18 Jahre nach Tschernobyl wittert sie Morgenluft
Schweizer AKW-Pläne
ERP in Finnland
Deutschland "befriedet"
Frankreich und Großbritannien auf der Kippe...
Schweiz:
Laufzeit von Alt-AKW Beznau soll verlängert werden / neuer Reaktor geplant
Wie das Zofinger Tagblatt am 19.04. berichtete, wird in der Schweiz heftig über eine beantragte Verlängerung Betriebsgenehmigung des AKW Beznau 2 gestritten. Das an der Einmündung der Aare in den Rhein gelegene AKW darf mit der noch gültigen Bewilligung bis Ende 2004 produzieren. Im November 2000 hatte die Betreiberin, die NOK, eine Aufhebung der Befristung beantragt.
Beznau 2 liegt in der Anflugschneise des Flughafen Zürich. So meinte beispielsweise der Aargauer Baudirektor Peter C. Beyeler: "Allein schon ein vernünftiger Sicherheitsabstand verbietet es, den ganzen Flugverkehr über die Aargauer Kernanlagen zu leiten." Neben dem AKW Beznau 1 und 2 liegt in dieser Zone auch das AKW Leibstadt und das atomare Zwischenlager (Zwilag) Würenlingen. Zahlreiche Einsprüche gingen gegen den Antrag auf Verlängerung der Betriebsdauer ein. Darin wurde unter anderem argumentiert, daß die atomaren Anlagen gegen Terrorangriffe und Flugzeugabstürze nicht genügend geschützt seien. Auch in der Schweiz wurde der deutsche - in Österreich veröffentlichte - Geheimbericht1 bekannt, aus dem hervorgeht, daß selbst AKWs mit starkem Betonmantel gegen Terror-Angriffe nach dem Muster des 11. September 2001 ungeschützt sind.
Im Licht dieser Fakten erscheint auch die Forderung des Aargauer Baudirektors Beyeler, im Betriebsreglement für den Flughafen Zürich-Kloten einen Sicherheitsabstand von 3000 Metern Breite und 1800 Metern Höhe rund um die atomaren Anlagen festzulegen, lediglich als Alibi-Maßnahme. Im März 2003 erhob er diese Forderung und ein gutes halbes Jahr später antwortete das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), daß es eine Prüfung der Frage ablehne. Mit Bezug auf einen Bericht der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK), die im selben Departement angesiedelt ist, wurde mitgeteilt, daß die Sicherheit der atomaren Anlagen noch wesentlich höher sei als bisher angenommen.
In den letzten Tagen wurde in den Schweizer Massenmedien bereits der Eindruck erweckt ("Grünes Licht für AKW Beznau 2"), als sei in der Frage der Verlängerung der befristeten Betriebsgenehmigung bereits entschieden. Tatsächlich jedoch beruht die Meldung lediglich auf folgender Mitteilung aus dem Schweizer Bundesamt für Energie (BFE): Die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) sehe die Voraussetzungen für den weiteren Betrieb erfüllt. Somit gäbe es keine Einwände gegen die Aufhebung der Befristung, so das BFE in seiner Mitteilung vom Montag, 19.04.04. Auch wenn zudem die Eidgenössische Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA) und die Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK), die Betreiberin des AKW Beznau 2, keine "Gründe gegen den weiteren Betrieb sehen", ist damit die gewünschte Verlängerung noch nicht genehmigt.
Vor einer Verlängerung der Betriebsgenehmigung müssen zudem von Betreiberseite sowohl Auflagen der HSK als auch zusätzliche Auflagen der KSA erfüllt werden. Und als weitere Frage ist nach wie vor offen, ob die Betriebsbewilligung auch zukünftg befristet sein wird oder nicht. Nur wenig bekannt ist beispielsweise, daß bisher weltweit allein die deutschen AKWs mit einer unbefristeten Betriebsgenehmigung ausgestattet wurden. Außer im Falle des AKW Obrigheim ist auch durch den angeblichen Atom-Ausstieg lediglich eine "Restmenge" an zu erzeugendem Strom, jedoch kein konkreter Abschaltungs-Termin festgelegt. Ob das AKW Obrigheim tatsächlich wie vertraglich fixiert am 15.10.2005 abgeschaltet werden wird, ist mit Sicherheit nicht zuverlässiger als andere "rot-grüne" Vereinbarungen.
