Der Redaktion liegt ein Bahn-Dokument mit höchster Geheimhaltungsstufe vor. Es handelt sich um ein Gutachten der US-Bank Morgan Stanley. Ausgebreitet wird darin ein minutiöser Plan wie die Deutsche Bahn AG auf einen profitablen Kern zurechtzustutzen ist. Insbesondere soll sich der privatisierte Konzern beim Schienennetz aus der Fläche zurückziehen - zum Vorteil von Investoren, aber zu Lasten von SteuerzahlerInnen und KundInnen.
Auf Seite 168 kommt das Gutachten der US-Bank auf den Punkt. Für die Bundesregierung - als Auftraggeberin des Papiers - ist dort unter Kapitel 3.5 / Infrastruktur nachzulesen, wie sich Bankiers die Strategie einer zukünftigen Deutschen Bahn AG wünschen. Der Bahn-Konzern soll nach dem Einstieg privater Investoren den Zustand der Gleise und Bahnhöfe lediglich auf einem "ausreichendem" Niveau halten. Dies gelte sowohl für die Betriebs- als auch für die Sicherheitstechnik.
Gleichzeitig müsse der Bahn.Konzern die "Eigenmittelabflüsse" für die Instandhaltung "möglichst gering" halten. Dies bedeutet konkret, daß die Ausgaben für Betrieb, Sicherheit und Wartung entsprechend dem britischen Beispiel1 zusammengestrichen werden sollen. Die Folgen lassen sich in Großbritannien besichtigen, wo ein Chaos angerichtet wurde und dies innerhalb von drei Jahren zu mehreren schweren Bahn-Unfällen führte. Verschämt folgt in diesem Abschnitt der verklausulierte Hinweis, der Staat habe schließlich die Pflicht, die Schieneninfrastruktur zu gewährleisten.
Offenbar hatten die InvestmentbankerInnen von Morgan Stanley tiefen Einblick in das Zahlenwerk des Staatskonzerns nehmen dürfen. Zudem erstellen sie mehrmals im Jahr für die "schwarz-rote" Bundesregierung sogenannte Kontrollberichte zur wirtschaftlichen Entwicklung und Kapitalmarktreife der BahnAG.
Unter dem Stichwort "Fokusprojekt 22" zeigt das Gutachten, wohin die Reise einer privatisierten BahnAG gehen soll. Schon im Vorfeld solle "der von Investoren gewünschte Kompromiss" zwischen einer "gerade ausreichenden Instandhaltung" und einem "möglichst geringen Eigenmitteleinsatz" in der Strategie "herausgearbeitet und schlussendlich operativ verfolgt werden". Präziser kann die konsequente Fortsetzung der Konzernpolitik des "Bahnterminators" Hartmut Mehdorn kaum in die Zukunft fortgeschrieben werden.
Der Netzzuschnitt müsse sich an der "Optimierung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Konzerns" orientieren, fordert das Morgan-Stanley-Gutachten. Das Rendite-Interesse der privatisierten BahnAG müsse bestimmen, wo und wann die Züge fahren. Exakt wurde nachgerechnet, wie viel Geld sich bei "verschiedenen Reduktionen des Streckenumfangs" herauspressen lasse.
In den Sitzungen der beiden Arbeitsgruppen Betriebswirtschaft und Finanzen sowie Infrastruktur, die von der Bundesregierung eingesetzt wurden, habe die Bahn - laut Gutachten - "umfangreiche Analysen" präsentiert.
Drei Kahlschlag-Szenarien kalkulierten die BahnAG-ExpertInnen schon einmal durch.
Variante Eins: Die Stilllegung von 2.630 Kilometer Netz.
Variante Zwei: Die Kappung von 8.000 Kilometer.
Und
Variante drei: Das Aus für 14.000 Streckenkilometer - mehr als 40 Prozent des heutigen Netzes, das noch 34.000 Kilometer lang ist.
Seltsamerweise fehlen in dem der Öffentlichkeit zugänglichen Gutachten die konkreten BahnAG-Kalkulationen für die mögliche Kostenreduzierung. KennerInnen der Materie vermuten, daß die brisanten Details bewußt weggelassen wurden. Bezeichnenderweise bestreiten sowohl Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und auch Hartmut Mehdorn bis heute, daß in großem Umfang Stilllegungen nach einer Privatisierung drohen. Die Bundesländer lehnen Tiefensees Gesetzentwurf mittlerweile mehrheitlich ab. Ein Gutachten in ihrem Auftrag warnte unlängst, daß bis zu 10.000 Kilometer Regionalnetz das Aus droht.
Bahn-Vorstand Otto Wiesheu, früherer CSU-Generalsekretär mit Hang zu schweren Limousinen, bezeichnete die Länderstudie als "absurd und abwegig". Das Gutachten von Morgan Stanley beweist das Gegenteil. Gleich nach der Fertigstellung ließ die "schwarz-rote" Bundesregierung das brisante Papier verschwinden. Nur eine entschärfte Kurzfassung wurde öffentlich. Seit mehr als drei Jahren liegt die Geheim-Studie für den Börsengang der Deutschen Bahn AG unter strengstem Verschluß in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages. Eine Weitergabe von Informationen gilt als Geheimnisverrat.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch unsere Artikel:
Deutsche Bahn soll an die Börse
Grünes Licht für weitere Demontage (24.07.07)
Streckenstilllegungen und Fahrplanausdünnung bei der Bahn
Sozialabbau und Klimawandel (18.06.07)
Verkehr verursacht 80 Milliarden Euro an externen Kosten
Staat subventioniert Straßenverkehr und fördert Klimakatastrophe
(8.05.07)
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Rettet die Deutsche Bahn!
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Je umweltschädlicher - desto mehr Subventionen (16.07.06)
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