Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem äußert
schwerwiegende Bedenken
In der gestrigen (Freitag) Ausgabe des ZDF-Magazins 'aspekte' um 22:30 Uhr machte Ex-Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem schwerwiegende Bedenken gegen das vom Bundestag im Juni verabschiedete, aber noch nicht in Kraft getretene Gesetz zur Einrichtung von Internet-Sperren geltend. Der Bund habe dabei seine gesetzgeberische Kompetenz überschritten.
Wolfgang Hoffmann-Riem ist einer der profiliertesten MedienrechtlerInnen in Deutschland. Dennoch sah er sich gezwungen, zunächst einem bei diesem Thema unausgesprochen im Raum stehenden Verdacht entgegenzutreten und distanzierte sich ausdrücklich von Kinderpornographie. Angeblich will Bundes-"Familien"-Ministerin Ursula von der Leyen mit Hilfe von Internet-Sperren gegen Kinderpornographie vorgehen. KritikerInnen sehen den Vorstoß der Ministerin vor dem Hintergrund versäumter und vernachläßigter polizeilicher Bekämpfung von Kinderpornographie jedoch in einem ganz anderen Kontext: Internet-Sperren nutzen zwar nichts zur Bekämpfung von Kinderpornographie, können jedoch wegen der geheimen und demokratisch nicht zu kontrollierenden "schwarzen Listen", die vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellt werden sollen, zu einer politischen Zensur des Internet mißbraucht werden.
Daß dem Bundestag auch die gesetzgeberische Kompetenz fehlt, ein solches Internet-Sperren-Gesetz zu verabschieden, wird von KritikerInnen ohne Erfolg bereits seit Monaten angeprangert. (Siehe hierzu den weiter unten verlinkten Artikel v. 4. Juni 09.) Unterstützung erhielten sie nun von Hoffmann-Riem, der in der gestrigen 'aspekte'-Sendung anmahnte, der Gesetzgeber müsse sich bei der Bekämpfung von Kinderpornographie an rechtsstaatliche Grenzen halten. Mit dem Gesetz zur Einrichtung von Internet-Sperren habe der Bund aber ein Gesetz erlassen, für das er keine Gesetzgebungskompetenz habe.
Verfassungsrechtler Hoffmann-Riem führte weiter aus, bei dem Internet-Sperren-Gesetz gehe es zum einen um Straftatverhütung und zum anderen um eine Einwirkung auf die Inhalte von Medienangeboten. Für beides sind jedoch nach dem Grundgesetz die Länder und nicht die Bundesregierung zuständig. Hoffmann-Riem folgert daher: Wenn der Bund nicht über die Gesetzgebungskompetenz verfügt, darf er auch nicht das BKA - eine Bundebehörde - mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragen.
Das Gesetz zur Einrichtung von Internet-Sperren war am 18. Juni vom Bundestag verabschiedet worden. Es sollte ursprünglich zum 1. August 2009 in Kraft treten, ist aber noch nicht von Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnet worden. Mittlerweile spricht Ministerin von der Leyen davon, das das Gesetz "wegen technischen Gründen" erst im Oktober in Kraft treten werde.
Der 69-jährige Jurist Wolfgang Hoffmann-Riem war von 1999 bis 2008 Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts und unter anderem für Rundfunk- und Pressefreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Datenschutz zuständig. Er zählt in Deutschland zu den profiliertesten MedienrechtlerInnen und wurde durch die von ihm geprägten Entscheidungen zur Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und zum Großen Lauschangriff bekannt.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
Anhörung im Bundestag (4.06.09)
Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA (26.05.09)
Gegen politische Zensur des Internets
Online-Petition gegen Internetsperre
am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)
Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)
Aufstehn für ein freies Internet
CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)
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Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
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zielt auf Zensur des Internets
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für freie linke Nachrichten (1.02.09)