31.05.2008

Bundestag
nickt Bahnprivatisierung ab

Wem dient das deutsche Parlament?

Der Bundestag beschloß gestern (Freitag, 30. Mai) die Privatisierung von 24,9 Prozent der Anteile der Bahn AG am Personen- und Güterverkehr gegen eine Mehrheit von über 70 Prozent der Bevölkerung. Der als "Teilprivatisierung" propagierte Börsengang ist für November dieses Jahres vorgesehen und wird von KritikerInnen als "Einstieg in den Ausverkauf " bezeichnet. Nach etlichen Jahren der Scheindebatten ist so "Bahn-Terminator" Hartmut Mehdorn seinem Ziel planmäßig einen wichtigen Schritt näher gekommen. Für November werden jedoch massive Proteste bis hin zu Notbremsungen von Zügen gegen den Börsengang erwartet.

335 Abgeordnete aus "C"DU, "C"SU und "S"PD stimmten der Gesetzesvorlage der "schwarz-roten" Regierung zu, die - nach einer ursprünglich proklamierten Gegnerschaft der "S"PD - auf deren Vorschlag als "Kompromiß", eingebracht wurde. Zwischenzeitlichen hatte die "S"PD auf einem Bundesparteitag am 27. Oktober 2007 in Hamburg einen Vorschlag des "S"PD-Abgeordneten Hermann Scheer, den Börsengang mit einer "stimmrechtslosen Vorzugs-Aktie" im Sinne von Umwelt und KundInnen-Sicherheit zu gestalten, dazu genutzt, in den Reihen der GegnerInnen Verwirrung zu stiftenden und sich aus den Reihen der Bahnprivatisierungs-GegnerInnen davonzuschleichen. Anfang dieses Jahres dann schlug sich die "S"PD mit dem Scheinkompromiß einer Privatisierung von 24,9 Prozent auf die Seite Mehdorns.

158 Abgeordnete immerhin stimmten gestern gegen die scheibchenweise Bahnprivatisierung, drei enthielten sich. Personen- und Güterverkehr sowie die Logistiksparte der Bahn AG werden nun ausgegliedert. Das rund 34.000 Kilometer umfassende Schienennetz soll im Besitz des Bundes bleiben. An der neuen Tochter mit dem Namen 'DB Mobility & Logistics' sollen sich Investoren zu 24,9 Prozent beteiligen.

Insbesondere die Linkspartei, die im Bundestag als Opposition gegen die Bahnprivatisierung aufgetreten war, wurde von "Schwarz-Rot" nach allen Regeln der Kunst behindert. So erhielt etwa der Bundestagsverkehrsausschuß am Dienstag erst wenige Stunden vor der Abstimmung die "Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung" (LuFV) zwischen Bund und Bahn AG, die seit Jahren angefordert war und in welcher die Regelung über die künftigen Zuschüsse des Bundes zum Erhalt der Schienenwege enthalten ist. Kritisiert wird von Seiten der Linkspartei auch, daß "Schwarz-Rot" durchsetzte, lediglich über einen Beschluß, aber nicht über ein Gesetz zur Privatisierung abzustimmen, so daß die Zustimmung des Bundesrates vermieden werden konnte. Deren Fraktions-Chef im Bundestag, Gregor Gysi, kündigte an, er werde beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen die Bundesregierung einreichen, weil das Parlament nicht ausreichend beteiligt worden sei.

Nutznießer der Bahnprivatisierung werden nach Ansicht von KritikerInnen vor allem die Investoren sein. Zugleich werden die BahnkundInnen die Zeche mit höheren Fahrpreisen, immer schlechterem Service und Streckenstilllegungen bezahlen müssen. Nutznießer gibt es allerdings auch in der Politik: Allen voran der frühere "rote" Chef der Bahngewerkschaft Transnet, Norbert Hansen.1 Er hatte sich als einziger Chef der DGB-Gewerkschaften für die Privatisierung eingesetzt. Als Vorstandsmitglied des Bahn-Konzerns wird nun sein Gehalt von rund 40.000 auf 400.000 Euro steigen. Hinzu kommt üblicherweise eine jährliche "Erfolgszulage" von über einer Millionen Euro. Zwei weitere "Rote" mit "S"PD-Parteibuch sahnen kräftig ab: Thomas Kohl und Achim Großmann. Der eine war im Verkehrsministerium Abteilungsleiter, der andere Staatssekretär. Beide finden nun Unterschlupf bei der neuen Holding.