Vom 20. April bis 14. Juli liegt das Gutachten der HSK über die Aufhebung der befristeten Betriebsbewilliung bei der Staatskanzlei des Kantons Aargau, der Verwaltung der Standortgemeinde Döttingen und beim BFU in Ittingen öffentlich aus. Sollte der Widerstand in der Schweiz in den nächsten Monaten nicht noch erheblich anwachsen, muß allerdings gegen Ende des Jahres mit "grünem Licht" gerechnet werden.
Ein Überraschungs-Coup
In Frankreich konnte der mächtige Strom-Monopolist EdF letztes Jahr eine Erhöhung der Laufzeit der französischen AKWs von 30 auf 40 Jahre durchsetzen. Trotz der angeblich so rentablen Atomenergie und mangels der gewohnten Milliarden-Zuschüsse des französischen Staates drohte der EdF in der ersten Halbjahresbilanz 2003 ein Defizit von 6 Milliarden Euro. Allein durch die Laufzeitverlängerung gewannen die 58 französischen Reaktoren auf dem Papier enorm an Wert und der Konzern konnte einen Gewinn von 728 Millionen Euro ausweisen. Spätestens 2007 werden solche Tricks mit der Privatisierung der EdF und der vollständigen Liberalisierung der Strommarkts nicht mehr möglich sein. Mit Hilfe der in der EdF-Belegschaft mächtigen französischen Gewerkschaft CGT, die der finanziell maroden KPF nahesteht, wird die Privatisierung allerdings weiter und weiter hinausgezögert. Hintergrund: Laut bestehendem Statut fließen jährlich zwei Milliarden Euro in die Kassen der CGT. Und so erklärt sich, warum die französischen Kommunisten stets einer der getreuesten Bundesgenossen der französischen "sozialistischen" oder "neo-gaullistischen" Pro-Atom-Politik waren.
Der "Euro-Reaktor" kommt ins Spiel
Sollte die Betriebsverlängerung des AKW Beznau 2 Ende des Jahres tatsächlich vom Schweizer Bundesrat als entscheidendem Gremium genehmigt werden, wird es - so keine neuerliche Reaktor-Katastrophe dazwischenkommt - vermutlich erst 2020 vom Netz gehen. Über die Zeit danach wird nun bereits heftig spekuliert und immer häufiger wird der "Euro-Reaktor" EPR als möglicher Ersatz für altersbedingt stillgelegte Reaktoren ins Spiel gebracht. Und obwohl es sich dabei um Entscheidungen handelt, die frühestens in 10 bis 15 Jahren sichtbare Formen annehmen, werden die entscheidenden Weichenstellungen bereits heute vorgenommen. Den Energie-Konzernen ist bewußt, daß Vorhaben im atomaren Bereich einen langen Instanzenweg überwinden müssen. Zudem rechnen Schweizer AKW-Betreiber wie die NOK realistisch damit, daß dieser Genehmigungs-Parcours von der Anti-AKW-Bewegung mit allen Mitteln in die Länge gezogen werden wird. Deshalb - so ist bereits in verschiedenen Veröffentlichungen zu lesen - wollen die Energie-Konzerne und die Schweizer Regierung (die Reihenfolge ist - entsprechend den Quellen - nicht zufällig!) bis Ende 2004 auch hierüber einen Beschluß fassen.
Ebenso wenig überraschend dürfte sein, daß sowohl die NOK wie ihre Konkurrenten, die Strom-Konzerne BKW und Atel sowie der größte Schweizer Strom-Konzern Axpo, darauf spekulieren, die Reaktoren am Standort Beznau bis 2020 durch den von Siemens-Framatome entwickelten "Euro-Reaktor" EPR ersetzen zu können. Eine von Axpo eigens zum Zweck der Eruierung dieser Perspektive eingesetzte Arbeitsgruppe betreibt bereits Lobby-Arbeit. Der Leiter der Arbeitsgruppe, Hans-Rudolf Gubser bestätigte gegenüber den Schweizer Massenmedien allerdings nur: "Wir prüfen auch die nukleare Option ernsthaft." Nach außen drang inzwischen zudem, daß sich das Schweizer Energieministerium mit den EPR-Plänen beschäftigt und auch ein weiterer Konkurrent, die Bernischen Kraftwerke (BKW), die EPR-Option ventiliert. Die BKW betreibt das AKW Mühleberg, das angeblich spätestens nach 50 Betriebsjahren und somit im Jahr 2022 stillgelegt werden müßte.
