Bundesregierung verhindert Beschränkungen wie in den USA
Während PatientInnen und ein Großteil der ÄrztInnen Jahr für Jahr Einschränkungen und Kürzungen hinnehmen müssen, profitiert die Pharma-Industrie ohne jegliche Beschränkungen vom deutschen Gesundheitssystem. Selbst im ersten Jahr der Weltwirtschaftskrise verzeichneten viele Pharma-Konzerne zweistellige Zuwächse beim Gewinn.
Zum einen müssen die Krankenkassen immer mehr Geld für Arzneimittel ausgeben. Zum anderen wird in Deutschland - im Gegensatz beispielsweise zu den USA - eine Vielzahl an Medikamenten zugelassen, deren Nutzen fraglich ist und die Milliardengewinne in die Kassen der Pharma-Industrie spülen.
Steigende Ausgaben für Arzneimittel
Während immer mehr Geld aus dem deutschen Gesundheitssystem den Pharma-Konzernen zugute kommt, gibt es gleichzeitig immer weniger Möglichkeiten, diese Steigerung zu begrenzen.1 Beweise hierfür liefert nun auch der Arzneimittelreport der Gmünder Ersatzkasse (GEK).
2008 gab die GEK rund neun Prozent mehr für Arzneimittel aus als im Jahr 2007. Dieser Ausgabenanstieg war überdurchschnittlich groß: Alle gesetzlichen Kassen zusammen gaben 2008 rund fünf Prozent mehr aus. In realen Zahlen waren das fast 30 Milliarden Euro. Doch während in allen anderen Kostenbereiche im Gesundheitswesen (Heilmittel - also Krankengymnasik etc., Krankenhäuser, ärztliche Behandlung, Vorsorge / Reha, zahnärztliche Behandlung, Krankengeld und ebenso der Kostenbereich Zahnersatz) Ausgaben gekürzt wurden, kamen die Mehrausgaben den Pharma-Konzernen zugute.
Laut GEK war einer der maßgeblichen Kostentreiber das Segment für Spezial-Medikamente gegen schwere Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder Multiple Sklerose. Eine Therapie kann pro Jahr bis zu 80.000 Euro kosten. Diese Spezial-Medikamente werden unter großem Aufwand mit Hilfe der Gentechnik hergestellt. Von den sechs umsatzstärksten Präparaten der GEK sind fünf gentechnisch hergestellt. Die Kasse verwendet bereits 13 Prozent ihrer Arzneimittelausgaben auf diese Spezial-Medikamente.
Die Krankenkassen müßten für diese Medikamente die Preise zahlen, die die Hersteller forderten, erklärt der Autor des GEK-Arzneimittelreports Gerd Glaeske. Die üblichen Instrumente zur Kostensenkung funktionierten hier nicht, weil die Medikamente mit anderen Arzneimitteln nicht zu vergleichen seien und keine Kosten-Nutzen-Analyse stattfinden könne. "Es muß eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, nach der kein Arzneimittel mehr ohne Preisverhandlung auf dem Markt der gesetzlichen Kassen zugelassen wird", sagte Glaeske. Sonst werde die Pharmabranche die Kassen überfordern. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte dazu, die Kassen könnten für alle Arzneimittel eine Grenze festlegen, bis zu der Preise erstattet werden. Sie könnten zur Not auch ohne Kosten-Nutzen-Analyse einen Höchstpreis mit den Pharmafirmen vereinbaren.
Glaeske sagt dagegen, die höheren Ausgaben durch die Spezialmittel seien auch durch den verstärkten Einsatz von billigeren Nachahmerpräparaten, den sogenannten Generika, kaum mehr auszugleichen. Der Chef der GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, plädiert dafür, daß ÄrztInnen nur noch einen einzigen Wirkstoff verordnen. Die Apotheker sollen dann das wirtschaftlichste Mittel heraussuchen.
