Hans von Sponeck
und Denis Halliday
über die US-Politik gegenüber dem Irakischen Volk
In der US-Politik gegenüber dem Irak vollzieht sich ein bedeutender Wandel.
Offensichtlich möchte Washington die elf Jahre dauernde Embargo-Politik
gegenüber dem irakischen Regime beenden, um stattdessen den gewaltsamen Sturz
Saddam Husseins und seiner Regierung zu betreiben.
Die gegenwärtige Politik wirtschaftlicher Sanktionen hat die irakische
Gesellschaft zerstört und den Tod von Tausenden, Jungen wie Alten, verursacht.
Das belegen täglich Berichte von angesehenen internationalen Organisationen wie
der Caritas, Unicef und Save the Children. Eine Hinwendung zu einer Politik des
gewaltsamen Umsturzes wird dieses Leiden vergrößern.
Die Erfinder dieser Politik dürfen nicht länger davon ausgehen, daß sie die Wähler zufrieden
stellen, indem sie diejenigen mit Verachtung strafen, die ihnen entgegentreten. Das Problem
liegt nicht darin, daß die Öffentlichkeit nicht fähig
wäre, die Zusammenhänge zu verstehen, wie die frühere amerikanische
Außenministerin Madeleine Albright es gerne darstellt. Das Gegenteil ist der
Fall. Die größeren Zusammenhänge, die versteckte Zielsetzung, wird von den
einfachen Bürgern sehr wohl verstanden. Wir sollten Henry Kissingers brutal
offenes Eingeständnis nicht vergessen, dass "Öl ein viel zu wichtiges Gut ist,
um es in den Händen der Araber zu belassen."
Wie lange noch dürfen demokratisch gewählte Regierungen hoffen, ungestraft eine
Politik zu rechtfertigen, die das irakische Volk für etwas bestraft, das es
nicht getan hat, indem Wirtschaftssanktionen verhängt werden in der
Hoffnung, daß die Überlebenden das Regime stürzen werden? Müssen sich nur die
Verlierer an das internationale Recht halten? Dient der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen nur den Mächtigen?
Großbritannien und die USA als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind
sich bewußt, daß das UN-Embargo gegen UN-Konventionen über die
Menschenrechte, die Genfer und die Hager Konvention, und gegen andere
internationale Gesetze verstößt. Man muß nicht anti-britisch oder
anti-amerikanisch eingestellt sein, um darauf hinzuweisen, daß Washington und
London in den letzten zehn Jahren dazu beigetragen haben, der Geschichte
vermeidbarer Tragödien ein irakisches Kapitel hinzuzufügen.
Großbritannien und die USA haben seit dem Sieg im Golfkrieg von 1991 bewußt
eine Politik der Bestrafung verfolgt. Die Regierungen der beiden Staaten haben
sich immer wieder dagegen gestellt, daß der UN-Sicherheitsrat seinen
Mandats-Verpflichtungen nachkommen konnte, die Auswirkungen der Sanktionspolitik
auf die Zivilbevölkerung zu überprüfen. Wir wissen das aus erster Hand, weil die
Regierungen wiederholt versucht haben, uns davon abzuhalten, den Sicherheitsrat
darüber zu informieren. Die kläglichen jährlichen Begrenzungen von weniger als
170 Dollar pro Person für humanitäre Versorgung, die von ihnen während der
ersten drei Jahre des Öl-für-Nahrungsmittel- Programms festgesetzt wurden, sind
ein Beleg für solch eine Politik.
Wir haben die Auswirkungen vor Ort gesehen und können nicht verstehen, wie der
amerikanische Botschafter, James Cunningham, vor einem Jahr seinen Kollegen in
die Augen sehen konnte, als er sagte: "Wir (die amerikanische Regierung) sind
überzeugt, daß das Öl-für-Nahrungsmittel- Programm die Bedürfnisse des
irakischen Volkes deckt." Neben der Versorgung mit Lebensmitteln und
Medikamenten geht es heute darum, daß die Einnahmen aus irakischen Ölverkäufen
in den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur investiert werden müssen, die im
Golfkrieg zerstört wurde.
Obwohl die erlaubten Öl-Einnahmen völlig unzureichend sind, auch nur die
Minimalbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu decken, wurden 30 Cents (nun
25) jedes Dollars, der für irakisches Öl von 1996 bis 2000 eingenommen wurde,
durch den UN-Sicherheitsrat abgeführt, auf Geheiß der britischen und
amerikanischen Regierung, um Außenstehende für Verluste zu entschädigen, die durch
die irakische Invasion von Kuwait angeblich entstanden waren. Wenn dieses Geld
den Irakern zur Verfügung gestellt worden wäre, hätten viele Menschenleben gerettet
werden können.
Es ist eine unbequeme Wahrheit, daß der Westen das irakische Volk als Geisel
genommen hat, um sich Saddam Husseins Fügsamkeit gegenüber sich ständig
verändernden Forderungen zu sichern. Der UN-Generalsekretär,
der sich gerne als Vermittler betätigen würde, ist von den Regierungen
Großbritanniens und den USA wiederholt daran gehindert worden, diese Rolle
einzunehmen.
