4.06.2009

Internet
Kinderpornographie
Vorwand für politische Zensur

Anhörung im Bundestag

Bei einer aktuellen Bundestags-Anhörung haben Fachleute darauf hingewiesen, daß bereits seit langem gesetzliche Regelungen (Paragraph 184b im Strafgesetzbuch) existieren, mit denen - der politische Willen vorausgesetzt - Kinderpornographie im Internet bekämpft werden könnte. Auf Grund des gesetzlichen Verbots von Kinderpornographie und dessen Weiterverbreitung könnte bei den Betreibern von Servern und bei Providern angesetzt werden. Die häufig verbreitete Behauptung, das Internet sei ein "rechtsfreier Raum", muß daher als böswilliges oder gezielt gestreutes Gerücht angesehen werden. Schließlich war in Deutschland auch bisher schon der Versuch strafbar, sich Kinderpornographie zu verschaffen.

Wie wenig sich in Deutschland die zuständigen Stellen bislang um die Bekämpfung von Kinder-Pornographie im Internet gekümmert haben, belegt eine Studie der Universität Cambridge. Wenn Banken sich gegen Phishing-Betrugsseiten wehren, werden diese von den informierten Providern im Schnitt nach vier Stunden vom Netz genommen. Bei ausländischen Kinderporno-Seiten dauert es dagegen im Schnitt rund drei Wochen, bis die Provider reagieren. Als Grund haben die Forscher Tyler Moore und Richard Clayton ausgemacht, daß die private englische Internet Watch Foundation nicht direkt die Provider anspreche, sondern ihre Information nur an ausländische Polizeidienststellen und Beschwerde-Hotlines weitergebe. Den gleichen Fehler plane nun auch das Bundeskriminalamt, so Alvar Freude vom AK Zensur. Auch das BKA wolle nur ausländische Polizeidienststellen über gefundene Kinderporno-Seiten informieren. "Offenbar sind für das BKA bürokratische Abläufe ein höheres Gut als die Menschenwürde mißbrauchter Kinder", mutmaßt Alvar Freude. Tatsache ist, daß in Deutschland seit Jahren die Mittel für Prävention, Strafverfolgung und Opferbetreuung gekürzt weren.

Die Fachleute sprachen sich bei der Bundestags-Anhörung zwar nicht generell gegen die von Bundes-"Familien"-Ministerin Ursula von der Leyen propagierten Internet-Sperren aus, erklärten jedoch überwiegend, daß solche Sperren nur dann eingerichtet werden dürften, wenn das Ansetzen an der Quelle scheitere. Ulrich Sieber vom Freiburger Max-Planck-Institut für Strafrecht sah sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht darin, zunächst an der Quelle anzusetzen, bevor Internet-Seiten gesperrt werden könnten.

Die zentrale Frage, wie denn die vom Bundeskriminalamt (BKA) laut dem Gesetzesvorhaben von der Leyens zu erstellenden "scharzen Listen" demokratisch kontrolliert werden könnten, blieb bei der Bundestags-Anhörung außen vor. Über die Kritik der GegenerInnen, mit diesen geheimen Listen werde ein Instrument zur politischen Zensur des Internet geschaffen, wurde erst gar nicht beraten.

In Hinblick auf die mittlerweile aufgekommene Forderung, auch pornographische Darstellungen mit Jugendlichen mit Internet-Sperren zu verfolgen, zeigten sich die BefürworterInnen von Internet-Sperren vorsichtig. Dabei gelten völkerrechtlich Menschen bis 18 Jahre als Kinder. Doch auch das BKA hob darauf ab, daß eine Abgrenzung von Jugendlichen zu jungen Erwachsenen zu schwierig und zu aufwändig sei. Auch Ulrich Sieber plädierte dafür, sich "zunächst" auf die schlimmsten Fälle, also auf Kinderpornographie, zu konzentrieren.

Als besonders interessant stellte sich die Frage heraus, ob der Bundestag überhaupt für ein Gesetz über Internet-Sperren zuständig sei. Die Bundesregierung argumentiert hierbei nicht mit dem naheliegenden Motiv der Stafverfolgung, da diese in Deutschland in die Zuständigkeit der Länder fällt, sondern will das Gesetz im Wirtschaftsrecht ansiedeln und begibt sich damit auf juristisch recht dünnes Eis. Der Staatsrechtler Matthias Bäcker hält die Länder bei Internet-Sperren für zuständig, weil es um Gefahrenabwehr gehe. Die Thematik könne nicht dem Recht der Wirtschaft zugeordnet werden, weil hier ja die Gefahren nicht von den Providern ausgehen, die zur Sperrung verpflichtet werden. Es wäre in der Tat widersinnig, ausgerechnet die Provider zugleich als Gefahrenquelle darzustellen und im Gesetz zur Mitwirkung zu verpflichten. Denn technisch sollen die Internet-Sperren so realisiert werden, daß Zugriffe auf die in den "scharzen Listen" verzeichneten Internet-Seiten von den Providern auf die vom BKA vorgehaltene Stop-Seite umgeleitet werden. Die Provider sollen auf diese Weise als "verlängerter Arm des gefahrenabwehrenden Staates" fungieren. Bäcker verwies in diesem Zusammenhang auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Recht der Wirtschaft in solchen Fällen nicht passe.

