Das höchste britische Zivilgericht entschied heute in zweiter Instanz, daß die Befürchtungen, Wikileaks-Gründer Julian Assange könne aus Großbritannien fliehen, nicht stichhaltig sind und setzte ihn gegen eine Kaution von 240.000 Pfund ( rund 288.000 Euro) auf freien Fuß. Von Schweden wird in diesem außerordentlich merkwürdigen Fall eine Auslieferung betrieben, um Assange zum persönlichen Erscheinen bei einer Vernehmung zur Anklage zweier Schwedinnen wegen sexueller Straftaten zu zwingen. Gegen die Entscheidung des britischen Gerichts wurde Beschwerde eingelegt. Die schwedische Staatsanwaltschaft widersprach Berichten, wonach die Beschwerde von ihr stamme. Die britische Staatsanwaltschaft machte daraufhin in einer Stellungnahme klar, daß sie im Auftrag der schwedischen Regierung gehandelt habe.
Assange hatte am 7. Dezember in Begleitung eines Anwalts auf einer Polizeiwache eingefunden, nachdem der zuvor wegen eines Formfehlers ungültige internationale Haftbefehl der schwedischen Regierung erneuert worden war. Er wurde darauf hin wegen angeblicher Fluchtgefahr verhaftet. Entgegen anderer Darstellungen in den Medien waren die britischen Behörden jederzeit über den Aufenthaltsort von Julian Assange in Großbritannien in den vergangenen Wochen informiert. Lediglich gegenüber der Öffentlichkeit wurde der Aufenthaltsort geheim gehalten, da ernst zu nehmende Morddrohungen gegen Assange vorliegen.
Mit Hilfe von zahlreichen FreundInnen und UnterstützerInnen konnte Assange die hohe Kaution aufbringen, muß sich nun aber dennoch täglich bei der Polizei melden und eine elektronische Fußfessel tragen. Spätestens am 11. Januar wird die eigentliche Anhörung über das Auslieferungsbegehren aus Schweden stattfinden. Die schwedischen Behörden wollen die Auslieferung Assanges erreichen, um ihn zu befragen. Eine Anklage liegt bisher nicht vor. Nach einer Überstellung nach Schweden droht Assange direkt im Anschluß an das Verhör eine Auslieferung an die USA. Dort droht ihm möglicherweise ein politisches Verfahren und jahrelange Inhaftierung.
Wikileaks hatte nach der Verhaftung vor einer Woche angekündigt, unbeeindruckt von der Bedrohung Julian Assanges mit der Veröffentlichung geheimer US-Botschaftsdepeschen fortzufahren. Assange hatte Anfang Dezember in einem Live-Chat mit der britischen Zeitung 'Guardian' erklärt, Kopien der Depeschen seien in verschlüsselter Form an mehr als 100.000 Menschen verteilt worden. Sollte ihm oder der Internet-Seite etwas zustoßen, würden diese automatisch veröffentlicht. Am 6. Dezember veröffentlichte Wikileaks eine politisch wenig relevante Liste von internationalen Einrichtungen und Firmen, die für die US-Regierung aus strategischen Gründen von Interesse sind. Damit hat sich die Organisation ohne Not gegenüber dem Vorwurf, Menschenleben zu gefährden, angreifbar gemacht.
Für Wikileaks wurde in den vergangenen Wochen die Spenden-Beschaffung immer schwieriger. Nach Paypal hatte am 6. Dezember die Kreditkartenfirma Mastercard und am 7. Dezember auch Visa alle Zahlungen an Wikileaks eingestellt. Es solle ein möglicher Verstoß gegen die Geschäftsbedingungen geprüft werden, erklärte Visa Europe. Auch die Schweizer Bank Postfinance schloß ein Konto Assanges. Zudem ist die Internet-Seite immer wieder anonymen DDoS-Angriffen ausgesetzt.
Am 8. Dezember wurde durch Wikileaks-Veröffentlichunge bekannt, daß die Zusammenarbeit zwischen der US-amerikanischen und der schwedischen Regierung hinter den Kulissen noch intensiver ist als bereits bekannt. Schon am 4. Dezember waren geheime und für die schwedische Regierung peinliche Details über die offiziell geleugnete militärische Zusammenarbeit bekannt geworden. Nun wurde publik, daß die US-Regierung 2008 Schweden mit Handels-Sanktionen gedroht hat, falls nicht die Aktivitäten von 'Pirate Bay' gestoppt würden.
Wie mittlerweile auch der schwedischen öffentlich-rechtlichen TV-Sender SVT berichtete, hatte die schwedische Regierung 2008 ein Papier erhalten, in dem Washington in sechs Punkten ein Einschreiten gegen Internetaktivitäten, speziell gegen Filesharing forderte. 2009 bestätigte die US-amerikanische Botschaft in Schweden das weitgehende Entgegenkommen der schwedischen Regierung. Fünf der sechs Punkte seien wunschgemäß erledigt worden. So habe die schwedische Regierung ein Gesetz erlassen, das Internet-Provider zur Deanonymisierung von IP-Adressen verpflichte. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten außerdem zugesagt, intensiver im Bereich des Filesharings aktiv zu werden, dies zu illegalisieren und in den Schulen "Aufklärungskampagnen" gegen Filesharing durchzuführen. Wegen dieser "Erfolge" wird Washington auch abgeraten noch mehr Druck zu machen. Die US-Copyrightschutzorganisation IIPA forderte nämlich zu dieser Zeit von der US-Regierung, Handelssanktionen gegen Schweden zu erlassen, weil von hier aus nach wie vor die Filesharing-Seite "Pirate Bay" aktiv war. So etwas könne kontraproduktiv sein, erklärte die Botschaft in Stockholm und warnte, die neue Piratenpartei könne aufgrund einer solchen Maßnahme nämlich an Zulauf und politischem Einfluß gewinnen.
Anmerkung
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