Gegen Sozialabbau
Ein breites Bündnis nebenhatte zusammen dem DGB für den 21. Oktober mobilisiert. So riefen neben den Gewerkschaften auch soziale und Erwerbslosen-Initiativen und die Koordinierung der Montags-Demos auf.
Deutlicher als von vielen erwartet sprachen sich der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in Stuttgart vor 50.000 TeilnehmerInnen und andere Gewerkschaftsfüher auf den weiteren Kundgebungen in Berlin (80.000), Dortmund (40.000), München (20.000) und Frankfurt am Main (20.000) gegen die Politik der schwarz-roten Bundesregierung und gegen den fortgesetzten Sozialabbau aus. Konsequenter Weise wurde nun auch - wenn auch reichlich verspätet - die Politik Bundeskanzler Schröders und dessen Agenda 2010 kritisiert. Zu lange habe Rot-Grün den Unternehmen Geld in den Rachen geworfen und die Gewerkschaften hatten stillgehalten, ohne daß die versprochene Reduzierung der Arbeitslosigkeit mit dieser Methode auch nur annähernd realisiert worden wäre.
Angesichts einer gegenüber 2004 von über 500.0001 auf rund 220.000 TeilnehmerInnen zurückgegangenen Resonanz auf den Demonstrationsaufruf ging DGB-Chef Sommer dennoch in die Offensive und mahnte in seiner Rede auf der Hauptkundgebung in Stuttgart die schwarz-rote Koalition, "den heutigen Warnruf aus der Mitte der Gesellschaft nicht zu ignorieren". Niemand könne erwarten, sagte Sommer, "daß wir tatenlos zusehen, wenn die Interessen der kleinen Leute mißachtet werden." Die gegenwärtige Debatte über Unterschichten sei eine scheinheilige Diskussion, sagte der DGB-Chef. "Da werden Krokodilstränen über die Tatsache vergossen, daß in Deutschland immer mehr Menschen immer ärmer werden, und gleichzeitig fordert die Union massive Verschlechterungen beim Arbeitslosengeld II."
Sommer bezeichnete den Aktionstag als "Auftakt zu weiteren politischen Aktionen der Gewerkschaften und nicht ihr Ende. Konkreter wurde er jedoch leider nicht.
Der DGB-Chef, der noch vor wenigen Jahren als Schröder-Freund galt und SPD-Mitglied ist, zog gegenüber der "rot-grünen" Bundesregierung erstmals einen klaren Trennungsstrich: Diese sei "politisch gescheitert". Dennoch ließ Sommer erkennen, daß er sich nicht von der Illusion verabschieden kann, die sich immer krasser in Oben und Unten spaltende Gesellschaft könne zusammengehalten werden: "Wenn die Regierung ihre Reformpolitik nicht am Maßstab sozialer Gerechtigkeit ausrichtet", so Sommer, "fürchte ich, daß unsere Demokratie dauerhaft Schaden nimmt".
In seiner Kritik der geplanten Gesundheitsreform ging Sommer ins Detail und trug eine Reihe stichhaltiger Argumente vor. Daß die Pharma-Konzerne jedoch mit Abstand die größten Profiteure des bisherigen wie des geplanten Gesundheitssystems sind, erwähnte Sommer nicht. Sommer griff die an der Gewerkschaftsbasis diskutierte Forderung nach einem Mindestlohn auf, vermied jedoch eine Konkretisierung.2 "Wir erwarten, daß der Gesetzgeber bei den Arbeitseinkommen endlich eine Grenze nach unten einzieht", so Sommer. "Stundenlöhne von 3,50 Euro sind und bleiben ein Skandal."
Die Kundgebungen richteten sich auch gegen "das zunehmend unanständige Verhalten in der Wirtschaft". Insbesondere gegen diejenigen Manager, so Sommer, "die Tausende von Arbeitsplätzen vernichten und dabei nicht vergessen, ihre eigenen Bezüge kräftig zu erhöhen". Angesichts von 50.000 jungen Menschen, die in diesem Jahr noch keine Lehrstelle gefunden haben, forderte Sommer die Einführung einer Ausbildungsumlage. "Wer nicht ausbildet, der muß zahlen."
Sommer kritisierte die Rente mit 67 als ein "zynisches Rentenkürzungsprogramm": "Menschen, die mit 50 aus den Betrieben geekelt werden, zu sagen, sie sollten bis 67 arbeiten, ist blanker Hohn."
Auf allen Kundgebungen wandten sich die Gewerkschaftsführer gegen die Rente mit 67 und die Pläne zur Gesundheitsreform. Scharf kritisiert wurden die Auswirkungen von Hartz IV und weiterer Einschnitte, während die geplante Unternehmenssteuerreform die Firmen weiter entlasten solle.
In Dortmund waren nach Angaben von DGB-Landeschef Guntram Schneider 30.000 GewerkschafterInnen "auf den Beinen". Schneider kritisierte, "mit welcher Frechheit und Kaltschnäuzigkeit BenQ und Siemens mit dem Schicksal Tausender Menschen umgehen." Hauptredner war in der Ruhrstadt der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters. Auch er kritisierte die Vorgänge in der Handysparte: "Da wollen einige, daß Arbeit so billig wird wie Dreck. Die haben nicht alle Tassen im Schrank", rief Peters kämpferisch den Gewerkschaftern zu, die solchen Sätzen lautstark mit einem Trillerpfeifen-Konzert zustimmten. "Die Arbeitnehmer sind nicht die Dukatenesel der Nation", sagte Peters. Es müsse endlich Schluß sein mit der Umverteilung von unten nach oben, forderte der IG-Metall-Chef. "Den Großen wird gegeben, den kleinen Leuten genommen." Deshalb müßten die Gewerkschaften "die Politik zwingen, andere Wege einzuschlagen". Das klang schon ein wenig anders als der von der Gewerkschaftsbasis heftig kritisierte offizielle Demo-Aufruf "Das geht besser."
Peters kritisierte zudem, Millionen hätten heute schon "keinen richtigen Urlaub mehr, weil arbeitslos". Hartz-IV-BezieherInnen könnten nicht in den Urlaub fahren. Das sehe der Regelsatz nicht vor. "Ich habe den Eindruck, einige wissen überhaupt nicht mehr, wie die Wirklichkeit aussieht." Daß zum Beispiel ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute hoch verschuldet sei? Daß schon heute viele Menschen ihren Lebensunterhalt vom Lohn nicht mehr bestreiten könnten? Daß Reiche immer reicher und die Armen immer ärmer würden? "Und nun diskutieren einige in der Politik über das Anspruchsdenken derer, die arbeitslos sind und unserer Unterstützung bedürfen. Unfaßbar", so Peters.
Auf den Kundgebungen kamen auch Vertreter der Kirchen und Sozialverbände zu Wort. In Dortmund stellte Landessozialpfarrerin Sigrid Reihs fest, "die wachsende Spaltung unserer Gesellschaft" lasse die Kirche "nicht kalt". "Wir dürfen nicht länger zulassen, daß Hunderttausende Menschen keine Arbeit haben und aus unserer Gemeinschaft ausgegrenzt sind", mahnte die evangelische Theologin.
Die größte DGB-Kundgebung fand in Berlin statt mit etwa 80.000 Teilnehmern. Hier forderte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske nachdrücklich einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro.2
Klaus Schramm
Anmerkungen
1 Siehe unseren Artikel:
'Gegen Reaktionäre' (4.04.04)
2 Siehe unseren Artikel:
'Für einen Mindestlohn von 10 Euro'
(22.08.06)