Demokratiefreien Zone
und Zwangsinternierung der AnwohnerInnen
Am 3. und 4. April soll in den grenznahen französischen und deutschen Städten Strasbourg, Baden-Baden und Kehl ein NATO-Gipfel stattfinden, um das 60-jährige Bestehen des Verbrecherbündnisses zu zelebrieren. Dabei ist eine massive Einschränkung demokratischer Rechte und die Zwangsinternierung der AnwohnerInnen, die in der "Gelben Zone" wohnen, geplant.
Wie gestern (Mittwoch) bekannt wurde, darf in der "Gelben Zone" zwischen Freitagabend (3. April) und Samstagvormittag (4. April) niemand ohne Polizeibegleitung auf die Straße. "Wer sein Grundstück verläßt, muß sich zuvor mit der Polizei in Verbindung setzen. Dann wird er von einem Beamten permanent begleitet," erklärte Reinhard Renter, Polizeichef des Ortenaukreises, am Mittwochabend vor dem Kehler Gemeinderat.
Renter stellte zusammen mit Bernhard Rotzinger, Einsatzleiter der bis zu 14.200 Polizisten auf deutscher Seite und Chef der dafür gegründeten "BAO Atlantik" in Freiburg, am Mittwochabend erstmals das Sicherheitskonzept für den Gipfel am 3. und 4. April für Kehl vor. Vieles blieb jedoch vage, da laut Renter und Rotzinger auch ihnen die nötigen Informationen bislang fehlen.
Aus den Mainstream-Medien ist bekannt, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel die beteiligten Staats- und Regierungschefs am 3. April gegen 17:30 Uhr in Baden-Baden empfangen will und daß für 19 Uhr ein gemeinsames Abendessen geplant sei. Am Samstagmorgen um 8:30 Uhr soll es den so genannten diplomatischen Fußabdruck im Bereich der Mimram-Brücke geben. Dazu wird unmittelbar am Rheinufer, südlich der Brücke, ein Zelt oder Pavillon aufgestellt.
Weiter wurde bekannt, daß es während des NATO-Gipfels fünf Sicherheitszonen geben wird: Die Zonen 1 und 2 liegen im unmittelbaren Umfeld der Staatsgäste. Rote, Orangene und Blaue Zonen werden darüber hinaus die betroffenen Städte und Gebiete am Rhein durchschneiden. Renter warnte die BürgerInnen vielsagend, "daß Dinge unterlassen werden, die uns veranlassen könnten, etwas zu unternehmen". Erfahrungsgemäß ist damit auch gemeint, auf einen Balkon zu treten, wenn dieser in der Gelben Zone liegt. (Siehe hierzu auch unten den Artikel vom 23.02.05)
Den Luftraum über dem NATO-Gipfel werden nicht allein Scharfschützen sichern, die wie James Bond mit einer Lizenz zum Töten versehen sind, - auch die bekannten AWACS-Flugzeuge, stationiert in Geilenkirchen, werden zum Einsatz kommen. Beim NATO-Gipfel 2006 in Riga flogen sechs dieser Überwachungsflugzeuge über den Häuptern der VerbrecherInnen.
Der für April geplante Einsatz der AWACS-Flugzeuge stellt einen Bundeswehreinsatz im Inneren dar. Der offizielle Zweck für den Einsatz der Aufklärungsflugzeuge ist die Überwachung des Luftraums, insbesondere um Terrorangriffe mit Flugzeugen zu vereiteln und das erhöhte Aufkommen an militärischem Luftverkehr, der mit solchen Gipfel-Treffen einhergeht, zu koordinieren. AWACS können aber auch Ziele am Boden ausspionieren. Möglich ist daher, daß die Protestierenden gegen den NATO-Gipfel aufgrund von AWACS-Aufklärungsdaten kontrolliert oder an der Teilnahme an den Protesten gehindert werden.
