Manches ist auch mit Millionen nicht mehr gutzumachen
Der Auswilderungsversuch war gescheitert und vor wenigen Tagen starb der Orca im Alter von rund 29 Jahren in einem
norwegischen Fjord an Lungenentzündung.
16,3 Millionen Euro hat das Auswilderungs-Projekt gekostet, mit dem der "Hauptdarsteller" der Kinokassenschlagers
"Free Willy" an ein Leben im offenen Meer gewöhnt werden sollte. Keiko, der 1992 bereits 13 Jahre seines Lebens in
Gefangenschaft gefristet hatte, sollte auch nach abgeleistetem Dienst als "Filmstar" wieder in seine gewohnte Wanne
zurück. Film-Crew und Produktionsfirma, die nur mal eben schnell mit dem Druck auf die Tränendrüse und dem Spiel
auf der Klaviatur der Sentimentalität ein paar Millionen absahnen wollten, hatten nicht damit gerechnet, daß sie nicht
nur eine Welle an Sentimentalität, sondern auch echtes Mitgefühl auslösen würden. Sentimentalität läßt sich recht gut
kalkulieren, da sie bereits am Morgen nach dem Kinobesuch wieder auf Normaltemperatur abklingt und niemals zu
irgendwelchen Konsequenzen im realen Leben führt. Doch nach dem Überraschungserfolg des Films "Free Willy" schien
alles aus dem Ruder zu laufen: Immer mehr Menschen nahmen die Story vom traurigen Wal, der sich nach der Freiheit
sehnt und dem von einem mutigen Jungen zur Flucht verholfen wird, für bare Münze.
Und nachdem 1992 so richtig das Geld in den Kinokassen geklimpert hatte, wurde den Menschen auch zuerst mal
versprochen, daß Keiko tatsächlich die Freiheit "geschenkt" werden solle... um in aller Ruhe die Fortsetzung
vorzubereiten, mit der 1995 nochmals einige Millionen eingespielt werden konnten. Doch damit war der Bogen
überspannt. Immer häufiger wurde die Frage gestellt, wann denn nun "Free Willy" endlich in die Wildnis entlassen
würde. Auch die Einwände von ExpertInnen, die eine Auswilderung eines so lange in Gefangenschaft gehaltenen
Tieres für hoffnungslos erklärten, vermochten nichts mehr daran zu ändern. Die Film-Leute wären nach den ihnen
abgenötigten Versprechungen - zu recht - als völlig unglaubwürdig dagestanden. Einzig und allein an der Geldfrage
drohte der humanitäre Tierversuch kurzfristig zu scheitern, bis denn eine Hilfsorganisation den größten Teil des
nötigen Geldes über Sammlungen organisierte. Dennoch dauerte es bis zum Juli 2002, bis der Orca tatsächlich
im Meer ausgesetzt wurde. Die Alternative, den Orca wieder in seiner Wanne zu belassen, wäre zwar nicht anders
als ein Übel zu bezeichnen gewesen, doch immerhin das kleinere Übel. Denn selbst das größte Becken eines
Meeresaquariums ist für ein Tier mit einer Länge von 10,6 Metern und sechs Tonne Gewicht nicht viel mehr als
eine Badewanne für einen Menschen. Der Vorschlag einiger ExpertInnen, den Orca einzuschläfern, zeugte denn
auch mehr von Hilflosigkeit angesichts einer ausweglosen Situation, denn von Gefühllosigkeit.
Gefühllosigkeit, aber immerhin mehr Verstand zeigte hingegen der Fänger von Keiko, der den Orca 1979
vor der isländischen Küste privatisiert und einige Zeit später an den Vergnügungspark Reino Aventura verkauft hatte:
"Man hätte Keiko in kleine Stücke zerschneiden und als Nothilfe in den Sudan schicken sollen. Aus dem Fleisch des
Wals hätten sich 60.000 Frikadellen machen lassen. Davon wären sehr sehr viele Menschen eine Weile satt geworden."
Seine Überlegung weist immerhin in die Richtung, sich zu überlegen, was denn Sinnvolles hätte getan werden können,
statt 16,3 Millionen Euro für ein aussichtsloses Auswilderungs-Experiment zu verschleudern. Doch sie bleiben
ebenso oberflächlich wie die der Auswilderungs-Fans. Denn sowohl der Hunger in Afrika als auch das Unwesen mit
Delphin- oder Orca-Shows läßt sich nur sinnvoll bekämpfen, wenn die zugrundeliegenden Strukturen angegangen werden.
Mit dem Geld - so es denn nicht zweckgebunden für die "Freiheit" von Keiko gegeben wurde - hätte beispielsweise
denen das Handwerk gelegt werden können, die nach wie vor und oft auch illegal weiterhin Delphine und Orcas für
Show-Unternehmen einfangen1. Und es hätte für eine Kampagne eingesetzt werden können, mit dem
Ziel diese Show-Unternehmen zu schließen oder ihnen zumindest den Kauf neuer Tiere zu verbieten. Oder es hätte
für eine Vielzahl anderer sinnvoller Aktionen zum Schutz der bedrohten freilebenden Wale und Delphine verwendet
werden können.
Während all diese freilebenden Tiere weitgehend schutzlos einem wieder aufkommenden Walfang2 ausgesetzt
sind, verfügte Keiko im letzen Jahr seines Lebens zeitweilig über mehr als zwanzig hauptamtliche BetreuerInnen, die ihm
am Ende nicht mal mehr mit dem zur Verfügung stehenden Antibiotikum helfen konnten. Manches ist auch mit Millionen
nicht mehr gutzumachen.
Petra Willaredt
Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel
'Delphin-Mafia schlägt wieder zu' v. 22.07.03
2 Siehe auch unseren Artikel
'Legt den isländischen Walfängern das Handwerk!' v. 20.08.03
oder
'US-Militär gefährdet Delphine und Wale' v. 10.04.03