Herber Verlust für Flugzeug- und Automobil-Lobby
Seit Freitag waren neue Details im Überwachungs-Skandal bei der Bahn AG bekannt geworden.1 Vieles deutet darauf hin, daß auch eMails von Bahn-MitarbeiterInnen systematisch nach Kontakten zu JournalistInnen und Mehdorn-KritikerInnen durchsucht worden waren. Und daß dies von niemand anderem als vom Strategie-Chef Alexander Hedderich, einem von Hartmut Mehdorns engsten Mitarbeitern, in Auftrag gegeben worden war. Nachdem Mehdorn noch am Freitag einen Rücktritt weit von sich gewiesen hatte, mußte er heute nach massivem Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel seinen Rücktritt als Bahn-Chef erklären. Ein Nachfolger ist allerdings noch nicht in Sicht.
Der mittlerweile 66-jährige Mehdorn erlitt dabei dasselbe Schicksal wie Telekom-Chef Ron Sommer im Juni 2002. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte im Wahlkampf weitere negativen Schlagzeilen um den krisengeschüttelten Telekom-Konzern vermeiden und ein Zeichen setzen. Merkel folgte heute ähnlichen Motiven.
Fast zehn Jahre lang durfte "Bahn-Terminator" Hartmut Mehdorn, der 1999 von "Rot-Grün" mit dem inoffiziellen Auftrag eingesetzt worden war, die Bahn als Massenverkehrsmittel zu zerstören, nach Herzenslust schalten und walten. Unter seiner Ägide wurden im Bahn-Bereich 45.000 Beschäftigte entlassen. Seit Beginn der "Bahnrefom" im Jahr 1994 wurde die Zahl der Beschäftigten von 360.000 auf 220.000 reduziert. 1960 waren bei der Deutschen Bahn - auf dem Territorium der alten Bundesrepublik - noch 800.000 Menschen beschäftigt. Seit 1960 wurde das Autobahn-Netz verdreifacht. Im Gegenzug wurde das Schienen-Netz seit 1960 um rund 25 Prozent reduziert. Das Schienen-Netz wurden allein zwischen 1994 und 2005 um 5.300 Kilometer "gesundgeschrumpft", massenweise wurden Bahnhöfe verkauft und ganze Regionen vom Schienen-Netz abgekoppelt. Gab es in den 90er Jahren noch 13.629 Gleisanschlüsse für Firmen, waren davon 2004 weniger als ein Drittel übrig. Um die so oft als positiv bewertete Bilanz Mehdorns zu prüfen, sollte beispielsweise ein Blick auf eine der Kernzahlen der Bahn geworfen werden: Im Jahr 2000 lag die Verkehrsleistung im Fernverkehr bei 36,2 Milliarden Personenkilometern. 2007 lag sie bei 34,2 Milliarden.
Die Flugzeug- und Automobil-Lobby hatte in Mehdorf einen idealen Verbündeten und auch die verschiedenen Bundesregierungen - ob "schwarz-gelb", "rot-grün" oder "schwarz-rot" - erfüllten ihre Pflicht: Der Straßenverkehr - und damit indirekt die Mineralölindustrie und die Automobilindustrie - werden verdeckt jährlich mit rund 77 Milliarden Euro subventioniert. Allein die Subventionierung des Flugverkehrs durch die Steuerbefreiung von Flugbenzin (Kerosin) belastet den deutschen Bundeshaushalt jährlich mit 4,7 Milliarden Euro. Die Bahn AG erhielt dagegen jährlich insgesamt nur rund 2 Milliarden Euro an Subventionen - unterm Strich blieb so die Benachteiligung des umweltfreundlichen Verkehrsträgers vor den umweltschädigenden bestehen. Unabhängige Studien haben erwiesen, daß die Klimaschädlichkeit des Staßenverkehrs dreimal so groß und die des Luftverkehrs sieben mal so groß ist wie die des Bahnverkehrs.