Mittlerweile haben bereits über 100.000 Menschen die von Franziska Heine initiierte ePetition gegen Internet-Sperren unterzeichnet. Dennoch weicht Ministerin von der Leyen nach wie vor einer Auseinandersetzung mit den Argumenten der GegnerInnen aus. Dies verstärkt den Verdacht, daß es ihr letztlich um die Durchsetzung eines Instruments zur Zensur politischer Inhalte im Internet geht und daß sie die - real von ihr jahrelang vernachlässigte - Bekämpfung der Kinderpornographie nur als Vorwand benutzt.

Nach wie vor werden von Ministerin von der Leyen eine Reihe von Falschdarstellungen und Lügen verwendet, um die Öffentlichkeit für ihr Zensur-Projekt zu gewinnen. Auch von der Leyen suggeriert immer wieder mehr oder weniger direkt, das Internet sei ein "rechtsfreier Raum". Für die häufig genannten Zahlen über Häufigkeit, Verbreitung oder Zunahme von Kinderpornographie im Internet können bisher keine belastbaren Quellen genannt werden. Dennoch behauptete von der Leyen in einem Interview im 'Hamburger Abendblatt': "Es wird immer mehr über kommerzielle Websites verbreitet. Da werden Millionenbeträge verdient. Pornographische Videos, auf denen Kinder gequält und gefoltert werden, werden allein in Deutschland bis zu 50.000 Mal im Monat heruntergeladen. Die Bandbreite reicht vom Pädokriminellen bis zum User, der wahllos sucht und ignoriert, daß er sich gerade die Einstiegsdroge besorgt." Vieles deutet darauf hin, daß der behauptete "Massenmarkt" mit kommerziellem Vertrieb und Millionenumsätzen gar nicht existiert, sondern im Gegenteil Einzeltäter in geschlossenen Zirkeln kinderpornographisches Material untereinander tauschen. Im Gegensatz zur Behauptung, Server mit Kinderpornographie stünden in exotischen Ländern ohne rechtliche Zugriffsmöglichkeit, stehen diese ausweislich der bisher gehackten "schwarzen Listen" weit überwiegend in den USA und Deutschland.

Während Internet-Sperren ein denkbar ungeeignetes Mittel darstellen, um die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet zu ver- oder behindern, sind sie ein effektives Mittel, mit dem gegen politische online-Zeitungen vorgegangen werden kann. Der entscheidende Punkt in der Diskussion ist daher nicht, daß technisch versierte InternetnutzerInnen immer Wege finden werden, Sperren zu umgehen. Die Umgehung einer Sperre ist selbst ohne technische Kenntnisse mit einer einfachen Suche nach "Sperre umgehen Anleitung" in Sekundenschnelle gefunden und umgesetzt. Entscheidend ist dagegen, daß der massenweise tägliche Zugriff auf die Seiten kritischer online-Zeitungen mit Internet-Sperren und dem Hinweis auf angebliche kinderpornographische Inhalte effektiv geblockt werden kann, da durchschnittliche Internet-NutzerInnen kaum an die Information gelangen, wo sie die gesperrte politische Seite wiederfinden könnten.

Vorsicht ist in der öffentlichen Diskussion angesagt, wenn es um den Begriff der Zensur geht. Viele GegnerInnen der von der "schwarz-roten" Bundesregierung geplanten Internet-Sperren lassen sich auf Glatteis führen und meinen, bereits beim Verbot von pornographischen Inhalten handele es sich um Zensur. Zensur war und ist jedoch immer nur gegen Sachaussagen, Meinungen oder Kunst gerichtet - und insbesondere dann, wenn es um emanzipative und kritische Inhalte geht.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
      Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA (26.05.09)

      Gegen politische Zensur des Internets
      Online-Petition gegen Internetsperre
      am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)

      Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
      Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)

      Aufstehn für ein freies Internet
      CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)

      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      zielt auf Zensur des Internets
      Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
      für freie linke Nachrichten (1.02.09)

 

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