Wie schon vom G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 bekannt, werden polizeiliche und militärische Funktionen ohne Rücksicht auf grundgesetzliche Einschränkungen eng miteinander verwoben. Entsprechende Amtshilfeersuchen für den NATO-Gipfel sind bereits eingegangen. Darin bittet das Auswärtige Amt die Bundeswehr auch um die Errichtung temporärer Hubschrauberlandeplätze im Einsatzgebiet. Ob die Bundeswehr auch beim Transport der PolizistInnen selbst zum Einsatz kommt, wie es 2007 in Heiligendamm der Fall war, bleibt abzuwarten. Kaum verwundern dürfte es, wenn es wieder zu gemeinsamen Aufklärungsflügen kommen wird, bei denen dann nicht nur deutsche PolizistInnen und SoldatInnen an Bord sind, sondern auch Beamte und Militärs aus Frankreich und anderen NATO-Staaten.
Das Grundgesetz spielt bei den Vorbereitungen des NATO-Gipfels 2009 ohnehin keine Rolle. Vieles spricht dafür, daß wesentliche Elemente des Sicherheitskonzepts rund um den Gipfel sozusagen in den internationalen Raum ausgelagert werden, wo der Grundrechteschutz kaum greift - so wie bei den AWACS, die nach offizieller Lesart ja nicht im Inland eingesetzt werden, sondern im Rahmen eines internationalen Konflikts, des seit dem 11. September 2001 ausgerufenen "Kriegs gegen den Terror".
Doch nicht nur die Protestierenden gegen den NATO-Gipfel werden mit der Bundeswehr und vermutlich auch Soldaten aus anderen Ländern konfrontiert sein. Das Presse- und Informationsamt bat die Bundeswehr zudem um Unterstützung für den Lufttransport und bodengebundenen Transport von etwa 200 Personen, darunter neben JournalistInnen und die für sie abgestellten VertreterInnen des Bundespresseamtes auch BeamtInnen des BKA. Die PressevertreterInnen, die sich bis spätestens 30. März 2009 mit Paßbild anmelden müssen, werden bereits jetzt aufgefordert, ihren Presseausweis, der nur an sie persönlich gegen Vorlage eines Ausweises ausgehändigt wird, stets sichtbar zu tragen und auf Durchsuchungen und Kontrollen durch Sicherheitspersonal vorbereitet zu sein. Größere Ausrüstungsgegenstände muß die Presse bis spätestens 2. April 2009 im "Medienzentrum" in Strasbourg genehmigen lassen.
Ein detaillierte Programm erhalten auch die JournalistInnen erst unmittelbar vor dem Beginn des Gipfels. Dann erfahren sie auch, für welche Veranstaltungen sie zugelassen sind. Die Veranstaltungen in Deutschland werden nur ausgewählte JournalistInnen verfolgen dürfen, die vom "Medienzentrum" der NATO dorthin gefahren werden. Eine individuelle Anreise wird auch für sie nicht möglich sein. Zu einigen Events werden nur FotographInnen und Kameraleute zugelassen werden, woraus zu schließen ist, daß Fragen hier unerwünscht sind. Den MedienvertreterInnen, die sich also vermutlich massenweise in verschiedenen Foyers die Füße platt stehen werden, werden ebenfalls SoldatInnen zur Seite stehen, denn auch für die "Öffentlichkeitsarbeit und Medienbetreuung" hat das Presseamt die Bundeswehr um Unterstützung gebeten.
Nicht zuletzt werden wegen des Anlasses und der Anwesenheit Barack Obamas zahlreiche weitere "internationale Verpflichtungen" gegenüber der NATO und den USA im Raum stehen und ihnen wird auch nachgekommen werden. So ist es üblich, daß US-amerikanische Geheimdienste und Militärs bei Besuchen ihres Präsidenten in die Sicherheitskonzeption eingebunden werden und zahlreiche Bedingungen stellen.
Welche Rolle beim Gipfel Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit spielen, zeigte sich bei einem Vorgespräch des internationalen Aktionsbündnisses gegen den NATO-Gipfel mit der Präfektur in Strasbourg. Diese wollte für Demonstrationen und Zeltlager noch keinerlei Zusagen machen. Es seien zahlreiche internationale Akteure involviert - gemeint waren damit offensichtlich deutsche und US-amerikanische Sicherheitskräfte sowie die NATO selbst - die ihre Vorstellungen noch nicht konkretisiert hätten. Erst wenn die Veranstalter die Choreografie des Gipfels nach ihren Wünschen festgelegt haben, kann also erörtert werden, wie die Proteste ablaufen dürfen.