Für die Schweizer AKW-Betreiber bietet die ERP-Option den Vorteil, daß mit dem "einfachen" Austausch des Reaktors am bestehenden AKW-Standort eine erhebliche Genehmigungshürde entfiele. Die Eignung des Standorts, ob real wegen Anflugschneise oder Erdbebenzone in Frage gegeben oder auch nicht, kann im Genehmigungsverfahren abgehakt werden und mit Widerstand von AnwohnerInnen ist in weit geringerem Maße zu rechnen als bei einem neuen Standort.
Ein weit größeres Handicap stellt dagegen die Finanzierung dar. Die enormen Baukosten eines AKW spielen sich erst nach über 10 Jahren Betriebszeit wieder herein. Und in Anbetracht der Konkurrenz kostengünstiger moderner Gaskraftwerke, die wesentlich kürzere Amortisationszeiten bieten, finden sich keine privaten Finanziers für einen AKW-Neubau. Waren in den 50er und 60er Jahren noch fast alle europäischen Regierungen mit der Aussicht auf eine eigene Atombombe zu Milliardensubventionen für den Aufbau der Atomtechnologie zu gewinnen, erscheint heute die Aussicht auf eine solche "Anschub-Finanzierung" wenig erfolgversprechend. Denn erstens haben sich sämtliche europäischen Staaten durch eine seit Mitte der 80er Jahre mehr oder weniger konsequent verfolgte neoliberale Wirtschaftspolitik in eine desolate Haushaltslage manövriert, die zusätzliche Milliarden-Subventionen nur um den Preis wachsender sozialer Unruhen möglich erscheinen lassen. Und zweitens verblaßt die Attraktivität der "nationalen Atomstreitmacht" angesichts der Perspektive, als Teil der EU auf einfacherem Wege Zugriff auf eine EU-Atomstreitmacht2 zu erlangen.
EURATOM
Einen Ausweg bieten hier EU-Mittel, um die enormen Baukosten vorzufinanzieren. Denn über den EURATOM-Vertrag finanzieren selbst Staaten wie Italien (Atom-Ausstieg 1987) oder Österreich, das bereits 1978 mit der Aufgabe der AKW-Baustelle Zwentendorf den Atom-Ausstieg vollzog, europäische Atom-Subventionen. So mußte beispielsweise Österreich seit dem EU-Beitritt am 1. Januar 1995 jedes Jahr durchschnittlich rund 14 Millionen Euro für die Förderung der Atomenergie in Europa überweisen. Mit EU-Starthilfe kann nun erstmals in Finnland der "Euro-Reaktor" ERP realisiert werden. Es ist - mit Ausnahme der deutschen Forschungsreaktors FRM 2 in Garching, den Trittin im April 2003 genehmigte - der erste AKW-Neubau, der in Europa seit der Katastrophe von Tschernobyl in Auftrag gehen konnte.
Seit die europäische Atom-Mafia sich mit dem deutschen "Atom-Ausstieg" eine Verschnaufpause verschaffen konnte und es auf diesem Weg gelang, große Teile der deutschen Anti-Atom-Beregung zu "befrieden" (Original-Ton Trittin), fühlt sie sich im Aufwind. Außer ihren Erfolgen in Finnland und Deutschland, gelang ihr mit der Verlängerung der Laufzeit der französischen AKWs Anfang 2003 ein riesiger Coup und in Großbritannien versucht derzeit Tony Blair, den vom Konkurs bedrohten Atom-Konzern mit einer Finanzspritze von 7,6 Milliarden Euro zu retten.3 Einzig Belusconi hat seine Aufgabe bisher verbockt: So schätzte er die Chancen, ausgerechnet im äußersten Süden Italiens unmittelbar an der Küste ein atomares Endlager durchboxen zu können, völlig falsch ein. Nach unerwartet breitem Widerstand der gesamten Region Basilikata mußte es seine Endlager-Pläne aufgeben.4
Ute Daniels
Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel
'AKWs ungeschützt gegen Terror-Angriffe'
v. 7.04.03
2 Siehe auch unseren Artikel
'Neue Atommacht EU?' v. 24.04.04
3 Siehe auch unseren Artikel
'Zwangsweiser Atomausstieg in Großbritannien?'
v. 11.04.04
4 Siehe auch unsere Artikel
'Endlager für Atommüll in Italien?' v. 22.11.03
und
'ItalienerInnen erfolgreich
- kein Endlager weltweit' v. 3.12.03