Einseitige Vorleistung nach Konzept der Friedensbewegung
Wie der israelische Rundfunk am Wochenende meldete, hat Israels Ministerpräsident Ariel Scharon, der bislang nur für äußerste Brutalität gegenüber den PalistinenserInnen bekannt war, erste konkrete Schritte angekündigt, um einen Friedensprozeß in Gang zu setzen.
Nach stundenlanger Debatte haben 17 Minister aus dem Kabinett Scharon dem Plan zugestimmt, 25 Siedlungen im Gazastreifen und im Westjordanland zu räumen. Fünf Minister aus Scharons eigener Likud-Partei, darunter der frühere Ministerpräsident und derzeitige Finanzminister Benjamin Netanjahu, stimmten gegen die einseitige Vorleistung. Ein Konzept kalkulierter einseitiger Abrüstungsschritte war von der Friedensbewegung bereits in der 80er Jahren - erfolglos - zur Abkehr von der "Logik des Wettrüstens" zwischen den USA und der Sowjetunion in die Diskussion gebracht worden.
Nach einem Zeitplan, der vom israelischen Kriegsminister Schaul Mofas vor der Abstimmung vorgetragen wurde, sieht der Plan vor, daß bereits in Kürze die erste Siedlung in Gaza geräumt werde. Insgesamt 21 Siedlungen sollen im Gazastreifen und vier weitere Siedlungen im Westjordanland frei gegeben werden. Die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen solle sieben Wochen, derjenigen im Westjordanland eine Woche dauern. Weitere zwei Wochen seien für den Abbau der Infrastruktur geplant. Am Donnerstag hatte Mofas die Armee angewiesen, sich für den 20. Juli als Beginn der Räumungsaktion vorzubereiten. Vorgesehen ist, daß jeder Räumungsschritt erneut von der Regierung gebilligt werden muß.
Scharon sprach zu Beginn der Sitzung von einer "sehr schweren Entscheidung". Gleichzeitig nannte er den Abzug "essentiell wichtig für die Zukunft des Staates Israel". Offenbar leitet Scharon die Einsicht, daß militärische Überlegenheit historisch betrachtet nie von Dauer war und daß nur ein Ausbruch aus der Eskalation der Gewalt den Weg zu friedlicher Koexistenz und Stabilität sichern kann. Mit der Räumung würden erstmals Gebiete freigegeben, die auf dem Land liegen, das zugleich von PalistinenserInnen beansprucht wird.
Das Kabinett sollte laut israelischem Rundfunk gleichzeitig über den Weiterbau der international umstrittenen Sperranlage im Westjordanland abstimmen. Scharon hatte beide Entscheidungen verknüpft, um sich die Unterstützung der rechtsorientierten Mitglieder seiner Regierung zu sichern.
Palästinensische Funktionäre warfen der israelischen Regierung vor, sie versuche im Alleingang eine Entscheidung herbeizuführen. Damit würden die Bemühungen um einen Neubeginn eines Friedens- prozesses untergraben, sagte Sajeb Erakat. "Diese israelische Regierung diktiert das Ergebnis der Verhandlungen, bevor sie begonnen haben." Welche Gegenleistungen die israelische Regierung entsprechend der Logik Erakats fordere, konnte dieser jedoch nicht darlegen.
Unbestreitbar ist allerdings, daß die palästinensische Führung durch die Entscheidung der Scharon-Regierung vor der Weltöffentlichkeit unter erheblichen Druck gesetzt wird,
selbst-bestimmte Gegenleistungen zu erbringen. Ähnlich der "Spirale der Gewalt und Gegengewalt" kann sich so eine Friedens-Dynamik entwickeln, bei der beide Seiten sich mit frei zu bestimmende Selbstverpflichtungen gegenseitig herausfordern. Beide Seiten müssen dabei Kreativität entwickeln und Schritte finden, mit denen sie ohne übermäßige Beeinträchtigung der eigenen Sicherheitsbedürfnisse aufeinander zugehen können.
Adriana Ascoli
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel
Gewaltfreie Kampagne in Palästina (27.08.04)
Palästina: Pressefreiheit und der Zweck der EU-Gelder (23.07.04)
Kinder & Künstler malen Gemälde an die Mauer (20.07.04)
Machsomwatch
- konkrete Friedenspolitik an den israelisch-palästinensischen
Checkpoints (17.03.04)