Der Leiter der Kriminaldirektion Rastatt/Baden-Baden, Kriminaldirektor Kurt Wintermantel machte schon mal klar, daß die BürgerInnen der Städte Baden-Baden und Kehl voraussichtlich an den Absperrgittern keinen Sichtkontakt zur Polit-Prominenz haben werden: "Wenn man was sehen will, sieht man sicher am Fernseher am meisten." Statt zu protestieren oder auch nur mit dem Hund Gassi zu gehen, sollten die BürgerInnen also lieber daheim vorm Fernseher sitzen. Wer nach solchen Warnungen noch in der Region unterwegs ist, kann von der Polizei dann auch getrost als "Störer" behandelt werden.
Auffällig ist, daß in der Sicherheitskonzeption der Polizei von Menschen, die friedlich von ihrem Recht auf Protest Gebrauch machen wollen, gar keine Rede ist. Diese sollen auch ganz gezielt abgeschreckt werden, denn sie behindern die Durchführung des NATO-Gipfels. Zum Zweck der Abschreckung meldete sich bereits im Februar das baden-württembergische Landesamt für "Verfassungsschutz" zu Wort und warnte, daß es "mit gewalttätigem Widerstand gegen den Nato-Gipfel im April" durch die "meist linksextremen Gegner" rechne. Als beeindruckende Belege hierfür wurde auf Internetseiten verwiesen, die "Bilder von umgestürzten Panzern oder Straßenschlachten" zeigen.
Diese atemberaubenden Ermittlungsergebnisse stammen aus dem frisch eingeweihten, 380.000 Euro teuren "Internet-Zentrum" Baden-Württembergs, einer Art Internet-Café für Schlapphüte aller Couleur nach dem Vorbild des Gemeinsamen Internetzentrums (GIZ) auf Bundesebene. Hier surfen Mitarbeiter des "Verfassungsschutzes", des Bundesnachrichtendienstes (BND), der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gemeinsam auf Terroristenjagd im Internet.
Von der grundgesetzlich gebotenen Trennung zwischen Polizei, Militär und Geheimdiensten ist auch hier nicht mehr viel übrig geblieben. Diese Trennung wurde jedoch nicht nur in "Leuchttürmen" wie dem GIZ aufgehoben, sondern spätestens seit 2007 auch flächendeckend: In diesem Jahr wurden in allen Landratsämtern und Regierungspräsidien Arbeitsplätze für ReservistInnen der Bundeswehr eingerichtet, die als Beauftragte der Bundeswehr für die zivil-militärische Zusammenarbeit (BeaBWZMZ) berufen wurden. Ihnen stehen mittlerweile auch ebenfalls aus ReservistInnen zusammengestellte "Landeskommandos" zur Verfügung, um im Falle von "Großschadensereignissen" die Unterstützung der Polizei und des THWs durch das Militär zu gewährleisten.
Da der NATO-Gipfel offensichtlich die Gefahr eines solchen Großschadensereignisses birgt, sind auch die BeaBWZMZ in dessen Vorbereitung eingebunden. Bei so viel Vernetzung und Zusammenarbeit kann also auch schon ohne angereiste DemonstrantInnen von einem heillosen Chaos im Umfeld des Gipfels ausgegangen werden.
Auch wenn all diese matialischen Vorbereitungen des NATO-Gipfels eine Trotzreaktion geradezu herausfordern - die eindeutigen Hinweise auf eine bevorstehende demokratiefreie Zone sind noch längst kein Argument dafür, daß die angekündigten Proteste gegen den NATO-Gipfel politisch sinnvoll sind.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe unsere Artikel zum Thema:
G8 - Zwei Sorten Gewalttäter,
zwei Sorten Unpolitische
und eine strahlende zweifache Blenderin (8.06.07)
Presse-Zensur vor G-8-Gipfel in Heiligendamm
Akkreditierung ausschließlich für devote JournalistInnen (1.06.07)
Bush-Besuch: Telefon hät's auch getan
Rund 12.000 Anti-Bush-DemonstrantInnen in Mainz (23.02.05)