15.03.2001

Was ist eigentlich
Anarchismus?
Teil 3

Der dritte und letzte Teil dieser Trilogie beschäftigt sich mit der Frage, ob Anarchismus ein zeitgemäßer Ansatz ist

“Die Aufgabe einer herrschaftslosen Gesellschaft ist es, allen aus verschiedenen Formen von Unterdrückung entstandenen Wünschen, Hoffnungen und Utopien Raum nebeneinander zu geben. Eine herrschaftslose Gesellschaft wird - und das sei auch in aller Deutlichkeit gesagt - mit einem Paradies auf Erden nicht viel zu tun haben: Sie kann erkennbare, fassbare, greifbare Widersprüche auflösen, sie kann Unterdrückung, egal welcher Art, die viele Menschen erfahren und ausformulieren, beseitigen. Und nur das. Sie ist keine Lizenz und schon gar keine Garantie zum Glücklichsein. Das ist nicht alles? Das mag sein. Es ist aber das, was möglich und machbar scheint.” (Aus: 'trend' - onlinezeitung für die alltägliche Wut Nr. 6/1998)

Konkrete Entwürfe, die sich auf die jetzige gesellschaftliche Situation anwenden lassen, gibt der Anarchismus nur wenig her. Das ist auch nicht seine Absicht, da die betreffenden Menschen vor Ort selbst entscheiden sollen, wie sie bestimmte herrschaftsfreie Ansätze umsetzen wollen und können. Die entsprechenden “Vorgaben” - Hierarchielosigkeit, Gemeinschaftlichkeit bei gleichzeitiger Autonomie des/der Einzelnen, ökologisch sinnvolles Handeln, Abschaffung des Staates, des Geldes, des Militär, der Nation, des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie der Bürokratie und ein vier-Stunden-Arbeitstag zur Produktion “sinnvoller” Produkte (siehe Teil 1 & 2 dieser Trilogie) - sollen als anarchistische Prinzipien Einzug in die Köpfe und in den Alltag der Menschen bekommen. Starre “Konstruktionspläne” einer herrschaftsfreien Gesellschaft wären demnach ein Widerspruch in sich selbst: zu unterschiedlich sind die Menschen und die Bedingungen, in denen wir in den jeweiligen Regionen leben. Der Anarchismus ist deshalb als eine Art Prinzip zu begreifen, das einem die Möglichkeit verschaffen kann, “anders” zu wirtschaften, hierarchiefrei miteinander umzugehen und andere Lebewesen zu respektieren. Er ist nicht (wie der “realexistierende Sozialismus”) im Übergang eines absterbenden Staates und einer “Diktatur des Proletariats” zu begreifen, sondern versucht, ohne “Übergangsphasen” eine herrschaftslose Gesellschaft zu errichten. Das alles ist dem Anarchismus sicherlich gutzuhalten. Doch der Weg dorthin wirft viele Fragen auf.

Wie kommt der Knochen zum Hund?
Es stellt sich die Gretchenfrage, wie so ein Bewußtsein “unter die Leute zu bringen” ist. Ansätze dazu gibt es in der anarchistischen Bewegung viele. Sehr fruchtbar sind sie jedoch nicht. Es gibt Kommunen, die versuchen anarchistische Prinzipien umzusetzen und “vorzuleben”. Manche von ihnen veranstalten Infotouren durch die BRD oder diskutieren auf dem Halbjahrestreffen der GRÜNEN LIGA. Anarchistische Publikationen wie die “Graswurzelrevolution” oder der “Schwarze Faden” erreichen nur wenige Menschen. Die anarchistische Literatur kennen die wenigsten. George Orwells “Mein Katalonien” und H.M. Enzensbergers “Der kurze Sommer der Anarchie” sind gerade noch geläufig. Andere haben vielleicht Ken Loachs Film “Land and Freedom” im Kino gesehen oder die Anarcho-Brit-Pop-Band Chumbawamba im Radio gehört. Im Internet gibt es neben www.anarchismus.de Webseiten wie www.anarchie.de, die der Seriösität der Inhalte mehr schaden als dass sie ihr nützen. Der Begriff Anarchismus ist von Punks stark vereinnahmt worden. Nach anarchistischen Prinzipien leben die allerwenigsten von ihnen. Die anarchistische Subkultur mit ihren Anarcho-Punkbands, Infoläden in (ehemals) besetzten Häusern und eigenen Verhaltensregeln ist ein hilfloser Versuch meist Jugendlicher, etwas Konstruktives aufzubauen. Wen spricht diese Subkultur denn an? Der Anarchismus hat Schwierigkeiten, über eine sehr eingleisige Jugend- Protestbewegung hinauszukommen. Zwar gibt es in vielen gesellschaftlichen Bereichen alte und junge Menschen, die sich AnarchistInnen nennen, doch ist ihr Aktionsradius gering.

