Daß wir nach dem Kauf eines Hemdes auf Schritt und Tritt abgehört werden, ist zwar nicht vorgesehen, wäre nach der
Einführung von "Smartlabels" und "Transpondern" in allen Arten von Waren technisch nur noch ein kleiner Schritt. Und
was so ein kleines Elektronikbauteil tatsächlich zu leisten in der Lage ist, kann niemand mit bloßem Auge erkennen...
Während zufällig gerade heute die geplante automatische Überwachung des gesamten Autoverkehrs in den Massenmedien
schlagartig bekannt wurde, ist die geplante Speicherung des gesamten Konsumverhaltens durch eine tröpfchenweise
wohldosierte Informationspolitik seit letztem Sommer noch kaum ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Mit dem Scannen
der Autokennzeichen aller vorbeifahrenden Autos an Verkehrsknotenpunkten können sogenannte Bewegungsprofile erstellt
werden. Die gesammelten Daten sollen zwar angeblich nur zum Abgleich mit dem Fahndungs-Computer genutzt werden
und der Verbrechensbekämpfung dienen. Alle anderen Daten würden unverzüglich gelöscht. Geschaffen wird damit jedoch
die Infrastruktur für einen Überwachungsstaat, ein gigantisches Machtinstrument, die geradezu danach schreit, in die
falschen Hände zu geraten.
Ein weiteres Segment der totalen Überwachung stellen die bereits vielerorts installierten Videokameras dar. Zumindest in
Baden-Württemberg hat sich herausgestellt, daß der versprochene Effekt der Kriminalitätsbekämpfung recht fraglich
ist1. Eine Vernetzung der in den verschiedenen Segmenten gewonnenen Daten und deren zentrale
Speicherung ist technisch leicht möglich und beim Blick vom Stuttgarter Rotebühlplatz in die Videokamera schwerlich
zu erkennen.
Und die Möglichkeiten sind damit noch längst nicht erschöpfend aufgezählt wie das Beispiel des als Abhörgerät
einsetzbaren Laptops2 zeigt...
Was können nun die "Smartlabels" oder "Transponder" am Joghurtbecher oder am Hemdkragen heute bereits leisten?
"Radio Frequency Identification" (RFID) - also Identifikation durch Elektromagnetische Wellen - ist die Aufgabe der
Waren-Chips, die auch als Funk-Etiketten oder Tags bezeichnet werden. Sie senden eine Codenummer aus. Bei der
Leistungsfähigkeit, mit der die Waren-Chips beispielsweise bereits in der britischen Supermarkt-Kette Tesco ausgestattet
sind, ist ihre Reichweite lediglich rund 30 Meter. Dies läßt sich jedoch durch ein entsprechend engmaschiges Netz von
Relaisstationen ausgleichen. Im Supermarkt kann mit diesen Chips ganz harmlos geprüft werden, ob die Regale noch
genügend gefüllt sind - oder im Zusammenspiel mit der EC-Karte ein "Kundenprofil" erstellt werden: Welche Waren
werden von welchen KundInnen mit welcher Bonität wie häufig gekauft?
Doch selbst die pure Ortung der Waren ist nicht so harmlos wie es auf den ersten Blick erscheinen mag: RFID-Chips
können schon bald die KassiererInnen arbeitslos machen. An vollautomatischen Kassen wie sie bereits aktuell vom größten
bundesrepublikanischen Handels-Konzern Metro in der Praxis erprobt werden, wird die Rechnung automatisch mit der
elektronischen Erkennung der Waren im Einkaufswagen (oder der Hosentasche) erstellt. KaufhausdetektivInnen werden
also ebenso arbeitslos. Diese Chips sind bereits heute so klein, daß sie sich problemlos in den Waren versteckt werden
können und von KundInnen nicht zu erkennen sind.
Neu ist an dieser Entwicklung lediglich die Miniaturisierung, denn die Transponder-Technik kommt beispielsweise bei der
Verfolgung und Erfassung des Vermarktungsweges von Tieren oder Containern schon lange zum Einsatz. Auch als
elektronische Fußfesseln bei StraftäterInnen waren sie schon in die öffentliche Diskussion geraten. Und sogenannte
passive Transponder, die selbstständig keine Signale abgeben, erfüllen praktisch dieselben Aufgaben. Bei einem genügend
engmaschigen Netz an "Lesegeräten", die ein Signal aussenden und den Transponder erkennen, ist die permanente
Lokalisierung ebenfalls gewährleistet.
Im Zusammenspiel mit Kundenkarten, Kredit- und Payback-Karten sind der Durchleuchtung der KundInnen praktisch keine
Grenzen gesetzt. John Stermer, Vizepräsident bei der eBusiness-Marktentwicklung des Konzerns ACNielsen gibt
unumwunden zu: "RFID ermöglicht die Verbindung aller Produktinformationen mit einer spezifischen Konsumentenidentität,
das heißt mit demografischen und psychologischen Größen." "MarktforscherInnen" wissen dann in Zukunft bereits im
Voraus, was die KundInnen wünschen, noch bevor diesen der Wunsch selbst bewußt wird. Selbstverständlich wird auf
diesem Wege auch eine soziale Selektion möglich. KundInnen verschiedener Bonität bekommen dann ganz verschiedene
Angebote... oder auch dieselben zu verschiedenen Preisen, da die Preise nicht mehr schwarz auf weiß abgelesen werden
können.
Der US-amerikanische Einzelhandels-Konzern Wal-Mart will in den nächsten Jahren drei Milliarden Dollar in die Einführung
der Waren-Chips investieren. Auch die Zulieferer werden dann gezwungen sein, bis Anfang 2005 ihre Produkte mit
Waren-Chips auszustatten. Und auch in vielen anderen Bereichen sollen die Identifikations-Chips eingesetzt werden: In
einer privaten US-amerikanischen Schule werden sie bereits genutzt, und die täglichen Wege von SchülerInnen und
LehrerInnen zu überwachen. Sie sollen in elektronische Fahrkarten und Ausweise integriert werden und die Europäische
Zentralbank plant, in Zukunft damit Geldscheine auszustatten
Doch Gegenwehr ist möglich: Techniker im Auftrag der Bürgerrechts-Organisation FoeBud aus Bielefeld entwickeln ein
Gerät, das versteckte Chips aufspürt. So können KundInnen bewußt entscheiden, ob sie Waren mit eingebautem Chip
akzeptieren oder nicht. Und ebenso bleibt die Wahl direkt beim Bauern oder im kleinen Bioladen einzukaufen.
Harry Weber
Anmerkungen:
1 Siehe unseren Artikel
'Videoüberwachung mit mäßigem Erfolg' v. 23.01.03
2 Siehe unseren Artikel
'Das Laptop als Wanze' v. 2.04.01