Entsprechend der eher an der unteren Grenze orientierten Bahn-Bilanz sind die zur Privatisierung vorgesehenen knapp 25 Prozent rund 10 Milliarden Euro wert. Realistisch ist eher ein Wert von 25 bis 50 Milliarden Euro. Im güstigsten Falle werden jedoch - wie in den Mainstream-Medien spekuliert - rund fünf Milliarden Euro von Investoren auf den Tisch gelegt werden. Von der Verkaufssumme wird wiederum nur ein knappes Drittel für Investitionen bei der Bahn eingesetzt - Investitionen, die als Begründung für die Unvermeidlichkeit einer Privatisierung der Bahn herhalten mußten. Der Rest landet teils im Bundeshaushalt, teils bei der BahnAG zur Erhöhung des Eigenkapitals. Dies muß beispielsweise in Relation gesehen werden zur "rot-grünen" Steuerreform des Jahres 2000, in deren Folge jährlich mehr als 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen ans Kapital verschenkt wurden.

Anfang Mai wurde bekannt, daß die neuseeländische Regierung die privatisierte Bahn zurück kaufte. "Der Verkauf der staatlichen Bahn zu Beginn der 90er Jahre und der danach folgende Niedergang des Vermögens war eine schmerzliche Lektion für Neuseeland", erklärte Finanzminister Michael Cullen. Die staatliche neuseeländische Bahn wurde 1993 für 400 Millionen neuseeländische Dollar (202 Millionen Euro) verkauft. Trotz Wertverlust mußte Neuseeland nun 665 Millionen neuseeländische Dollar (336 Millionen Euro) hinblättern, um die Bahn zu retten.2

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      Transnet-Chef Hansen belohnt
      Sitz im Bahn-Vorstand für Verdienst um Privatisierung (9.05.08)

2 Siehe auch unsere Artikel:

      Das Neuseeland-Experiment (11.01.01)

Siehe auch unsere Artikel:

      Bahnprivatisierung kann noch verhindert werden
      Das größere Übel auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt
      (20.04.08)

      Aus für Transrapid
      Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)

      Tarif-Erfolg der GDL zeigt Perspektive auf
      Mehdorn macht auf Rumpelstilzchen (15.01.08)

      Stuttgart 21
      Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren (14.11.07)

      Pro und Contra LokführerInnen-Streik (29.10.07)

      Geheime Studie:
      Kahlschlag der Deutschen Bahn minutiös geplant (24.10.07)

      Deutsche Bahn soll an die Börse
      Grünes Licht für weitere Demontage (24.07.07)

      Streckenstilllegungen und Fahrplanausdünnung bei der Bahn
      Sozialabbau und Klimawandel (18.06.07)

      Verkehr verursacht 80 Milliarden Euro an externen Kosten
      Staat subventioniert Straßenverkehr und fördert Klimakatastrophe
      (8.05.07)

      InterRegio-Zerstörung
      Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mehdorn (9.10.06)

      Rettet die Deutsche Bahn!
      Spitze der Bahngewerkschaft wackelt
      Ein Vergleich mit der Schweizer Bahn (8.09.06)

      Flugverkehr - Straßenverkehr - Schienenverkehr
      Je umweltschädlicher - desto mehr Subventionen (16.07.06)

      Straßenverkehr subventioniert - Bahnverkehr stranguliert (15.07.06)

      Schulden auf den Schultern der Kinder und Kindeskinder
      130 Milliarden Euro jährliche Folgekosten durch den Straßenverkehr
      (6.10.04)

      Verkehrswende zu weniger Autoverkehr
      Von der Utopie zur Realität (5.06.03)

      Mehdorn, der "rot-grüne" Terminator
      Die planmäßige Demontage der Deutschen Bahn (20.05.03)

 

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