Ein Ansatz wie der Anarchismus sollte für alle Menschen zugänglich sein; egal ob für Reiche, Arme, Dicke, Dünne, Schwarze, Weiße, Professorinnen, Punker oder Klavierlehrer. Diese Offenheit - insofern sie denn vorhanden ist - sollte nach außen getragen werden. Lediglich gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen anzusprechen, grenzt den Aktionsradius ein und erhebt die anarchistische Bewegung zu einer elitären (wenn auch marginalisierten) Avantgarde. Das Schema arm-reich als alles erklärendes Motiv für politisch-emanzipatorisches Handeln ist spätestens seit der “Diktatur des Proletariats” längst überholt. Sich auf soziale Konfliktfelder zu beziehen ist immer richtig. Das alleine ist jedoch sehr einseitig und ausgrenzend gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen. Es bestehen weitaus mehr soziale Schnittpunkte, als die Orientierung auf Geld, Wohlstand und Armut.

Abschied vom Proletariat
Der traditionelle Anarchismus ist in einer Zeit aufgewachsen, als die Grenzen zwischen oben und unten, zwischen Industrieproletariat und der Oberschicht klar definiert waren. Die Menschen waren auf der Straße und während der Arbeit besser ansprechbar als heute. Die Individualisierung und das Konsumverhalten waren lange nicht so ausgeprägt. Den Menschen in Deutschland ging es wirtschaftlich gesehen schlechter als heute. Ihre “Bedürfnisstrukturen” waren längst nicht so komplex wie 100 bis 200 Jahre später.

Es war damals keine Seltenheit, dass sich Menschen nach der Arbeit zusammensetzten, um anarchistische/sozialistische Publikationen zu lesen und zu diskutieren. Die materielle Not und ein gewisses Interesse trieb ArbeiterInnen in solche Gruppen und Organisationen. Sie erkämpften in Streiks und anderen Aktionen viele Verbesserungen, die wir heute als selbstverständlich betrachten. Ohne die Aktivitäten der sozialen Bewegungen (Gewerkschaften, Jugendbewegungen, Frauenbewegung, 1968er Revolte, etc.) würden wir heute wahrscheinlich die gesetzlich vorgeschriebene 60-Std. Woche arbeiten, hätten keine gesetzliche Kranken- und Sozialversicherung, Frauen hätten viel weniger Zugang zu Bildungseinrichtungen und bestimmten Jobs, usw. Das sind alles keine Selbstverständlichkeiten unserer Industriegesellschaft, sondern wurde zäh “von unten” durchgesetzt. Bezüglich der ungerechten Eigentumsverhältnisse und der sinnstiftenden Frage, wofür die Leute eigentlich arbeiten, entstanden Anknüpfungspunkte an anarchistische Ideen bzw. einer politischen Praxis. Doch auch die Solidarität war ein Motiv, sich dem anzuschließen. Gerade die “anarchistischen Köpfe” Kropotkin und Bakunin kamen aus wohlhabenden adligen Verhältnissen und entschieden sich für ein “armes aber ehrliches” Leben auf der Seite der Marginalisierten (im Russland des späten 19. Jahrhunderts taten das viele junge Adlige und Bürgerliche im Zuge der nihilistischen Bewegung).

Wer zu den einkommensschwachen Menschen gehört, will i.d.R. einen Stück vom großen Kuchen abhaben. Armut gibt es auch in den Industriestaaten wie der BRD. Sie ist aber lange nicht so existentiell wie in der sogenannten Dritten Welt. Der anarchistische Slogan “Wohlstand für alle” zielt knapp an dem vorbei, was sich die meisten Menschen erträumen. Der Proletarier, insofern es ihn heute noch gibt, träumt vom Einfamilienhaus, vom schnellen Auto und von anderen Verheißungen der bunten Konsum- und Plüschwelt, egal, welche Konsequenzen das für die Umwelt hat. (Die größten Energieverschwender sind nach einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung im privaten Bereich die Einfamilienhäuser; insbesondere der Bauart bis in die 70er Jahre.) In den heutigen Zeiten, in denen der Druck von unten stark nachgelassen hat, werden die sozialen Bedingungen ungleicher und an vielen Stellen verschlechtert. Das macht sich nicht nur ökonomisch bemerkbar.

