19.12.2009

Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"

Der Niederiglohn-Sektor wurde massiv ausgeweitet

Schröder und Hartz bei der Verkündung Hartz IV war in den vergangenen fünf Jahren ein voller Erfolg - für jene, in deren Auftrag "Rot-Grün" diesen größten Sozialabbau in 60 Jahren BRD organisiert hat. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang einmal mehr an den Ausspruch des früheren Chefs der Aufsichtsräte von DaimlerChrysler und Deutscher Bank, Hilmar Kopper, vom November 1999: "Wenn Sie mich vor anderthalb Jahren gefragt hätten, ob ich mir eine aktive Beteiligung der Bundesregierung auf dem Balkan unter rot-grüner Beteiligung vorstellen könnte, dann hätte ich Sie für nicht recht gescheit gehalten. Genauso aber kam es. Und es konnte nur von der rot-grünen Regierung kommen, sonst hätten wir in diesem Land eine Revolution gehabt. Ähnliches gilt wohl auch für die Veränderung des Sozialstaates. Wahrscheinlich müssen die heiligen Kühe von denen geschlachtet werden, die an ihrer Aufzucht am aktivsten beteiligt waren." Anzumerken ist allenfalls: Jene Parteien, die als "rot" und "grün" firmieren, haben mit den Parteien, die ursprünglich für diese Farben standen nur noch die Fassade gemeinsam. Doch dies genügte offenbar, um bei der Bundestagswahl 1998 einen großen Teil der WählerInnen zu täuschen.

Seit dem 1. Januar 2005 bekommen Arbeitslose nur noch ein Jahr lang Arbeitslosengeld I (ALG I), das sich an der Höhe des letzten Lohnes bemißt. Nach dem zwölften Monat erhalten sie nur noch Arbeitslosengeld II (ALG II). Dessen Höhe ist unabhängig vom letzten Lohn und beträgt derzeit 359 Euro monatlich. Selbst wer jahrzehntelang gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hat, ist nach einem Jahr Arbeitslosigkeit zum Leben in Armut verdammt.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) erachtet die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 für "gescheitert", weil er unbeeindruckt an der Illusion festhält, das, was als Ziel dieser "Reformen" proklamiert wurde, sei tatsächlich beabsichtigt worden. So stellt dieser Verband immerhin - im Gegensatz zu den deutschen Mainstream-Medien, die in den vergangenen fünf Jahren ihre Aufgabe mehr und mehr darin sahen, die Realität propagandistisch umzudeuten - fest, daß es nicht gelungen sei, "die Zahl der von Arbeitslosigkeit Betroffenen merklich abzubauen." Und DPWV-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider wagt es, öffentlich zu sagen, daß mittlerweile fast die Hälfte der Hartz-IV-Abhängigen (korrekt: ALG-II-BezieherInnen) diese Zahlungen mindestens drei Jahre lang beziehen. "Wer in Hartz IV ist, der ist in der Perspektivlosigkeit. Das ist das Fazit, das man ziehen muß", so Ulrich Schneider.

Des weiteren stellt der DPWV fest, daß die "Zahl der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher im Vergleich zu 2005 konstant geblieben" ist. Und: "Es ist auch nicht gelungen, Langzeitarbeitslose häufiger in Arbeit zu vermitteln." Nach einer Analyse des DPWV lag die Zahl der erwerbsfähigen ALG-II-BezieherInnen im April 2009 mit 4,93 Millionen beinahe auf dem Niveau der Anfangsmonate von Hartz IV. Im September 2005 waren es 5,15 Millionen. Zu ergänzen ist hier allerdings, daß diese Angaben auf der Jahr für Jahr mit immer skrupelloseren Tricks verfälschten amtlichen Statistik beruhen und die Arbeitslosigkeit real stark zugenommen hat. Ein immer größerer Teil der Betroffenen wird nicht in der Statistik berücksichtigt.

Die Zahl der sogenannten AufstockerInnen, also der Erwerbstätigen, die zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn auf ALG-II-Zahlungen angewiesen sind, lag laut DPWV im April 2009 mit 1,31 Millionen sogar noch etwas höher als 2007 (1,28 Millionen). Konstant blieb auch die Zahl der Kinder in Hartz-IV-Familien. Demnach waren 1,78 Millionen Kinder unter 14 Jahren im September 2005 von Hartz IV abhängig, im April 2009 waren es laut offiziellen Zahlen nur rund 36.000 weniger. Der DPWV stellt fest: "Es ist unmöglich, ein Kleinkind mit 215 Euro für Kleidung, Lebensmittel und Spielzeug über den Monat zu bringen."

Die Vermittlungsbemühungen der Job-Behörden sind laut DPWV nach wie vor unabgestimmt und chaotisch. Zudem habe durch die Abschaffung jeglicher Zumutbarkeitsregeln und den hohen Druck auf die Arbeitslosen die Zahl der arbeitenden Armen zugenommen. Hartz IV habe auch deshalb scheitern müssen, so der DPWV, weil der erste Arbeitsmarkt nicht genügend Jobs angeboten hat. "Es wurde eine Brücke aufgebaut, die ins Nichts führte", sagte der DPWV-Geschäftsführer.

