Erdbeben-Experte entdeckt Fehler im offiziellen Gutachten
Um die Menschen in der Umgebung des AKW Neckarwestheim zu beruhigen, wird das atomare "Zwischenlager", das die CASTOR- Behälter mit abgebrannten Brennelementen zeitweilig - oder für unbestimmte Zeit - aufnehmen soll, unterirdisch errichtet. Doch bei der jetzigen Konstruktionsweise ist die Erdbebensicherheit in Frage gestellt. Professor Gerhard Jentzsch1, ausgewiesener Erdbeben- Experte, hat im offiziellen Gutachten einen folgenschweren Fehler entdeckt.
Schon vor Baubeginn hatten sich die Gemmrigheimer, auf deren Gemarkung das "Zwischenlager" nun errichtet wird, mit allen rechtlichen Mitteln zur Wehr gesetzt,2 unterlagen jedoch in letzter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Wie auch die 18 in Deutschland in Betrieb befindlichen AKWs wird das "Zwischenlager" nicht ausreichend gegen gezielte Flugzeugabstürze gesichert sein. Die Fertigstellung des mit geschätzten Baukosten von 30 Millionen Euro im Vergleich zu Gorleben recht billigen Atommüll-Lagers ist nicht vor 2006 zu erwarten.
Nach der durch ein Seebeben im Indischen Ozean verursachten Tsunami-Katastrophe und dem Erdbeben am 5. Dezember 2004 in Südbaden3 - mit einem Epizentrum, das nur 35 Kilometer vom grenznahen französischen Uralt-AKW Fessenheim entfernt war - trifft die Kritik des Erdbeben-Experten Jentzsch einen wunden Punkt. Der Professor für Geo-Physik an der Universität Jena hatte das seismologische Gutachten des 'Bundesamtes für Strahlenschutz' unter die Lupe genommen. Tatsächlich ist der Boden vor Ort weicher als bei den Berechnungen des Gutachtens vorausgesetzt wurde. Die offiziellen Expertisen, die im Jahr 2002 vor Baubeginn erstellt wurden, gehen von einer "falschen Bodenklasse" aus, erklärte Jentzsch am Freitag, 14. Januar, auf einer öffentlichen Veranstaltung im nahe gelegenen Kirchheim am Neckar.
Laut Professor Jentzsch beruhen die Berechnungen zur Gefährdung durch Erdstöße auf der Annahme, der Atomstandort liege auf Felsen, "auf gut verfestigtem, wenig porösem Gestein". Tatsächlich besteht der Untergrund jedoch aus "mittelsteifen, halb verfestigten Sedimenten". Bei Bodenuntersuchungen brachen Bohrlöcher in sich zusammen, die daraufhin aufwendig mit Beton verfüllt werden mußten. Auf Abbildungen des Gesteins seien außerdem vertikale Klüfte und vielfache Brüche zu erkennen, führte Jentzsch weiter aus. Bei Erschütterungen neige ein derart poröser Boden zu stärkeren Schwingungen. Diese könnten die Standsicherheit des unterirdischen Lagers gefährden. Ein weiteres Risiko des porösen Bodens
stelle Sickerwasser dar. "Das Zwischenlager wird mitten ins Wasser gesetzt", monierte der kritische Erdbeben-Experte. Die Behälter wären von Korrosion bedroht.
Der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) hatte den Experten mit der Prüfung des offiziellen Gutachtens beauftragt. Erst vor wenigen Monaten war das Thema in die Schlagzeilen geraten, als eine Baufirma im Stollen unerwartet auf lockeres Gestein gestoßen war. Erneut fordern die Atomkraft-GegnerInnen, den Bau des Atommüll-Lagers sofort zu stoppen, um den Boden zuvor gründlich zu untersuchen. "Auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern hat man sich mit elf Probebohrungen begnügt", sagte Jörg Schmid, der Sprecher des BBMN.
Darüber hinaus haben die Atomkraft-GegnerInnen Anhaltspunkte dafür, daß auch bereits bei der Baugenehmigung des AKW Neckarwestheim mit seinen beiden Reaktorblöcken mit falschen Daten zur Bodenbeschaffenheit nachgeholfen wurde. Die BBMN fordert, "daß die beiden Reaktoren abgeschaltet werden und die Behörden umgehend Nachuntersuchungen einleiten."
Die AKW-Betreiber lassen sich durch diese Forderungen vorerst nicht aus der Ruhe bringen. Dirk Ommeln, Sprecher des Energie-Konzerns EnBW erklärte kurzerhand: "Daß der Boden auch loses Material birgt, ist uns bekannt. Die Bauverfahren für das Zwischenlager wurden entsprechend abgeändert." Weiter behauptete Ommeln: "Die Erdbebensicherheit des Standorts wurde in zahlreichen Gutachten belegt."
Das bisher stärkste Erdbeben in der Region um das AKW Neckarwestheim seit der Registrierung von Meßdaten lag bei einer Stärke von 6,5 auf der Richterskala. Eine Stärke von 5,4 erreichte das Erdbeben in Südbaden am 5. Dezember 2004. Und das AKW Neckarwestheim liegt inmitten einer Erdbeben-Zone.
Die abgebrannten Brennelemente aus dem AKW Neckarwestheim sollen in den über 110 Tonnen schweren CASTOR-Behältern in zwei Hallen gelagert werden, die 30 Meter abgesenkt errichtet werden- also nicht tatsächlich "unterirdisch" sein werden. Die Wände und Decken sollen als "Sicherheits"-Barriere mit 80 Zentimeter dickem Stahlbeton verbaut werden. Dies ist weniger als die Stärke der Betonkuppel über den Reaktor-Druckbehältern des AKW Neckarwestheim. Und auch eine solche kann dem gezielten Absturz eines durchschnittlichen Verkehrsflugzeuges nicht standhalten.4
Das Bundesamt für Strahlenschutz will nunmehr eine Überprüfung der Ergebnisse nicht mehr ausschließen. "Wenn Herr Jentzsch uns eine wissenschaftlich fundierte Analyse vorlegt mit neuen Erkenntnissen, werden wir diese berücksichtigen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen", erklärte Volker Schäfer, der Sprecher der Behörde, sibyllinisch.
Ute Daniels
Anmerkungen
1 Professor Gerhard Jentzsch wirkte bereits im
'Ausschuß Endlagerung' des 'Beirats für Fragen
des Kernenergieausstiegs' des niedersächsischen
Umweltministeriums mit. Zudem war er verschiedentlich
Gutachter bei der Beurteilung der Erdbebengefährdung von
Atomkraftwerken.
2 Siehe auch unseren Artikel
Gemmrigheim: Atommüll aufs Auge gedrückt (24.10.03)
3 Siehe auch unsere Artikel
Erdbeben der Stärke 5,4
AKW Fessenheim nur rund 35 Kilometer vom Epizentrum entfernt
(5.12.04)
Flut drang auch in indisches AKW (29.12.04)
4 Siehe auch unseren Artikel
Präventiver Abschuß von Flugzeugen
Es geht um ungesicherte AKWs (12.01.05)