12.07.2004

Flächenfraß unvermindert

Nette, aber unrealistische Vorschläge des Bundesumweltamtes

Mehr als 140 Hektar werden in Deutschland nach wie vor täglich versiegelt, Tendenz steigend. Und eine Umkehr ist trotz geschönter offizieller Zahlen nicht in Sicht, solange Städte und Gemeinden in ihrer Finanznot stärker denn je mit Neubau-, Gewerbe- und Industrie- Gebieten um Neubürger und Unternehmen buhlen. Neubürger erhöhen die Umlagefinanzierung und Unternehmens-Ansiedelungen bringen - so hoffen die Kämmerer - steigende Gewerbesteuer-Einnahmen. Obwohl das Statistische Bundesamt die Flächenfraß-Zahlen in den letzten beiden Jahren künstlich heruntergerechnet hat, wird es landauf, landab unter der Hand bestätigt: Gerade die schwache Konjunktur trägt dazu bei, daß sich die Kommunen immer ungenierter feilbieten und Immobilienmakler, die von Rathaus zu Rathaus fahren, sich bei der Begutachtung damit begnügen können, die Seitenscheibe halb zu öffnen wie am Straßenstrich vor Prag.

Begünstigt wird der Ausverkauf der oft nur noch handtuchbreiten Grünstreifen zwischen einem alles verschlingenden Siedlungsbrei zudem durch massive staatliche Subventionen. Die Eigenheimzulage verschlingt trotz angeblich leerer Staatskasse jährlich mehr als 9,5 Milliarden Euro (Stand: 2002)1 und müßte korrekt als Naturzerstörungs- beigabe bezeichnet werden. Weitere Subventionen wie die Entfernungspauschale für Fahrten zur Arbeit in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro (Stand: 2002) oder die Wohnungsbauprämie (500 Millionen Euro im Jahr 2002) oder eine im Steuersystem verankerte Dynamik wie mit der Grunderwerbsteuer verstärken den Trend zu Zersiedelung und Flächenfraß.

Selbst das Umweltbundesamt (UBA) weist nun in einer aktuellen Stellungnahme darauf hin, daß die staatlichen Subventionen, die "die Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr begünstigen", grundlegend reformiert werden müßten. Und das UBA benennt auch einen weiteren Effekt: Der seit Jahren extreme Flächenverbrauch frißt nicht nur wertvolle natürliche Lebensräume auf, sondern wird auch "immer mehr zu einem finanziellen und sozialen Risiko für Bund, Städte und Gemeinden". Laut UBA werden permanent neue Gewerbe- und Siedlungsgebiete erschlossen, deren Bedarf vielfach nicht mehr gegeben ist. Menschen und Gewerbe wandern derzeit aus den Innenstädten ab. Diese veröden, die Fixkosten für die Infrastruktur - wie etwa die Wasserversorgung - bleiben aber gleich. Die zwangsläufig steigenden Gebühren müssen immer weniger Menschen zahlen.

Das Ergebnis dieser Entwicklung: In den Innenstädten entstehen zunehmend Problemquartiere, weil eher sozial Schwache zurückbleiben. "Der wachsende Wohnungsleerstand in den Städten führt uns vor Augen, daß wir uns umorientieren müssen. Die Innenstädte müssen lebenswerter werden", so Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des UBA.

Die Attraktivität der Zentren ließe sich durch vielfältige Maßnahmen verbessern, schlägt das UBA vor. Dazu gehören aus Sicht des UBA: Eine Reform der Grunderwerbsteuer mit dem Ziel, den Immobilienhandel im Gebäudebestand zu entlasten und den Handel mit neuem Bauland sowie die Versiegelung von Boden zu verteuern. Die Eigenheimzulage und sonstige Subventionen des Bundes auf dem Wohnungsmarkt sollen überprüft und die Förderung von Neubauten (mit Ausnahme von Wohnungen für Behinderte) eingestellt werden. Dabei handelt es sich um Forderungen, die bereits vor zwanzig Jahren von einer Partei erhoben wurden, die es schon lange nicht mehr gibt.