Die steigenden Arzneimittelausgaben machen den Krankenkassen seit Jahren zu schaffen. Nach Einführung des Gesundheitsfonds können sie darauf nicht mehr mit einer Erhöhung ihres Beitragsatzes reagieren, weil es einen Einheitsbeitrag gibt. Zu dessen Erhöhung ist die Bundesregierung vorerst nicht bereit. Die Forderung der Kassen, Einnahmeausfälle durch die Wirtschaftskrise mit Steuergeld auszugleichen, lehnt Gesundheitsministerin Schmidt ab. An eine Beschränkung der Gewinne der Pharma-Industrie wagen offenbar weder Politik noch Ärzteschaft zu denken. Steigen jedoch weiterhin die Arzneimittelausgaben bei gleichbleibendem Gesamtvolumen, wird auch in Zukunft zu Lasten aller anderen Kostenbereiche im Gesundheitswesen - also auch bei den Honoraren eines überwiegenden Teils der ÄrztInnen - gekürzt werden.
Pharmaindustrie unterläuft eine unabhängige Zulassung von neuen Medikamenten
Pharma-Konzerne halten Medikamente-Studien, die nicht zu den gewünschten Ergebnissen führten, zurück. So wird nicht nur der wissenschaftliche Fortschrift dem Profit-Prinzip geopfert, sondern darüber hinaus wird so eine kritische Bewertung von Medikamenten durch MedizinerInnen und PatientInnen blockiert. In den USA hingegen müssen Pharma-Konzerne sämtliche Studien gegenüber der Zulassungsbehörde offenlegen.
Auch in Deutschland soll mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine Instanz neutral prüfen, ob Medikamente tatsächlich den von ihren Produzenten versprochenen Nutzen für die PatientInnen erbringen. Doch das vor fünf Jahren von der Bundesregierung ins Leben gerufene Institut kann diese Aufgabe nicht erfüllen: Die Pharma-Konzerne stellen dem IQWiG Studien nur auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung zur Verfügung. Und in der Praxis hat sich mittlerweile herausgestellt, daß sie unveröffentlichte Medikamente-Studien in der Regel nur dann dem IQWiG überlassen, wenn darin keine negativen Ergebnisse enthalten sind.
Beate Wieseler vom IQWiG bestätigte auf Fragen des TV-Magazins MONITOR: "Wir haben regelmäßig das Problem, daß Unternehmen uns angefragte Informationen nicht zur Verfügung stellen. In diesen Fällen ist aber dann immer die Frage, ob es tatsächlich unveröffentlichte Studien gibt und wie viele unveröffentlichte Studien es gibt."
Daß es sich hierbei nicht allein um einen Verdacht handelt, deckte MONITOR am Beispiel des Medikaments Endronax des Pharma-Konzerns Pfizer auf. Bei Endronax handelt es sich um ein Antidepressivum mit dem Wirkstoff Reboxetin, das in den USA keine Zulassung erhielt. 2001 hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA die Zulassung nicht erteilt, nachdem sie sich umfangreiche Patientendaten hatte vorlegen lassen. Das IQWiG hatte die Firma Pfizer gebeten, ihm alle vorhandenen Studien zur nennen. Doch die Liste, die Pfizer schickte, war unvollständig. Auch auf Nachfrage und erneute Bitte nach einer vollständigen Liste aller publizierten und unpublizierten Studien antwortete Pfizer, bereits sämtliche Unterlagen dem IQWiG übersendet zu haben und keine Veranlassung zu sehen, weitere Daten zur Verfügung zu stellen.
Im Falle Reboxetin fanden WissenschaftlerInnen jedoch Spuren von Studien in Datenbanken und Archiven. Von Studien, die geheim gehalten werden, finden sich lediglich die Studiennummern und zugehörige Vermerke, daß Untersuchungen mit hunderten von PatientInnen durchgeführt worden waren. Hinweise liefern zudem Kurzzusammenfassungen von Kongressen, die ebenfalls auf Studien mit Hunderten von Patienten hindeuten. WissenschaftlerInnen erklärten gegegenüber MONITOR, daß mehr als die Hälfte der Patientendaten zu Reboxetin für sie nicht auswertbar waren. In der Wissenschaft ist lange bekannt, daß Studien, bei denen das Medikament am Patienten keine gute Wirkung zeigt, häufig nicht veröffentlicht werden.