Aber: sind die Menschen trotz oder aufgrund ihres materiellen Wohlstandes glücklich? Wer sich die wohlhabendere Seite der Gesellschaft näher ansieht, dem/der fällt auf, dass auch hier grundsätzliche Unzufriedenheiten bestehen. Unsere Gesellschaft ist schwer drogenabhängig (Medikamente, Alkohol, Nikotin, Zucker, Koffein, etc.), gewalttätig (öffentliche, private, verbale oder tätliche Gewalt gegen Kinder, Frauen, Andersdenkende, MigrantInnen, etc.), “verkopft” (Körper als Tragevorrichtung für den Kopf - krankheitsanfällig und physisch unbewußt), neigt zur Depression (im Jahre 1999 haben sich in der BRD 11.100 Menschen umgebracht - mehr als Verkehrsopfer) und mit mangelndem inneren Bezug zur Umwelt (Natur als großer Freizeitpark für den Menschen). Der einzelne Mensch verschwindet immer mehr in der Bedeutungslosigkeit. Er wird austauschbar und das, was er sagt, besitzt nicht mehr die Relevanz, wie vielleicht vor 30 Jahren. In der Diskussion um die sogenannte Postmoderne spricht der kanadische Philosoph Jean Lyotard vom “Tod des Individuums”. Die Bedeutung des eigenen Handelns relativiert sich vor der Komplexität der gesellschaftlichen Möglichkeiten und deren Vielfalt.

Der Anarchismus hätte die Möglichkeit, dem Individuum eine Perspektive anzubieten, die dem/der Einzelnen eine Aufwertung des eigenen Handeln innerhalb eines intakten Sozialgefüges verschafft. Der Mensch und nicht nur seine Arbeitsleistung steht hier im Mittelpunkt, auch wenn er sich gemäß der anarchistischen Theorie nicht als Mittelpunkt der Natur begreift. Doch die meisten der Aktionsformen der anarchistischen Bewegung sind nicht mehr zeitgemäß.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit
Bestimmte Ansätze, andere Menschen anzusprechen, um mit ihnen gemeinsam Politik zu machen, sind veraltet. Aktionsformen, die vor 100-200 Jahren die Aufmerksamkeit der Massen auf sich gezogen haben, sind heute längst überholt.

Wer liest sich denn noch Flugblätter durch und identifiziert sich mit deren Inhalten? Wer fühlt sich heute angesprochen, wenn es darum geht, den eigenen Wohlstand in Frage zu stellen? Wer will sich gerne zu den einkommensschwachen Schichten zählen? Wer sucht - ganz aus Eigenantrieb - eine anarchistische Gruppe auf, um sich ihr anzuschließen? Aktionsformen wie die üblichen Demonstrationen, Infotische, Flugblätter erreichen heute kaum noch Menschen. Wo liegen heute die Anknüpfungspunkte von AnarchistInnen und dem “Rest der Gesellschaft”? Diese Frage ist nicht nur hinsichtlich des Anarchismus interessant. Auch die GRÜNE LIGA sollte sich fragen, ob ihre Aktionsformen noch “zeitgemäß” sind und wen sie damit erreicht.

Politische Aktionsformen sind heute ohne ausgereiftes PR-Konzept (siehe z.B. Greenpeace, die Berliner Anti-Olympia-Kampagne, Aktion Notausgang gegen rechts) relativ erfolglos. Wer seine Botschaften bekannt machen will, muss sich den (subtilen) Mitteln der Werbung bedienen (beispielsweise beim Spendenmailing der GRÜNEN LIGA erfährt mensch so etwas). Zudem werden wir heutzutage von Informationen überflutet - im Fernsehen, Internet, im Briefkasten, etc. Das Internet als Plattform “gleichberechtigt” miteinander vernetzter User bietet zudem Möglichkeiten des Austausches. Will der Anarchismus die ganze Bevölkerung auf einmal erreichen? Welche Wirkung haben “plakative”, symbolische Aktionen in der Öffentlichkeit? Welche Macht und wieviel finanzielle Mittel werden benötigt, um politische Botschaften an die “breite Masse” zu transportieren?

