Fotografin Anna Branthwaite sagt, Tomlinson sei kurz zuvor von einem Polizisten zu Boden gestoßen worden und dabei mit dem Kopf auf das Pflaster aufschlagen. Als er auf dem Boden lag, habe ihm der Beamte zwei Hiebe mit einem Schlagstock versetzt. "Es war ein tätlicher Angriff", erklärt Branthwaite. "Danach zog ihn der Beamte von hinten hoch, lief weiter hinter ihm her und stieß ihn. Tomlinson lief und stolperte. Er drehte sich nicht um oder provozierte die Beamten." Nachdem er das zweite Mal zu Boden gestoßen wurde, sei er benommen und verwirrt gewesen, sagen andere AugenzeugInnen.

Die Sequenz des Videos endet damit, wie Tomlinson quer durch das Bild Richtung Bank von England geht. Drei Minuten später brach er rund 50 Meter weiter zusammen. Vier Studenten beobachteten das: "Er stolperte auf uns zu und brach zusammen", sagt Peter Apps, einer der Studenten. "Eine Frau leistete Erste Hilfe. Der Mann war in den Vierzigern, hatte Tätowierungen und trug ein Hemd des FC Millwall."

Ein Demonstrant, fährt der Zeuge fort, habe mit einem Megafon die Polizei herbeigerufen, während ein anderer Demonstrant die Notrufzentrale angerufen habe, von der medizinische Anweisungen erhielt. "Vier Polizisten und zwei Polizeisanitäter kamen", sagt Apps. "Sie sagten zu der Frau, die Erste Hilfe leistete, sie solle weitergehen." Dann hätten sie die Frau gewaltsam von Tomlinson weggestoßen und sich nicht dafür interessiert, was sie über den Zustand des Mannes zu berichten hatte.

Diese Frau, die anonym bleiben möchte, sagt, daß die Polizei Tomlinson umringt habe. "Die Notrufzentrale wollte mit den Polizisten sprechen, man hielt ihnen das Handy hin, doch sie lehnten es ab." Die Polizisten haben keine Wiederbelebungsversuche unternommen, sagt Elias Stoakes, ein anderer Zeuge. Stattdessen hätten die Beamten andere Leute weggeschubst, die Tomlinson helfen wollten.

Die Polizei behauptete später, daß sie von den DemonstrantInnen mit Wurfgeschossen angegriffen worden sei, als sie Tomlinson helfen wollte. Sämtliche Augenzeugen bestreiten das. Lediglich eine Flasche sei geworfen worden, doch sie landete zehn Meter neben der Szene und zerschellte hoch oben an einer Wand, sagt Apps. Andere DemonstrantInnen riefen, dort liege ein Verletzter - danach sei nichts mehr geworfen worden.

"Als der Krankenwagen eintraf, wurde ihm der Weg von den Demonstranten sofort freigemacht", sagt die Studentin Natalie Langford. Neben der Video-Aufnahme liegt dem 'Guardian' eine Reihe von Zeugenaussagen vor, wonach die Polizei äußerst aggressiv vorgegangen sei und Hunde auf Demonstranten und Schaulustige gehetzt habe. "Ich habe dieses Maß an Gewalt nicht erwartet", sagt der 40-jährige Dr. Justin Meggitt, Dozent für Religionswissenschaften an der Universität Cambridge. "Ungefähr um zehn nach sieben biß ein Polizeihund zunächst den Hundeführer und dann einen anderen Mann. Der zeigte seine Verletzungen, es waren klaffende Wunden am Oberarm." Zwei Minuten später wurde ein anderer, am Boden liegender Mann direkt vor Meggitt mit einem Schlagstock traktiert. "Das scheint mir ein weiterer unprovozierter Angriff gewesen zu sein. Ich weiß, daß solche Demonstrationen für die Polizei schwierig sind. Aber es scheint mir, daß einzelne Polizisten ihre Wut grundlos an Schaulustigen ausließen."

Das Video und die ZeugInnen-Aussagen bringen den Scotland-Yard-Chef Paul Stephenson, der das Amt am 1. Januar übernommen hat, in eine ernsthafte Krise. Der Polizist, der Tomlinson zu Boden gestoßen hat, soll vom sogenannten Unabhängigen Beschwerdeausschuß der Polizei identifiziert und vernommen werden. "Wir werden das Video auswerten, ebenso wie die Aussagen und Fotos, die uns bereits vorliegen", sagte Deborah Glass, die Sprecherin des Ausschusses. "Ursprünglich hatten unabhängige Zeugen uns gesagt, daß es keinen Kontakt zwischen der Polizei und Tomlinson gegeben habe, als er zusammenbrach. Andere Zeugen, die ihn in der Royal Exchange Passage gesehen hatten, sagten jedoch, daß es diesen Kontakt gegeben habe." Nun gelte es "so weit wie möglich" herauszufinden, ob dieser Kontakt etwas mit seinem Tod zu tun habe.

Das Video wurde von einem 38-jährigen Vermögensverwalter aus New York aufgenommen, der sich geschäftlich in London aufhielt und sich die Demonstration aus Neugierde ansah. Er habe die Aufnahmen dem Guardian übergeben, weil Tomlinsons Familie "keine Antworten auf ihre Fragen bekommen" habe. Die Familie des Opfers fordert eine rückhaltlose Aufklärung der Todesumstände. "Wir wollen Antworten", sagte Tomlinsons Sohn dem 'Guardian'.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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      Motto von unfreiwilliger Komik (29.03.09)

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