Der Schaden für das deutsche Gesundheitssystem ist nicht zu beziffern, aber es geht um einen Milliardenmarkt. Der Chef der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Professor Wolf-Dieter Ludwig, findet es deshalb unethisch, wenn Pharma-Konzerne Studien in Deutschland nicht zur Verfügung stellen.
Die Pharma-Konzern Pfizer bestreitet, Studiendaten zurückgehalten zu haben. Edronax und sein Wirkstoff Reboxetin habe ein positives Nutzen-Risiko-Profil. Auf die Frage von MONITOR, warum es in den USA nicht zugelassen wurde, gab Pfizer jedoch keine Antwort. Im übrigen sieht sich Pfizer nicht verpflichtet, dem IQWiG alle verfügbaren Daten vorzulegen.
Solange die WissenschaftlerInnen des IQWiG aber ein Medikament nicht als nutzlos einstufen, müssen es die Krankenkassen bezahlen. Der Leiter des IGWIQ, Professor Peter Sawicki sagt, bei vielen Pharmafirmen spüre man, daß es um viel Geld gehe: "Man spielt auf Zeit und vor allen Dingen in Deutschland. Denn in Deutschland sind alle Medikamente sofort nach der Zulassung durch die Zulassungsbehörden verordnungsfähig und zwar zu dem Preis, den der Hersteller sich ausdenkt, vorgibt. Und je länger man das unbeeinflusst läßt, je später wir entscheiden, umso mehr Umsatz."
Dabei hatte der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller erst jüngst in einem Positionspapier anderes versprochen. Von vollständiger Transparenz war die Rede, von lückenloser Dokumentation und Zugänglichkeit aller Studieninformationen. Wenn dies nicht eingehalten werde, so der Pharmaverband gegenüber MONITOR, handele es sich um "Sonderfälle", die der Verband nicht kontrollieren könne.
IQWiG-Chef Sawicki meint dagegen, daß die Pharma-Industrie längst beweisen habe, daß die "Selbstverpflichtung nicht das erreicht, was sie vorgab zu erreichen." Er fordert daher verbindliche gesetzliche Regelungen zum Schutz der PatientInnen.
Professor Klaus Lieb von der Universitätsklinik Mainz plädiert dafür, daß wissenschaftliche Institute unabhängig von der Pharma-Industrie Medikamente-Studien auswerten dürfen. Diese müßten dazu aber Zugang zu allen Studien erhalten, so daß die Ergebnisse letztlich der medizinischen Praxis und dem Wohl der PatientInnen zugute kämen.
Und Professor Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ergänzt: "Ich glaube, man muß eindeutig über Bußgelder, Sanktionen nachdenken. Ich glaube, da müssen dann auch Bußgelder ausgesprochen werden, die eine für den pharmazeutischen Hersteller auch empfindliche Höhe erreichen, sodaß derartige Praktiken unterbleiben."
Zuständig für solch eine gesetzliche Regelung wäre Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Auch sie wollte sich gegenüber MONITOR nicht zur Sache äußern. Schriftlich wich das Ministerium der Frage nach einer Gesetzesänderung aus und verwies auf ein künftiges europäisches Studienregister. Dem IQWiG hilft das nicht, weil zigtausende alter Studien dort nicht erfasst würden. Eine schlechte Nachricht für ÄrztInnen und für PatientInnen, die auf Medikamente angewiesen sind. Denn ohne gesetzliche Verpflichtung wird sich am Verhalten vieler Pharma-Konzerne wohl wenig ändern.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe auch unsere Artikel:
Sozialabbau und "Gesundheitsreform"
Milliarden Euro für die Pharma-Industrie (14.04.08)
Sozialabbau bei ÄrztInnen (11.06.07)
Kostenlose Impfung gegen Gebärmutterhals-Krebs
Subventionierung der Pharma-Konzerne statt Prävention (27.03.07)
Gesundheitsreform ist Hartz VI (17.07.06)