Die Ungenauigkeit der UN-Sanktionen gegen den Irak - von Großbritannien und den
USA als "konstruktive Mehr- deutigkeit" definiert - wird von beiden Regierungen
als nützliches Instrument gesehen im Umgang mit dieser Art von Konflikt.
Großbritannien und die USA weisen Kritik zurück, indem sie erklären,
das irakische Volk würde von Bagdad bestraft. Wenn das wahr ist, warum
bestrafen wir es noch zusätzlich?
Der jüngste Bericht des UN-Generalsekretärs vom Oktober 2001 besagt,
daß die britische und amerikanische Regierung vier Milliarden Dollar an
humanitärer Hilfe blockieren und daß dies bei weitem die größte Behinderung für
die Durchführung des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms darstellt. Der Bericht
führt weiter aus, daß, im Gegensatz dazu, die irakische Regierung ausreichend
humanitäre Hilfe verteilt (das war in der Tat der Fall, während wir dieses
Programm leiteten). Der Tod von 5.000 bis 6.000 Kindern pro Monat ist
hauptsächlich verursacht durch verseuchtes Trinkwasser, das Fehlen von
Medikamenten und Unterernährung. Schuld an dieser Tragödie ist nicht Bagdad, sondern die von
den Regierungen Großbritanniens und den USA verzögerte Freigabe von Ausrüstung
und Material.
Die Erwartung eines US-Angriffs auf den Irak erzeugt keine Bedingungen im
Sicherheitsrat, die einer Diskussion über die Zukunft der Wirtschaftssanktionen
förderlich wären. Der dieses Jahr von Großbritannien eingebrachte Vorschlag
"intelligenter Sanktionen" wird nicht wieder aufgegriffen werden. Zu viele Menschen
sehen ein, daß das, was oberflächlich wie eine Verbesserung für die
Zivilbevölkerung aussah, in Wirklichkeit ein Versuch ist, die Brückenköpfe der
existierenden Sanktionspolitik zu erhalten: keine ausländischen Investitionen
und keine Rechte für die Iraker, ihre eigenen Öleinnahmen zu verwalten.
Der Vorschlag beinhaltete, die irakischen Grenzen abzuriegeln und das irakische
Volk zu strangulieren. Im gegenwärtigen politischen Klima wird eine technische
Ausweitung der aktuellen Bedingungen von Washington als der zweckdienlichste
Schritt angesehen. Daß dies noch mehr Iraker zum Tod und zur Verelendung
verurteilt, wird als unvermeidbar abgetan.
Was wir beide hier beschreiben ist keine Spekulation. Es sind unbestreitbare
Fakten, die wir als frühere Insider kennen. Wir sind empört, daß das irakische
Volk weiterhin gezwungen wird, den Preis für lukrativen Waffenhandel und
Machtpolitik zu bezahlen. Wir fühlen uns an Martin Luther Kings Worte erinnert:
"Es kommt eine Zeit, in der Schweigen Verrat ist. Diese Zeit ist jetzt."
Wir wollen Menschen, egal wo sie leben, ermutigen, gegen skrupellose Politik zu
protestieren und gegen die entsetzliche Fehlinformation über den Irak, die von
denen verbreitet wird, die es besser wissen müßten, aber gewillt sind, mit
falschen und bösartigen Argumenten Menschenleben zu opfern.
Das amerikanische Verteidigungsministerium und Richard Butler, der frühere
Leiter der UN-Waffeninspekteure in Bagdad, hätten es gerne gesehen, wenn der
Irak hinter den Milzbrand-Anschlägen gestanden wäre. Aber sie mußten erkennen,
daß diese ihren Ursprung in den USA hatten.
Britische und amerikanische Geheimdienste wissen sehr wohl, daß der Irak
qualitativ entwaffnet ist, und sie haben nicht vergessen, daß der scheidende
Verteidigungsminister, William Powell, dem kommenden Präsidenten George Bush im
Januar mitgeteilt hatte: "Der Irak stellt für seine Nachbarn keine militärische
Bedrohung mehr dar." Dieselbe Botschaft ist von früheren UN-Waffeninspekteuren
ausgegangen. Aber dies zuzugeben würde bedeuten, die gesamte UN-Politik, wie sie
von der britischen und der amerikanischen Regierung entwickelt und
aufrechterhalten wurde, in Frage zu stellen.
Wir sind entsetzt über die Aussicht eines neuen, von den USA angeführten Kriegs gegen den Irak.
Die Implikationen eines "finishing unfinished business" im Irak
sind zu ernst, als daß die Weltgemeinschaft sie ignorieren dürfte. Wir hoffen,
dass die Warnungen von Führern aus dem Mittleren Osten und von uns allen, die
wir uns für die Menschenrechte einsetzen, von der US-Regierung nicht ignoriert
werden. Was im Moment am dringendsten gebraucht wird, ist ein Angriff gegen die
Ungerechtigkeit, nicht gegen das irakische Volk.
Hans von Sponeck war von 1998 bis 2000 humanitärer Koordinator der UNO im Irak;
Denis Halliday hatte denselben Posten von 1997 bis 1998 inne.
Siehe auch unsere Artikel:
Irak - die Geiselnahme eines ganzen Volkes von Barbara Schroeren-Boersch
und
unsere Artikel zu den Folgen des Einsatzes von "Uran-Munition" während des Golfkriegs
wie u.a. den von Prof. Günther