19.09.2003

Kommentar

Speicherlecker,
die Blut geleckt haben

Zu der Forderung von Walensa, Havel und Göncz nach
Castros Sturz

Es ist immer von Vorteil, den eigenen Standpunkt1 abseits zweier verfeindeter Lager bereits vor Ausbruch offener Feindseligkeiten öffentlich erklärt zu haben, um sich bei Kritik an der stärkeren Seite nicht mit der schwächeren zwangssolidarisieren oder - als noch peinlichere Alternative - distanzieren zu müssen.

Beginnen will ich mit der schwächeren Seite, mit Castro: Bei allem, was mensch ihm vorwerfen kann und bei aller Unerträglichkeit einer vielstündigen Rede (okay, Respekt für die physische Leistung!) hat der alte Mann in der Karibik wohl nicht nur geographisch genügend Abstand, um die aktuelle Entwicklung in Europa mit bewundernswertem Scharfsinn zu analysieren. In seiner Rede am 26. Juli, dem 50. Jahrestag der Erstürmung der Moncada-Kaserne und damit dem entscheidenden Erfolg beim Sturz der Batista-Diktatur, führte Castro wörtlich aus:

"Der EU werden sich bald Länder anschließen, die früher der sozialistischen Gemeinschaft angehörten. Die dort regierenden Opportunisten, die den US-Interessen treuer sind als denen Europas, werden trojanische Pferde der Supermacht in der Europäischen Union sein. Sie sind voll Haß gegen Kuba, das sie allein gelassen haben und dem sie nicht verzeihen, widerstanden und bewiesen zu haben, daß der Sozialismus in der Lage ist, eine tausend mal gerechtere und humanere Gesellschaft zu erreichen als das verfaulte System, das sie angenommen haben."

Lassen wir mal beiseite, daß er immer noch nicht davon lassen kann, die Idee des Sozialismus verächtlich zu machen, indem er sie mit der untergegangenen Diktatur der UdSSR und seinem Regime in einem Atemzug nennt. Und allen NostalgikerInnen und Castro-Fans sei zugestanden, daß das nach Weltherrschaft strebende Regime der USA noch widerwärtiger ist. Und auch darin hat Castro unrecht, daß er den Antrieb der treffend als Opportunisten beschriebenen US-Vasallen in den östlichen EU-Anwärterstaaten im Haß auf Kuba zu entdecken meint. Opportunisten haben schlicht eine fein ausgeprägte Witterung für die stärkere Seite - und die USA sind eindeutig der EU überlegen. Und ob Kuba, das tatsächlich - und beeindruckend im Vergleich zu den übrigen mittel- und südamerikanischen Staaten - enorme, wenn auch nicht tausendfache, Überlegenheit in der sozialen Versorgung der Bevölkerung vorzuweisen hat, die Herren Opportunisten damit beeindrucken kann oder ihnen gar "bewiesen" hätte, sich für die falsche Seite entschieden zu haben, ist doch recht fraglich. Und in noch einer weiteren Nebensächlichkeit liegt Castro falsch: Es geht auch hier nicht um eine simplifizierende Entweder-oder-Alternative, um US-Interessen versus EU-Interessen. Denn die EU-Interessen, das hat einmal mehr der aktuelle WTO-Gipfel gezeigt2, stehen denen der armen Länder, denen von zwei Dritteln der Menschheit und dem Überleben des Planeten ebenso unversöhnlich gegenüber wie die der USA, wie eben die Interessen der großen Konzerne, die sich hinter denen der Staaten oder Staatenbünde verbergen.

In der Hauptsache jedoch liegt Castro goldrichtig: Innerhalb des Interessen-Konfliktes zwischen der USA und der EU, der letztlich darin besteht, welches politische Gebilde denn den Part des Überbaus einer globalisieren Wirtschaft übernehmen wird, spielen die Staaten des ehemaligen Ostblocks ebenso wie die Türkei (und die nannte sich nie sozialistisch noch war sie je ein Vasall der UdSSR!) die Rolle von Trojanern. Um einmal vom hinkenden Vergleich mit dem Trojanischen Pferd zum passenderen aus der modernen Computer-Technologie zu wechseln: Sie wirken wie heimlich eingeschleuste Computer- Programme, die, ohne daß es an der Oberfläche ersichtlich wird, das System von außen zu steuern und zu manipulieren erlauben.

Aber, auch wenn es Dank der PR-Künste mancher europäischen Regierungen anders erscheinen mag, so sind auch die nach außen hin gegen die US-Politik widerspenstig erscheinenden Regierungen des "alten" Europa in Folge der wirtschaftlichen und erst recht militärischen Schwäche schon längst auf dem Weg der Anpassung an die US-Interessen und des sukzessiven Verlusts der seit dem Zweiten Weltkrieg immer schon eingeschränkten Souveränität.

Daß Fidel Castro die Herren Lech Walesa (Polen), Vaclav Havel (Tschechien) und Arpad Göncz (Ungarn) so treffend als Opportunisten und Speichellecker charakterisierte und ihre geheime Funktion im globalen Spiel so gnadenlos aufdeckte, hat diese nun allerdings dazu angestachelt, seinen Sturz zu fordern. Wie getroffene Hunde, die bellen, versuchen sie, ihm Contra zu geben. In einem Artikel in der 'Neuen Züricher Zeitung' maßen sie sich an, Castro anzuklagen. Nicht zu unrecht vergleichen sie die Situation in Kuba mit der ihrer eigenen Länder Ende der 80er Jahre vor dem Zusammenbruch des Sowjet-Reichs. Doch gerade ihr eigenes Beispiel zeigt den KubanerInnen eindringlich wie leicht es ist, vom Regen in die Traufe zu kommen.

Walensa, Havel und Göncz erdreisten sich, der kubanischen Opposition ihre stinkende Hand zu reichen. Sie wollen einen Fonds einrichten, um die kubanische Opposition finanziell zu unterstützen, nein, um diese zu finanzieren. Es ist den KubanerInnen, die für ihre sozialen und demokratischen Rechte kämpfen, nur zu wünschen, daß sie nicht der alten Logik verfallen und meinen, der Feind ihres Feindes sei ihr Freund. Jede echte kubanische Opposition wird eine Unterstützung sei es durch CIA oder irgendwelche europäischen Fonds schon allein um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, aber auch weil eine solche niemals uneigennützig und ohne versuchte Einflußnahme wäre, zurückweisen.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen:
1 siehe unseren Artikel
Die Provokationen der US-Administration und die Verhärtung des kubanischen Regimes vom 7.05.03

2 siehe unseren Artikel
WTO gescheitert vom 16.09.03

 

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