Mehdorn scheiterte, als er 2002/2003 das Tarifsystem der Bahn den Gepflogenheiten des Flugverkehrs anpassen wollte. Doch auch Positives soll nicht verschwiegen werden. So klagte die Bahn AG 2006 gegen die Steuerfreiheit von Flugbenzin (Kerosin), die auch "Rot-Grün" entgegen allen umweltpolitischen Versprechen beibehalten hatte. "Rot-Grün" hatte im Gegenteil die Bahn zusätzlich zur Mineralölsteuer mit der "Ökosteuer" belastet. Doch der Europäische Gerichtshof verwarf die Klage Mehdorns im Juli 2006.
Ende 2006 ließ Mehdorn 170 intakte InterRegio-Waggons mutwillig zerstören. Mit dem Ziel das Hochpreis-Segment mit der zahlungskräftigen Kundschaft der ICE zu stärken war die überaus erfolgreiche Zuggattung InterRegio schrittweise eingestellt worden. Offen erklärte damals der Bahn-Vorstand Otto Wiesheu vor dem Verkehrsausschuß des Bundestages, daß die Deutsche Bahn AG durch die Zerstörung der Waggons verhindern wollte, daß Konkurrenten die Wagen kaufen und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten.
Die "schwarz-rote" Bundesregierung deckte trotz aller Warnungen von Fachleuten die Privatisierungspläne Mehdorns. So kommentierte die 'Neue Züricher Zeitung' 2007: "Die Regierung wird damit ein letztes Mal das Parlament übergehen, dessen Verkehrsexperten stets eine viel kritischere und differenziertere Haltung vertreten hatten als das von der SPD dominierte Verkehrsministerium, das in ziemlich eigenartiger Interpretation seiner Aufgaben stets alles getan hat, um die zu 100% staatseigene Bahn und ihren energischen Chef, Hartmut Mehdorn, zufriedenzustellen." Und dies, obwohl Umfragen von Emnid und Forsa zeigten, daß rund 70 Prozent der Deutschen sich gegen die Bahnprivatisierung aussprechen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß Mehdorn selbst desolate Umfragewerte einstecken mußte, wenn nach der "Beliebtheit" deutscher Manager gefragt wurde.
Im Oktober 2007 wurde eine Geheimstudie der Bahn AG bekannt. Aus den darin enthaltenen Plänen wurde ersichtlich, daß bei einem Börsengang der Bahn das Schienen-Netz um weitere 8.000 bis 14.000 Kilometer reduziert werden soll. Im Vergleich dazu: 2007 umfaßte das deutsche Schienen-Netz noch rund 34.000 Kilometer. Desweiteren ist darin geplant, den Zustand der Gleise und Bahnhöfe lediglich auf einem "ausreichendem" Niveau halten. Dies gelte sowohl für die Betriebs- als auch für die Sicherheitstechnik. Rund drei Viertel aller Bahnhöfe stehen auf der Verkaufsliste.
Beim den monatelangen Tarif-Auseinandersetzungen mit der GDL 2007/2008 zeigte Mehdorn sich als mit allen Wassern gewaschener Manager, der auch nicht davor zurückschreckte, den Streit vor ihm genehme Gerichte zu zerren, um so immerhin Zeit zu schinden. Im November 2007 jedoch zeigte er Nerven und brüskierte Kanzlerin Merkel mit einem Brief, in dem er ein staatliches Einschreiten gegen Minigewerkschaften wie die GDL forderte - mitten in dem harten Tarifkampf mit den Lokführern. Weil Mehdorn den Brief aber nicht nur ihr, sondern gleich allen Chefs der Dax-30-Konzerne und den führenden Wirtschaftsverbänden schickte, stieß er bei Merkel auf wenig Gegenliebe. "Obwohl die Bahn zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist, muß sie sich als Wirtschaftsunternehmen verhalten", ließ sie Mehdorn kühl via Interview wissen. Diese Episode paßt nicht so recht ins Bild des Bullen Mehdorn, der sich von nichts aufhalten läßt. Hier agierte er eher in der Art eines kleinen Raufbolds, der in der Bedrängnis plötzlich nach der Hilfe des älteren Bruders ruft.
