21.11.2004

Der 'spiegel' enthüllt:
Totalüberwachung
der Konten

In einem Artikel, der dieser Tage auf 'spiegel online' veröffentlicht wurde, enthüllt das Nachrichtenmagazin, das lange Zeit schon nicht mehr für investigativen Journalismus stand, einen Skandal Orwellscher Dimension. Mit einem Gesetz, das bereits am 19.12.03 - laut 'spiegel' "hastig" - durch den Bundestag geschleust wurde und die unverdächtige Kurzbezeichnung "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" trägt, wurde die Grundlage geschaffen, daß ab April 2005 die finanziellen Verhältnisse aller BundesbürgerInnen von Fiskus, Sozialbehörden und Arbeitsagenturen durchleuchtet werden können.

Nun könnten sich all jene, die sich zu den unteren zwei Dritteln dieser Gesellschaft zählen, beruhigt zurücklehnen und frohlocken: Jetzt wird endlich der Steuerhinterziehung ein Riegel vorgeschoben und dem Staat fließt dann der so dringend benötigte und von den Reichen beiseite geschaffte Betrag von jährlich rund 65 Milliarden Euro zu. Das wäre ein Wunder. Denn dieses Geld wird sicherlich rechtzeitig auf ausländische Konten transferiert werden - so dies nicht bereits überwiegend der Fall ist.

Eines aber ist klar:
Wie der renommierte Steuerrechtsprofessor und Anwalt Gunter Widmaier laut 'spiegel' erklärt, werden mit diesem Gesetz "nicht die Reichen, sondern vor allem die kleinen Leute" geschröpft. Und so halten sich auch Großbanken wie die 'Deutsche Bank' und die 'Commerzbank' mit Kritik an der Aufhebung des Bankgeheimnisses auffällig zurück. Vordergründig dient das Gesetz dem "Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismus". Doch real hat das "rot-grüne" Durchleuchtungs-Gesetz nichts mit der Jagd auf die großen Sünder zu tun. Schon seit 2002 können Steuerfahnder und Bundeskriminalamt auf die KEZ-Datenbank zugreifen, wenn sie eine schwere Straftat vermuten.

Mit dem Zugriff auf die KEZ-Datenbank kann "Rot-Grün" bald schrankenlos und vollständig über die Konto- und Depotinformationen sämtlicher deutschen SteuerzahlerInnen verfügen - ohne Anfangsverdacht, ohne richterliche Erlaubnis und ohne daß die Betroffenen je davon erfahren. Bei der Frankfurter Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) können die Finanzämter dann jederzeit abfragen, wer wo Geld liegen hat. Der Abruf offenbart, welche Konten, Wertpapierdepots, Ander- oder Treuhandkonten sowie Verfügungsberechtigungen ein Steuerzahler unterhält. Im Fachjargon wird diese Kontenübersicht als Stammdatensatz bezeichnet. Der 'spiegel' kommentiert in Anspielung auf den bekannten Science-Fiction-Roman '1984', dieses "Verfahren hätte sich George Orwell kaum besser ausdenken können." Nicht einmal die betroffene Bank erfährt von einer Durchleuchtung. Denn alle Institute werden online vom der BaFin angezapft, die in einem Datenpool namens Konten-Evidenz-Zentrale (KEZ) tagesaktuell alle deutschen Kontodaten bereithält.

Gunter Widmaier nimmt kein Blatt vor den Mund: Diese Zugriffsmöglichkeit sei "das, was Stasi-Chef Mielke gerne gehabt hätte, sich aber nicht leisten konnte"1. Der Steuerrechtsprofessor hält die ins Haus stehende Ausweitung der Überwachung nicht für mit dem Grundgesetz vereinbar und hat im Auftrag der im Kreis Borken ansässigen Volksbank Raesfeld zwei Verfassungsbeschwerden eingelegt. Widmaier erwartet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits für Anfang 2005.

Laut 'spiegel' macht auch der Norddeutsche Genossenschaftsverband gegen den Online-Zugriff mobil. Ein Gutachten, das die Vertretung der Genossenschafts- und Raiffeisenbanken bei dem Hamburger Rechtswissenschaftler Erich Samson in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluß, daß die Regelung aus "vielfältigen Gründen eindeutig verfassungswidrig" ist. Daß BankkundInnen zu keinem Zeitpunkt von der Durchleuchtung erfahren, verstoße gegen das Recht auf informelle Selbstbestimmung. Die von Karlsruhe etwa im Rahmen eines Urteils zur Volkszählung von 1983 aufgestellten Anforderungen für eine Datenerhebung derartigen Umfangs würden "nicht im Ansatz erfüllt".

Und noch eine beunruhigende Information hält Steuerrechtsprofessor Widmaier für die unteren beiden Drittel bereit: Das am 19.12.03 beschlossene Gesetz eröffnet nicht nur dem Finanzamt, sondern auch einer ganzen Reihe weiterer Behörden die Möglichkeit der Durchleuchtung. Alle Behörden, die in der einen oder anderen Weise mit Einkommenssteuer und Lohnzettel zu tun haben, also Arbeitsämter, Sozialbehörden, Familienkasse und BaföG-Amt können den Zugriff jederzeit nutzen. Auch sie müssen keine Begründung anführen oder die Betroffenen informieren. Widmaier geht davon aus, daß sich die Ämter ihrer neuen Befugnisse vor allem bei der Durchführung des Hartz-IV-Gesetzes bedienen werden. Empfänger des Arbeitslosengelds II könnten so heimlich überprüft werden, ebenso wie deren Lebenspartner oder Verwandte. Es war schon immer leichter, den Kleinen das Fell über die Ohren zu ziehen, als sich mit den Reichen und Mächtigen anzulegen.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkung

1 Siehe auch unsere Artikel
      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid (26.01.04)

      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

      Stasi-Mielkes Auferstehung (23.02.01)

 

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