17.02.2005

WAA Sellafield:
30 Kilogramm Plutonium verschwunden

Material für acht Atombomben

Aus der britischen WAA Sellafield, einer der größten Atom-Anlagen der Welt, sind einem Bericht der britischen 'Times' (16.02.) zufolge 30 Kilogramm Plutonium verschwunden. In der bereits aus früheren Fällen bekannten, typischen Manier versucht der Betreiber-Konzern British Nuclear Fuels (BNFL) den Verlust im jährlichen Inventurbericht als "Buchhaltungsproblem" und "Verlust auf dem Papier" herunterzuspielen. Atom-Experten sowohl der Befürworter-Seite als auch aus den Reihen der Anti-Atom-Bewegung äußerten sich sehr besorgt.

Eine Sprecherin der WAA Sellafield erklärte gegenüber der 'Times': "Ich würde nicht sagen, daß wir darüber beunruhigt sind, denn wir reden hier nur über Buchhaltungszahlen." Das Industrieministerium in London erklärte ebenfalls, der Inventurbericht bedeute keinen tatsächlichen Verlust von radioaktivem Material. Es sei "nicht ungewöhnlich", daß in der Buchhaltung über Material keine Rechenschaft abgegeben werden könne. Der unabhängige Atom-Experte John Large erklärte hingegen der 'Times': "Sie schieben es auf ein Buchhaltungsproblem, doch angesichts der derzeitigen Angst vor Terrorismus sollte man lieber übertrieben gewissenhaft sein". Und der Atomwaffenspezialist Frank Barnaby wird mit der Aussage zitiert, es sei zwar nichts Ungewöhnliches, das atomares Material verschwinde, "aber dies ist eine dramatische Entwicklung" angesichts der fehlenden Plutoniummenge."

Gebaut wurde die WAA Sellafield (damals noch unter dem Namen Windscale, der später aus Image-Gründen gewechselt wurde) mit dem Versprechen von Milliardenprofiten. Doch schon damals war die eigentliche Triebfeder - wie in jedem anderen Land auch, erinnert sei an Wackersdorf - der militärische "Neben"-Effekt, der Griff nach der Atombombe. Allein von daher sind die Milliardenbeträge, die in die Entwicklung der Atomenergie flossen und die Frankreich in La Hague und Großbritannien in Windscale steckte, zu erklären.

Sellafields Betreiber BNFL hatte 2003 mehr als 40 Milliarden Pfund Schulden.1 Das lag zum Teil an der mit rund 50 Prozent recht geringen Kapazitätsauslastung der Anlage, die BNFL durch einen Betrugs-Skandal selbst verschuldet hatte. Japanische AKW-Betreiber hatten in Folge der 1999 aufgedeckten Fälschungen ihre Verträge gekündigt. Die massiven Fälschungen der Atomfabrik Sellafield waren im Laufe des Jahres 1999 nur durch einen Zufall entdeckt wurden. Statt vorgeschriebene Tests an wiederaufgearbeiteten Brenn-Elementen durchzuführen, wurden über lange Zeit Meßprotokolle früherer Messungen kopiert und Computer mit erfundenen Zahlen gefüttert. Die kriminellen Machenschaften wurden nicht etwa durch das Aufsichtspersonal aufgedeckt. Auch das Management stellte angeblich keine Fragen nach der Korrektheit der an Kunden versandten "Qualitäts-Garantien". Irgendwann hatten japanische Atomtechniker die auffälligen Zahlenübereinstimmungen bei Meßprotokollen verschiedener Lieferchargen bemerkt.

Als die Londoner Zeitung 'Independent' im September 1999 den Skandal publik machte, versuchte BNFL das Ganze als harmlos herunterzuspielen. Und als ein japanischer Kunde bei Plutonium- Lieferungen im Dezember 1999 auf klaren Auskünften bestand, stritt der britische Atomkonzern BNFL zuerst noch ab, daß die fraglichen Lieferungen von der "Panne" mit den Meßprotokollen betroffen seien. Erst als staatliche Inspektoren der Sache auf den Grund gingen, mußte BNFL klein bei geben.

Im Gegensatz zu den japanischen AKW-Betreibern ließen sich dagegen weder die deutschen Energie-Konzerne noch Atom-Minister Trittin vom Sellafield-Skandal 1999 beeindrucken. Trittin behauptete, Deutschland sei durch "völkerrechtliche" Verträge gebunden, ohne diese jemals offen zu legen.

Sellafield war von Anfang an eine Skandal-Atomfabrik, die - einzige bisherige Konsequenz- deshalb auch einmal umgetauft wurde. Seit 1950, zunächst unter dem Namen Windscale betrieben, war sie des öfteren in die Schlagzeilen. 1957 geriet ein Plutoniumreaktor auf dem Gelände in Brand und außer Kontrolle. Die Löscharbeiten setzten erst nach drei Tagen ein und dauerten 24 Stunden. Es wurden erhebliche Mengen an Radioaktivität frei. Ein Gebiet im Umkreis von drei Kilometern wurde zum Sperrbezirk erklärt, der bald darauf auf das gesamte Küstengebiet ausgedehnt wurde. Eine radioaktive Wolke verteilte sich über ganz England bis zum europäischen Festland. Tausende Arbeiter und Angestellte waren radioaktivem Staub ausgesetzt.

Im September 1973 ereignete sich ein Unfall, bei dem es zu einer Explosion kam und 35 Arbeiter verseucht wurden. Im Oktober 1976 wurde bekannt, daß ein Atomtank mehr als elf Jahre geleckt hatte und Abertausende Liter flüssigen radioaktiven Mülls versickert waren - mit dem Wissen der Verantwortlichen. Unabhängige Untersuchungen fanden das Schwermetall Tritium am Strand bei Sellafield, einmal bereits verschwanden 80 Kilogramm Plutonium spurlos.

Doch schon der "Normalbetrieb" der - weil es sich so schön nach Recycling anhört - als Wiederaufarbeitungsanlagen bezeichneten Atomfabriken in La Hague (Frankreich) und Sellafield ist eine Katastrophe: Nach Angaben des 'World Information Service on Energy' (WISE) in Paris gibt La Hague 40mal mehr Radioaktivität in die Umwelt ab als alle über 400 weltweit betriebenen Atomreaktoren zusammen. So werden von La Hague jährlich 230 Millionen Liter radioaktiver Flüssigmüll in den Ärmelkanal gepumpt und von Sellafield fließen jährlich 3.300 Millionen Liter radioaktiver Flüssigmüll in die Irische See.

Nach Berichten der EU wurden bislang rund 250 Kilogramm Plutonium in die Irische See abgeleitet. Noch bei Kanada und in antarktischen Gewässern, bis in 200 Meter Tiefe, läßt sich Sellafields Radioaktivität nachweisen. Die Leukämie-Rate bei Kindern ist in der unmittelbaren Umgebung der Anlagen signifikant erhöht.

 

Ute Daniels

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel

      'Noch sieben Jahre radioaktive Verseuchung?'
      Sellafield soll 2010 stillgelegt werden (28.08.03)

      'Sellafield - Völkerrechtlich bindende Verträge?' (18.04.01)

 

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