In GDL-Chef Manfred Schell fand Mehdorn schließlich seinen Meister und mußte im Januar 2008 mit sichtlichem Groll einer Lohnerhöung um 11 Prozent und der Absenkung der Wochenarbeitszeit von 41 auf 40 Stunden zustimmen. Nebenbei bemerkt: Mehdorn hatte sich selbst zuvor eine Erhöhung seines Gehalts um 77 Prozent auf 3,18 Millionen Euro im Jahr genehmigt.
Seine größte Niederlage jedoch mußte Mehdorn im Oktober 2008 einstecken, als der Börsengang der Bahn infolge der Weltwirtschaftskrise abgeblasen werden mußte. Dabei hatte der Bundestag die Pläne mit unbedeutenden Abstrichen im Mai 2008 mehrheitlich abgenickt und der Börsengang schien nach jahrelangen heftigen Proteste nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Selbst über die von ihm selbst eingeführten "Corporate Governance"-Grundsätze setzte er sich ungeniert hinweg. Diese verlangen bei der Bahn, daß Vorstände im Alter von 65 Jahren ausscheiden.
Daß Mehdorn in den Mainstream-Medien zum Abschied Lorbeer-Kränze geflochten werden, ist kaum anders zu erwarten. Doch den Vogel schießt diesmal die 'taz' ab, die doch immer noch als links-liberal gilt. So kürt die 'taz' allen ernstes Mehdorn "zum besten Bahnmanager aller Zeiten". Als Kuriosum sei noch erwähnt, daß in dieser Lobeshymne gar der gute Zustand der Bahn gerühmt wird: Vor "nicht allzu langer Zeit" seien die Fahrgäste "in alten Silberlingen auf roten Kunstledersitzen durch die deutsche Landschaft gerumpelt". Vielleicht mag dem 'taz'-Schreiber jugendliches Alter zugute gehalten werden, doch offenbart er damit zumindest, niemals Bahnkunde zu sein. Sonst wüßte er, wie es heutzutage in den Waggons rumpelt - und dies nicht allein dann, wenn gerade eine Weiche passiert wird. Wer in den 60er oder 70er Jahren hingegen morgens in Nahverkehrszügen auf roten Kunstledersitzen noch schnell die Hausaufgaben abschreiben wollte, hatte dabei keinerlei Probleme. Inzwischen ist es sogar schwierig, die Tasten eines Laptop zu treffen. Die Schienen sind mittlerweile im Schnitt 19,8 Jahre alt.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe auch unsere Artikel:
Mehdorn wackelt
Läuft die Uhr des Bahn-Terminators ab? (29.03.09)
Bahn-Datenaffäre: "Brandbeschleuniger"
Mehdorn sorgt mit Briefwechsel für Eskalation (11.03.09)
Bahn-Privatisierung abgesetzt
Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)
Bahn vergrault Fahrgäste in Baden-Württemberg
Kahlschlag beim Service (12.02.09)
Mehdorn vergrault Fahrgäste
Bahn im Verfolgungswahn (3.01.09)
Bundestag nickt Bahnprivatisierung ab
Wem dient das deutsche Parlament? (31.05.08)
Transnet-Chef Hansen belohnt
Sitz im Bahn-Vorstand für Verdienst um Privatisierung (9.05.08)
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Das größere Übel auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt
(20.04.08)
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Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)
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Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren (14.11.07)
Pro und Contra LokführerInnen-Streik (29.10.07)
Geheime Studie:
Kahlschlag der Deutschen Bahn minutiös geplant (24.10.07)
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Streckenstilllegungen und Fahrplanausdünnung bei der Bahn
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(8.05.07)
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