Nach PR-Grundsätzen funktioniert ein Konzept nur, wenn es auf vielen Ebenen gleichzeitig einen Synergieeffekt beinhaltet, egal, ob lediglich im regionalen oder bundesweiten Rahmen. Hinzu kommen Kriterien wie Kontinuität, Aktualität, (Fach-) Information und Exklusivität. Wer wie die anarchistische Bewegung seine Ideen verbreitern will, kommt um ein ganzheitliches PR-Konzept nicht herum.

Dieses ist bis auf wenige Ausnahmen in der anarchistischen Bewegung nicht zu erkennen. Es stellt sich hierbei die Frage, ob es den Prinzipien des Anarchismus entspricht, mit den Mitteln zu kommunizieren, mit denen die Menschen “verblödet” werden. Aber: “verblödet” werden kann mensch mit allem, was er/sie zu lesen bzw. zum Konsumieren bekommt. Die Frage nach einem zeitgemäßen PR-Konzept ist nicht das einzige Problem der anarchistischen Bewegung, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden.

AnarchistInnen leben gefährlich
Wer nach außen hin offen seine/ihre “anarchistische Gesinnung” trägt, begibt sich in Gefahr, von Rechtsextremen überfallen zu werden. Z.B. ist in Schweden letzten Herbst der 41-jährige Anarchosyndikalist Björn Söderberg von drei Neonazis erschossen worden. Er hatte die Behörden auf neonazistische Aktivitäten hingewiesen. In der ost- schwedischen Stadt Gävle wurde zeitgleich auf ein Büro der anarchistischen Organisation SAC ein Sprengstoffanschlag verübt. Diese Fälle erstrecken sich nicht nur auf Schweden, sondern sind in allen Ländern anzutreffen - wenn auch in unterschiedlicher Gewaltschwelle. Historisch gesehen standen AnarchistInnen an vorderster Front gegen faschistische Organisationen. Gleich nach der Macht- übernahme der Nazis waren die AnarchistInnen neben den KommunistInnen die ersten, die ermordet wurden. Der Schriftsteller Erich Mühsam wurde wie viele andere Mitglieder anarchistischer oder kommunistischer Organisationen mit als erste verschleppt und hingerichtet. Ähnliche Schicksale ereilten viele AnarchistInnen in den Diktaturen in Italien, Spanien, Sowjetunion, Griechenland, Türkei und anderswo.

Der wachsende Rechtsextremismus zeigt eine Schwäche der Linken. Er ist einerseits Ausdruck einer sozialen Unzufriedenheit, andererseits eine Gefahr für eman- zipatorische Ansätze. Doch nicht nur der Rechtsextremismus macht den AnarchistInnen zu schaffen.

Der Staat sieht es zudem nicht gerade als “demokratisch”, von AnarchistInnen abgeschafft zu werden. Alles, was im Sinne der “Freiheitlich Demokratischen Grundordnung” der BRD als “demokratiefeindlich” eingestuft wird, unterliegt dem Paragraphen 129a, StGB (Bildung, Unterstützung und Werbung einer “terroristischen Vereinigung”). Anarchistische Gruppen, auch wenn sie sich “gewaltfrei” nennen, stehen zumindest unter Beobachtung des Staatsschutzes (zu Ostzeiten hat die Stasi über sie gewacht). Es gibt hierzulande zwar relative Pressefreiheit, jedoch auch ausreichend Fälle von politischer Pressezensur (im Westen wie im Osten ebenso vor 1990). Das ist alles wichtig, um einzuschätzen, unter welchen Bedingungen in der BRD Soziale Bewegungen Politik machen können. Anarchistische Gruppen bewegen sich ständig in einer Art Grauzone zwischen demokratisch garantierter Meinungsfreiheit und Überwachung sowie Verfolgung durch den Staatsschutz u.a. auf Grundlage des Paragraphen 129a, StGB. Das alles sollte jedoch nicht abschrecken, seine Meinung kundzutun und sich politisch zu betätigen. Wie heißt es in diesem Zusammenhang: “wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht”.

