Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
Am gestrigen Montag stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin eine Studie vor, wonach "die Deutschen" reicher sind als bislang in der sozialökonomischen Forschung angenommen. Auch das Statistische Bundesamt hatte die Vermögenswerte im Volumen von über 4,6 Billionen Euro, die in Renten- und Pensionsansprüchen verborgen sind, noch nicht erfaßt. Das Geld- und Sachvermögen beträgt rund 6 Billionen Euro. Beide Zahlen wurden auf der Grundlage von Daten des Jahres 2007 ermittelt. Zugleich stellte das Institut fest, daß sich die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland weiter öffnet. Im Durchschnitt besitze der deutsche Erwachsene über 17 Jahren nach Abzug von Schulden ein Gesamtvermögen von 155.000 Euro, wovon 88.000 Euro auf Geld- und Sachvermögen und 67.000 Euro auf Renten- oder Pensionsansprüche entfiele.
Die DIW-Studie, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, rechnet erstmals Renten- und Pensionsansprüche in die Berechnung des Vermögens der in zehn "Dezilen" eingeteilten deutschen Bevölkerung. Die erste "Dezile" enthält die zehn Prozent der Bevölkerung mit dem geringsten Vermögen, die zweite die nächsten 10 Prozent und entsprechend weiter.
Die hier sichtbar gemachte Ungleichverteilung wird nur wenig abgemildert, wenn die Pensionsansprüche und Rentenanwartschaften einbezogen werden. Diese Ansprüche sind zwar in Euro zu beziffern, stellen allerdings ein mehr oder weniger fiktives Vermögen dar, da sie weder gehandelt noch übertragen werden können, keine Zinsen erbringen und auch nicht als Sicherheit für einen Kredit taugen. Außerdem geht der Anspruch nur in Ausnahmefällen und nur zum Teil auf die Erben über. Für den Einzelnen läßt sich desen Wert ohnehin nur anhand der durchschnittlichen Lebenserwartung ermitteln, weil die Gesamtsumme davon abhängt, wie lange der Betreffende nach seinem Abschied aus dem Berufsleben noch lebt. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung besitzt laut DIW-Studie zwar weder Geldvermögen, Immobilien noch Betriebsvermögen oder ist sogar verschuldet. "Allerdings erwerben praktisch alle Erwachsenen Ansprüche an die diversen Alterssicherungssysteme", schreiben die Berliner DIW-ForscherInnen.
Die Rentenansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung sind zudem gedeckelt: "Selbst mit einem Spitzeneinkommen kann man hier nur Rentenansprüche bis zu einer gewissen Höhe erwerben," erklärt DIW-Experte Joachim Frick und fügt hinzu: "Die Konzentration der jetzt erstmals um Renten- und Pensionsanwartschaften erweiterten Vermögen bleibt aber sehr hoch und die dämpfende Wirkung des Alterssicherungsvermögens wird künftig wohl an Bedeutung verlieren."
Ein Grund für die großen Unterschiede auch innerhalb der berechneten Renten- und Pensions-Vermögen liegt darin, daß die Höhe einer Beamtenpension im Wesentlichen auf Basis der letzten Monate des Berufslebens berechnet wird. Bei sozialversicherungspflichtigen Einkommen bildet dagegen die Summe aller Einzahlungen den Grundstock für die spätere Rente. Das geringere Gehalt zu Beginn des Berufslebens kommt also viel stärker zum Tragen. BeamtInnen gehören damit zur Spitzengruppe der Vermögenden. ArbeiterInnen und Angestellte mittlerer Qualifikation können von der gesetzlichen Rente im Durchschnitt etwa 40.000 Euro erwarten; höher qualifizierte Beschäftigte rund 80.000 Euro. BeamtInnen im gehobenen und höheren Dienst haben dagegen im Durchschnitt Ansprüche von knapp 130.000 Euro, pensionierte BeamtInnen, gleich welcher Laufbahn, sogar von mehr als 300.000 Euro. Übertroffen werden sie nur noch von der Gruppe der UnternehmerInnen, die eine Firma mit zehn Angestellten und mehr besitzen. Ihr Gesamtvermögen betrug im Schnitt mehr als eine Million Euro.
Arbeitslose haben laut DIW-Berechnungen im Schnitt Rentenansprüche in Höhe von knapp 40.000 Euro. Zusammen mit dem Geld- und Sachvermögen kämen sie auf ein durchschnittliches Gesamtvermögen von 56.000 Euro. Daß diese Durchschnittswerte wenig besagen, zeigt folgendes Rechenbeispiel: Ein Niedriglöhner mit Stundenlohn von 7,50 Euro müßte fast 70 Jahre arbeiten, um im Alter mehr zu erhalten als die Grundsicherung.
In der DIW-Studie wird darauf hingewiesen, daß in Deutschland der Abstand zwischen Arm und Reich nach wie vor sehr groß ist und immer größer wird. In diesem Zusammenhang thematisiert die Studie die Problematik des in den vergangenen zehn Jahren politisch gezielt ausgeweiteten Niedriglohn-Sektors. Bezogen auf Geld- und Sachvermögen besitzt die große Mehrheit der Bevölkerung - 70 Prozent - nur neun Prozent, während die oberen zehn Prozent der Vermögenden über mehr als 60 Prozent dieses Vermögens verfügen.
Über drei Jahre arbeiteten die ForscherInnen des DIW an der Studie. Es ist die größte Untersuchung dieser Art, die letzte umfassende Bestandsaufnahme der deutschen Vermögen stammt aus den 1980er-Jahren.
Das nun rechnerisch ermittelte Vermögen im Volumen von 4,6 Billionen Euro kann sich jedoch schneller in Luft auflösen als gedacht. Dieser Wert, der in Renten- und Pensionsansprüchen steckt, wurde auf der Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2007, also vor Beginn der Weltwirtschaftskrise, ermittelt. Die Staatsverschuldung beläuft sich in Deutschland mittlerweile auf nahezu 1,7 Billionen Euro. Das Szenario einer Staatspleite kann heute selbst von der neoliberalen Schul-Ökonomie nicht mehr bestritten werden.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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Weltwirtschaftskrise traf BRD 2009 schwer (14.01.10)
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... und zum Vergleich ein Beitrag von 2003:
Die Sage von den zwei Kronen
Eine Bilanz des schwedischen Sozialstaats-Abbaus (9.06.2003)