18.04.2009

Datenschutz-Affaire
bei Drogeriekette Müller?

Systematische "Krankenrückkehrgespräche"

Immer mehr Datenschutz-Affairen in Unternehmen kommen ans Licht: Nach Bahn, Telekom, Lidl und Daimler soll nun auch die Drogeriekette Müller MitarbeiterInnen bespitzelt haben. Die Gewerkschaft ver.di vermutet, derartige Praktiken könnten noch weiter verbreitet sein.

Auch die Drogeriekette Müller hat möglicherweise systematisch gegen den Datenschutz verstoßen. Die Befragung zur Erfassung von Krankheits-Daten erfolgt bei der Firma, die 18.000 Menschen beschäftigt, nach den Recherchen der 'Süddeutschen Zeitung' mit System: Das zeigt ein Formular mit der Überschrift "Krankenrückkehrgespräch", das nun veröffentlicht wurde. Es trägt das Firmenlogo sowie die Namen der Filiale der Drogeriekette.

Wer krankheitsbedingt ausfalle, werde nach seiner Rückkehr zum Gespräch mit dem Vorgesetzten zitiert, berichtete ein Müller-Mitarbeiter der 'Süddeutschen Zeitung'. Nach dem Ausfüllen werde der Fragebogen von beiden Gesprächsteilnehmern unterzeichnet. Unter anderem soll der Mitarbeiter darüber Auskunft geben, ob er wegen "derselben Ursache im laufenden Kalenderjahr bereits krank gewesen" oder "die Genesung vollständig abgeschlossen" sei.

"Keine Frage, solche Fragebögen sind illegal", stellt Rainer Dacke von der Gewerkschaft ver.di fest. Woran ein Beschäftigter leide und ob er wieder vollständig gesund sei, gehe den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an. Dacke liegen diverse Hinweise von Müller-Mitarbeitern vor, wonach solche Gespräche zum Krankheitsverlauf bei der Drogeriekette üblich seien. "Viele der Betroffenen trauen sich nicht, solche Auskünfte zu verweigern, obwohl sie wissen, dass dies gesetzlich nicht zulässig ist", sagt Dacke. Die Müller-Geschäftsführung ließ Anfragen zur Praxis der Krankenrückkehrgespräche bis dato unbeantwortet.

Fälle wie Müller oder Lidl zeigen nach Ansicht Dackes jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das gezielte Ausforschen und Sammeln von Krankheits-Daten ist laut Dacke im Handel weit verbreitet. Er nannte in diesem Zusammenhang auch den Müller-Konkurrenten Schlecker. Dort führten leitende Angestellte ebenfalls Buch über die Krankheiten ihrer Untergebenen.

In den vergangenen Wochen hatten bereits eine Affaire um Krankendaten von Beschäftigten beim Discounter Lidl für Aufsehen gesorgt. Am Mittwoch war bekannt geworden, daß auch im Bremer Werk des Auto-Konzerns Daimler illegal Krankendaten von Beschäftigten erfaßt worden sind. Der Konzern hat mittlerweile einen entsprechenden Bericht von Radio Bremen bestätigt. Erst im Januar war Daimler vom baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten wegen rechtswidriger Speicherung und Weitergabe von Gesundheits-Akten der Beschäftigten im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim gerügt worden. Ende März mußte Hartmut Mehdorn im Zuge der lange anhaltenden und bis heute nicht vollständig geklärten Bespitzelungs-Affaire bei der Bahn zurücktreten.

Bei Müller haben gewerkschaftlich organisierte MitarbeiterInnen noch einen weiteren Grund zu klagen. Die Geschäftsführung versuchte, eine Betriebsratswahl zu torpedieren. Nachdem das Gremium für ein Neu-Ulmer Lager mit 170 Mitarbeitern am Mittwochabend gewählt war, teilte Müller mit, das Lager zum 1. Mai an die Firma Honold Contract Logistics, einen Kunden der Drogeriekette, zu verkaufen. "Offenbar zerschlägt Erwin Müller lieber sein Imperium, als die Mitbestimmung zuzulassen", sagt Dacke.

Branchenexperten bezeichnen Erwin Müller als "einen stillen Riesen, den wenige kennen, aber viele im Handel fürchten." Zu fürchten haben den Patriarchen wohl auch seine engsten Mitarbeiter, die ihm in den letzten Jahren reihenweise abhanden kamen. So kündigte der erst im Oktober angetretene Vertriebs- und Einkaufschef Gerhard Kramer unlängst an, er werde das Unternehmen nach Ablauf seines Vertrags 2011 wieder verlassen. Für den Einkauf ist Kramer von sofort an nicht mehr zuständig. Der 47-Jährige galt als Kronprinz des mittlerweile 76-jährigen Firmengründers. Die Nachfolgefrage im Drogerie-Imperium ist also nach wie vor ungelöst.

Jahrelang hatte Erwin Müller versucht, seinen einzigen Sohn Reinhard, 49, als künftigen Firmenchef aufzubauen. Vor drei Jahren aber setzte er ihn wegen Differenzen als zweiten Geschäftsführer ab.

Erwin Müller gebietet nach Schlecker, dm-Markt und Rossmann über die viertgrößte deutsche Drogeriemarktkette mit 450 Filialen und mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz. Der gebürtige Münchner und gelernte Friseur setzt im Gegensatz zur Konkurrenz nicht allein auf Drogerieartikel. In den bis zu 4000 Quadratmeter großen Kleinkaufhäusern verkauft er auch Spielzeug, Haushaltswaren oder Musik-CDs. Bei der Expansion geht Müller langsamer vor als die Konkurrenz. Während diese rund 100 neue Geschäfte pro Jahr eröffnen, begnügt sich der Ulmer Unternehmer mit etwa 20 neuen Filialen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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