Bookchins Öko-Anarchismus
Zum Schluss dieser Trilogie will ich dort enden, wo die Umweltbewegung bzw. Menschen innerhalb der GRÜNEN LIGA zu diskutieren beginnen. Dazu ziehe ich den us-amerikanischen Anarchisten und Philosophen Murray Bookchin heran. Er diskutiert in seinen Büchern u.a. die Umweltbewegung aus anarchistischer Sicht. Bookchin gehört zu den Theoretikern, die sich mit zeitgemäßen ökologischen Fragen auseinandersetzen.

Er schreibt: “Mit dem endlosen Palaver über eine mögliche ökologische Apokalypse - sei es aufgrund der Ver- schmutzung, der industriellen Expansion oder des Bevölkerungswachstums - wird die eigentliche Krise der Menschheit verschleiert, die nicht allein technologischer oder ethischer, sondern von tiefgreifender gesellschaftlicher Art ist. Statt mich mit dem Ausmaß der Umweltkrise zu befassen oder mich mit der oberflächlichen Denunzierung ‘Umwelt- verschmutzung bringt Profite’ zu begnügen, anstatt zu behaupten, dass irgendein abstraktes ‘Wir’ dafür verantwortlich ist, wenn zu viele Kinder geboren werden oder eine Industrie zuviele Gebrauchsgüter herstellt, möchte ich fragen, ob die Wurzeln der Umweltkrise nicht bis an die Grundfesten unserer Gesellschaft reichen und ob die Veränderungen, die nötig sind, um ein neues Gleichgewicht von Natur und Gesellschaft herzustellen, nicht vielmehr von einem grundlegenden Wiederaufbau der Gesellschaft entlang ökologischer Linien abhängen. (...) ‘Umweltschutz’ hinterfragt nicht das grundlegende Selbstverständnis der gegenwärtigen Gesellschaft, dass der Mensch die Natur beherrschen müsse; im Gegenteil: sie versucht diese Herrschaft durch die Entwicklung von Techniken zu erleichtern, die die Risiken der Naturbeherrschung verringern.”

Weiterhin führt Bookchin aus: “Wenn wir die ökologische Katastrophe meistern wollen, müssen wir dezentralisieren, die bioregionalen Formen der Produktion und des Anbaus von Nahrungsmitteln wieder einführen, unsere Technologien differenzierter gestalten, sie wieder auf menschliche Maße zurecht schneiden und überschaubare demokratische Formen entwickeln. (...) Für mich liegt die Bedeutung alternativer Technologien nicht nur in der Erneuerbarkeit ihrer Energiequellen; unendlich mehr beschäftigt mich die Vorstellung, dass diese Technologien einen erneuten Kontakt des Menschen zum Boden, zur Tier- und Pflanzenwelt, zur Sonne und zum Wind ermöglichen, kurz: dass sie zu einer neuen Sensibilität für die gesamte Biosphäre führen.”

Sogenannte Öko-AnarchistInnen wie Janet Biehl oder Murray Bookchin kritisieren, dass die Menschen die Umwelt nach Profitinteressen und Machtstreben gestalten. Sich selbst als Teil vom großen Ganzen wahrzunehmen, ist durch die Bedingungen der Industriegesellschaft weitgehend verloren gegangen. Der Anarchismus ist ein Weg, der die Menschen zu einem schonenden Umgang mit sich selbst und der Umwelt führt. Anstatt sich zusehr an kleinen Problemen den Kopf zu zerbrechen und ihre Kraft auf langfristig aussichtslose Reformprojekte zu setzen, sollten die Menschen mit alternativen Lebensweisen anfangen. Schließlich soll Veränderung auch für den Einzelnen Spaß und Sinn bringen. Murray Bookchin formulierte es 1981 so: “1968 schrieben französische Studenten jenen Wahlspruch ‘Seid realistisch - tut das Unmögliche’ an die Mauern in Paris; ich füge diesem Slogan ein weiteres Wort hinzu: ‘Wenn wir nicht das Unmögliche zuwege bringen, wird das Undenkbare eintreten.” Ist das zeitgemäß?

 

Oliver C. Pfannenstiel
von der Redaktion des 'Alligator'
Zeitung der Grünen Liga: www.grueneliga.de

 

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