Um nun das von "Rot-Grün" verfolgte Ziel erkennen zu können, ist ein Blick auf Europa hilfreich: In keinem anderen europäischen Land wurde in den vergangenen Jahren der Niedriglohn-Sektor so stark ausgeweitet wie in Deutschland. Die BRD hat mittlerweile eine ganze Reihe anderer europäischer Länder, die etliche Jahre zuvor mit einer neoliberalen Umgestaltung begannen, überholt und liegt in Europa seit Anfang 2008 an der Spitze. Nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen lag der Anteil des Niedriglohn-Sektors in Deutschland im April 2008 bei 22,2 Prozent. In den USA lag der Anteil der Billig-Jobber zu diesem Zeitpunkt bei 25 Prozent. Und in Dänemark beispielsweise bei nur 8,5 Prozent.

Hartz IV hat eben hauptsächlich den Zweck, Arbeitslose zu zwingen, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen. Durch die verschärften Zumutbarkeitsregeln wird Druck ausgeübt, auch Jobs mit einer Entlohnung unter Tarif und außerhalb der Sozialversicherung zu akzeptieren. Mehr noch als die Steuerreform des Jahres 2000, die dem Kapital Steuererleichterungen von jährlich über 20 Milliarden Euro verschaffte, war dies ein unschätzbares Geschenk.

Die AutorInnen der IAQ-Studie nennen die Ursache beim Namen: "Die Politik hat mit umfassenden Deregulierungen die Schleusen geöffnet für die weitere Ausdehnung der Niedriglohn-Beschäftigung." Dabei steigt nicht nur die Zahl der betroffenen Beschäftigten, sondern gleichzeitig sinkt auch seit 2004 deren durchschnittlicher Stundenlohn - im Westen innerhalb eines Jahres von 7,16 Euro (2005) auf 6,89 Euro (2006), im Osten im gleichen Zeitraum von 5,38 Euro auf 4,86 Euro. Bei einer vierzigstündigen Wochenarbeitszeit ergibt sich so ein Monatslohn von rund 1.100 Euro brutto im Westen und von rund 800 Euro brutto im Osten. 2006 arbeiteten insgesamt 1,9 Millionen Menschen sogar für eine Stundenlohn unter fünf Euro. Innerhalb von nur zwei Jahren sanken 400.000 Beschäftigte in diesen untersten Bereich ab. 76 Prozent der Niedriglohn-Beschäftigten sind Frauen.

Heute müssen rund neun Millionen Menschen in der BRD in Teilzeit-Jobs arbeiten - überwiegend Frauen wurden so zu Opfern von Hartz IV . Sieben Millionen arbeiten in so genannten Mini-Jobs mit einem maximalen Monatseinkommen von 400 Euro. Durchschnittlich über 300.000 Menschen befinden sich, mehr oder weniger direkt von den Behörden gezwungen, in Ein-Euro-Jobs. Hier verdienen sie zusätzlich zum ALG-II-Satz pro Arbeitsstunde ein oder zwei Euro. Angeblich dient dies dazu, Menschen an einen regulären Arbeitstag zu gewöhnen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Neoliberaler "S"PD-Staatssekretär Asmussen
      von "Schwarz-Gelb" übernommen (29.10.09)

      Bundesagentur für Arbeit korrigiert Fehler
      Rücknahme rechtswidriger Hartz IV-Sanktionen (28.10.09)

      Bei Obdachlosen wird gekürzt
      Caritas schlägt Alarm (16.10.09)

      Aufschwung? Abschwung?
      Schwund bei den Reallöhne seit vielen Jahren (14.08.09)

      Nur in der Telefon-Zelle kommt das Zahlen vor dem Wählen
      Was nach der Bundestagswahl an weiterem Sozialabbau droht
      (23.07.09)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD (23.05.09)

      "Blühende Landschaften" im Osten
      Armuts-Atlas des Paritätischen Gesamtverbandes (19.05.09)

      Gerichtsentscheid gegen Hartz-IV-Schikane
      4,50 Euro Stundenlohn unzumutbar (24.02.09)

      Hartz IV - "Fördern und Fordern"?
      Fördern funktioniert nicht
      Fordern ist verschleierte Schikane
      Was wurde mit den Hartz-Gesetzen real bezweckt? (19.06.08)

      Sozialabbau und Bildung für Eliten
      Der Kapitalismus zerstört seine eigenen Grundlagen (5.05.08)

      Sozialabbau und Niedriglohn-Sektor
      22 Prozent arbeiten in Deutschland für Niedriglöhne (28.04.08)

      Sozialabbau trifft Frauen härter
      Erklärung von NETZWERK REGENBOGEN
      zum Internationalen Frauentag (8.03.08)

      Hartz IV - Eine Zwischenbilanz
      Niediglohnsektor ausgeweitet
      Fördern unter den Tisch gefallen (30.07.07)

.. und einige unserer Artikel von 2004:

      Immer mehr bei Montags-Demos
      Protest gegen Sozialabbau wird immer massiver (16.08.04)

      Die Wut wächst
      Montags-Demonstrationen gegen Sozialabbau (10.08.04)

      Warnung vor der Wut
      Peter Porsch von der PDS warnt... (1.08.04)

 

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