Aldi straft die Süddeutsche
Die 'Süddeutsche Zeitung' als eines der letzten liberalen Blätter in einem von wenigen Verlagen kontrollierten deutschen Einheits-Blätterwald stand in den letzten Monaten schon einige Male am finanziellen Abgrund. Nun wird es sicher äußerst knapp, denn die Discounter-Kette Aldi-Süd straft die 'Süddeutsche' wegen eines kritischen Artikels mit einem Anzeigen-Boykott. Aldi hat für Bayern alle Anzeigen just am 8. April gekündigt als in der 'Süddeutschen' ein Artikel über die anti-gewerkschaftlichen Usancen des Billig-Anbieters erschienen war. Der 'Süddeutschen' entgehen so 1,5 Millionen Euro an Werbeeinnahmen. Und wenig bekannt ist selbst unter Zeitungs- leserInnen, daß ihr Blatt in der Regel zum weitaus größeren Teil von den Werbeeinnahmen denn von den Abonnements abhängig ist. Ob Bernd Kastner, dessen Artikel die 'Süddeutsche' rund 24.000 Euro pro Zeile "gekostet" hat, diesen Angriff so einfach wegstecken kann? Auch wenn ihm keine Repressalien seines Chefredakteurs
oder des Verlags drohnen, und auch wenn er selbst mit einem "Jetzt erst recht" reagiert,
viele seiner journalistischen Kollegen wird die Reaktion von Aldi-Süd zu "Vorsicht"
veranlassen. Die eingebaute Vorzensur, die "Schere im Kopf" wird sich so weiter verbreiten
und die Pressefreiheit1 damit schleichend weiter ausgehöhlt.
Was stand in jenem inkriminierten Artikel?
Thema war die kurz zuvor anstehende Betriebsratswahl bei Aldi. In rund der Hälfte der 21 Münchner Filialen geht es überhaupt um die Existenz von Betriebsräten. Denn es wäre das erste Mal, daß je bei Aldi-Süd in einer seiner insgesamt 1.500 Filialen ein Betriebsrat zustande käme. Und noch nicht lange war es her, da war die Betriebsratswahl in einer Münchner Filiale gescheitert. Ver.di hatte über "massive Wahlbehinderung" durch Aldi-Manger geklagt und - mal wieder - mit der gerichtlichen Durchsetzung von Betriebsräten gedroht.
Im Artikel wird ein Gewerkschafter namentlich zitiert, laut dem der Leiter einer Aldi-Filiale den MitarbeiterInnen mit dem Entzug von Weihnachts- und Urlaubsgeld gedroht habe, falls sie einen Betriebsrat wählten. Und bei einer Versammlung für eine Betriebsratswahl in einer Aldi-Regionalzentrale habe der Geschäftsführer in seinem Beisein per Handzeichen darüber abstimmen lassen, ob die Beschäftigten denn einen Betriebsrat wollten - mit dem absehbarer Ergebnis. Laut interviewtem Gewrkschafter ein klarer Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz.
Weiter werden von Bernd Kastner die Arbeitsbedingungen kritisch hinterfragt. In der Öffentlichkeit sei über die Arbeitsbedingungen der 400 bis 500 Aldi-Angestellten in München - etwa 90 Prozent Frauen - fast nur die "gute Bezahlung" bekannt. Tatsächlich werde zwar einerseits bis zu 20 Prozent über Tarif bezahlt, doch andererseits seien unbezahlte Überstunden die Regel. Eine nicht namentlich genannte Kassiererin beschreibt, daß täglich 30 bis 40 Minuten nicht bezahlt würden - die Zeit, um morgens die Kasse vorzubereiten und abends abzurechnen. Auch sei der Leistungsdruck enorm, da es bereits als schlechte Arbeit gelte, wenn weniger als 90 KundInnen pro Stunde abkassiert würden. Und Kastner ist wegen der Einseitigkeit des Artikels kein Vorwurf zu machen, da sich - wie im Artikel korrekt angemerkt - von Aldi weder ein Filial-Leiter, noch die Regional-Zentrale in Eichenau, noch die Konzernzentrale von Aldi-Süd in Mülheim zu einer Stellungnahme bereit fand.
Offenbar ist es leichter Milliardär2 zu werden, wenn die Stellungnahmen nonverbal ausgeteilt werden. Bekannt ist jedenfalls schon lange, daß die beiden Aldi-Brüder sehr öffentlichkeitsscheu sind und daß ihre Vermögen selbst von Forbes nur geschätzt werden können.
Harry Weber
Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel
Pressefreiheit: Mißbrauch publizistischer Macht (5.04.04)
2 Siehe auch unseren Artikel
Profite, Pleiten und Sozialabbau (27.03.04)