Darüber hinaus wartet das UBA mit weiteren Klassikern aus der grünen Mottenkiste auf wie: Die Städtebauförderung soll gestärkt werde, mit dem Ziel, die Wohnumfeldqualität in bestehenden Siedlungen spürbar zu verbessern, und eine verstärkte Ausrichtung aller Wirtschafts- und Agrarförderprogramme auf die Ertüchtigung bestehender Siedlungen sowie die Wiedernutzung innerörtlicher Brachflächen. Eine Reform der Grundsteuer als "Flächennutzungsteuer", soll sowohl den Versiegelungsgrad der Grundstücke als auch die Art der Flächennutzung berücksichtigt. Damit entstehe ein Anreiz, Grundstücke umweltschonender zu nutzen, und es könne ein Beitrag zur Stabilisierung kommunaler Einnahmen geleistet werden. Zudem sollten innovative Instrumente, wie Obergrenzen für die künftige jährliche Siedlungsausweitung für Länder, Regionen und Gemeinden analog zur Festlegung der Emissionsrechte im Klimaschutz und gegebenenfalls der Handel mit Flächenausweisungsrechten genutzt werden.

Daß dies ein hoffnungsloses Unterfangen ist, solange die wirtschaftlichen Strukturen unangetastet bleiben, hat soeben der von "Rot-Grün" implementierte Handel mit Immissionsrechten bewiesen.2 Bei genauer Analyse stellen sich die Rahmenbedingungen als Anreiz heraus, eher mehr den weniger Kohlendioxid zu produzieren.

Auch das UBA registriert besorgt, daß trotz eines "umfangreichen Instrumentariums der gesamträumlichen Planung" seit vielen Jahren die Siedlungs- und Verkehrsfläche weiter wächst. Die Bemühungen vieler Städte zur Innenentwicklung und zur Wiedernutzung der Brachflächen bleiben in der Bilanz wirkungslos, die Zersiedelung im Umland setzt sich fort. "Der jüngst zu beobachtende Rückgang der Flächeninanspruchnahme auf 105 Hektar pro Tag im Jahr 2002 ist konjunkturell bedingt. Deshalb ist damit zu rechnen, daß bei einer Belebung der Konjunktur auch die Flächeninanspruchnahme wieder zunehmen wird", warnt UBA-Präsident Troge. Die offiziellen Zahlen der vorangegangen Jahre waren laut Statistischem Bundesamt:
1997: 120 Hektar pro Tag
1998: 122 Hektar pro Tag
1999: 125 Hektar pro Tag
2000: 127 Hektar pro Tag
2001: 129 Hektar pro Tag

Eines der sieben vorrangigen Handlungsfelder in der immer wieder Sonntags verkündeten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ist die Minderung der Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr. Wenn der Umgang mit der Fläche nachhaltig organisiert werden soll - so die offizielle Zielsetzung von "Rot-Grün"-, müßte die für Wohnen, Gewerbe und Verkehr neu in Anspruch genommene Fläche innerhalb weniger Jahre auf Null herunter gefahren werden. Doch Worte und Taten klaffen weit auseinander, solange das Primat der Wirtschaft über die Politik bestehen bleibt, genauer: solange die Wirtschaft nicht demokratisch, sondern vom Profit gesteuert wird.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch unseren Artikel

    Verschämt verschwiegen
    ...die Subventionen für Atomenergie, Auto, Flugzeug u.s.w. (16.09.03)

2 Siehe auch unsere Artikel

    Das Emissions-Theater
    der "rot-grünen" Klima-Terroristen (30.03.04)

    MONITOR: Rot-Grüne Klimapolitik
    - Wie vorbildlich ist Deutschland wirklich? (5.06.04)

 

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