27.03.2009

CIA-Flüge waren
auch "Rot-Grün" bekannt

Geheimes NATO-Abkommen deckte die Verschleppungen

Die NATO-Staaten - und damit auch die damalige "rot-grüne" Bundesregierung - wußten von Anfang an, daß die USA im "Kampf gegen den Terror" Verdächtigte verschleppten und in Geheim- Gefängnissen festhielten. Mit einem geheimen Abkommen sollen die NATO-Regierungen das menschenrechtswidrige System gestützt haben, so der Europarat-Sonderermittler Dick Marty bei einer Befragung durch den BND-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages.

In der letzten öffentlichen Sitzung befragte der BND- Untersuchungsausschuß Untersuchungsausschuss in Berlin den Sonderberichterstatter des Europarat, Dick Marty. Der Schweizer, der die geheimen Gefangenenflüge des US-Geheimdienstes CIA untersuchte, vertrat die Ansicht, daß deutsche Sicherheitsbehörden von dem weltweiten System illegaler Verschleppungen von Terrorverdächtigen durch die USA gewußt haben müssen.

Damit erhebt Dick Marty schwere Vorwürfe gegen die Regierungen der NATO-Staaten, also insbesondere gegen den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joseph Fischer, Innenminister Otto Schily und den für die Koordinierung der deutschen Geheimdienste zuständigen Kanzleramtssekretär Frank-Walter Steinmeier. Marty erläuterte ausdrücklich, daß es jeder geheimdienstlichen Erfahrung widerspreche, daß die Spitzen der deutschen Nachrichtendienste oder ein dafür verantwortlicher Minister nicht davon gewußt hätten. Daß der heutige Außenminister Steinmeier erst 2005 von den Gefangenenflügen erfahren haben will, bezeichnete Marty als nicht glaubhaft.

Der Sonderermittler, der vor seiner politischen Karriere jahrelang als Staatsanwalt gegen das organisierte Verbrechen kämpfte, beruft sich bei seinen Anschuldigungen auf die Aussagen von InformantInnen, die ihm während seiner Recherchen im Auftrag des Europarats davon berichteten, daß es in Washington kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Treffen der weltweit wichtigsten Geheimdienste gegeben habe. Dabei sollen die US-Dienste ihre Kollegen darüber informiert haben, daß der damalige US-Präsident George W. Bush ihnen freie Hand bei der Verfolgung von Terroristen eingeräumt habe. Ein zweites und ebenfalls bedeutsames Treffen trug sich laut Marty nicht einmal einen Monat später zu.

Am 4. Oktober 2001 verständigten sich die NATO-Staaten darauf, sich im "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" zu unterstützen. In einer Darstellung des Verteidigungsbündnisses heißt es: "Auf Bitten der Vereinigten Staaten wurden erste Maßnahmen zur Umsetzung vereinbart. Konkret, stimmten sie [die Alliierten] zu, die Zusammenarbeit und den Austausch der Nachrichtendienste in Bezug auf terroristischen Gefahren und zur Abwehr dieser Bedrohung auf bilateraler Ebene und in den NATO-Gremien zu verbessern." Marty zufolge enthält ein geheimes Zusatz-Abkommen die Vereinbarung, daß US-Agenten nicht nur völlige Bewegungsfreiheit auf den Territorien der Alliierten hatten, sondern daß ihnen auch Straffreiheit zugesichert worden sei. In diesem geheimen NATO-Abkommen sei geregelt worden, daß Terrorverdächtige nach Guantanamo auf Kuba beziehungsweise in Geheimgefängnisse in Europa gebracht werden sollten.

Marty kann zwar für seine Anschuldigungen keine schriftlichen Belege vorweisen. Er beruft sich jedoch auf zuverlässige Insider-Quelle, deren Informationen er nur bekommen konnte, weil er ihnen absolute Vertraulichkeit versprach. Die Angaben über das geheime NATO-Abkommen will Marty von einem Informanten haben, der die Vereinbarung kenne.

Sollte ein solches Dokument existieren und sollten sich europäische Regierungen tatsächlich daran gebunden fühlen, dann wäre so manches Merkwürdige erklärbar: So werden in Italien der Mailänder Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren wegen der Verschleppung eines Terrorverdächtigen durch CIA-Agenten immer wieder Steine in den Weg gelegt. In Deutschland werden Haftbefehle gegen CIA-Agenten, die an der Entführung des Deutschen Khaled el Masri beteiligt gewesen sein sollen, durch die Bundesregierung blockiert. Und selbst als der damalige Bundesinnenminister Otto Schily von den USA über die Verschleppung Masris informiert wurde, gab er sein Wissen nicht freiwillig an die Staatsanwaltschaft weiter.

Es ist zudem bemerkenswert, daß brisante Informationen aus Einsatzberichten deutscher Polizisten, Soldaten und Agenten auf dem Meldeweg in die politische Ebene verschwunden sein sollen. Dabei hätten diese Puzzlestücke etwa aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Afghanistan oder aus Deutschland selbst ein Bild ergeben müssen, das zumindest kritische Nachfragen bei den US-Amerikanern zur Folge hätte haben müssen. Auch die Zusammenarbeit mit den USA im Nachgang des 11. September 2001 hätte überprüft werden müssen.

Doch stattdessen gab es einen regen transatlantischen Informationsaustausch über Terrornetzwerke und deren Akteure. Während der vielen Anhörungen im BND-Untersuchungsausschuß wurde seitens deutscher Behördenvertreter immer wieder betont, daß man die US-Stellen darauf hingewiesen habe, die deutschen Informationen nur im rechtsstaatlichen Rahmen zu verwenden. Man habe keine Hinweise gehabt, daß die USA sich nicht an diese Maßgabe gehalten hätten.

Marty beklagt in diesem Zusammenhang die mangelnde Kooperation europäischer Regierungen, auch der Bundesregierung. Deshalb sei sein erster Bericht lückenhaft gewesen. Daraufhin hätten sich InformantInnen bei ihm gemeldet. So habe er etwa 30 ZeugInnen "auf beiden Seiten des Atlantiks" gehabt. Angaben zu den ZeugInnen wollte Marty nicht machen. Aufgrund ihrer Position und der Präzision ihrer Aussagen halte er sie jedoch für glaubwürdig.

Angesichts der tatsächlichen oder vorgetäuschten europäischen Ahnungslosigkeit zeigte sich Marty bei seiner Befragung in Berlin pessimistisch, daß eine vollständige Aufklärung in Europa möglich sein werde. "Die Wahrheit wird herauskommen - wenn auch nicht in Europa, was ich als Europäer sehr bedauere." Der Ermittler erwartet, daß die US-amerikanische Presse in den kommenden Monaten und Jahren das Ausmaß des Systems von weltweiten Verschleppungen, Geheimgefängnissen und CIA-Flügen der Regierung Bush enthüllt.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      NATO-Gipfel im April 2009
      Demokratiefreien Zone und Zwangsinternierung der AnwohnerInnen
      (19.02.09)

      11. September vor 35 Jahren
      Ein blutiger Putsch mit Beteiligung der CIA (11.09.08)

      Deutsche Kriegspolitik (1.09.08)

      Schweizer Atomwaffen-Skandal
      Zehn Millionen Dollar von der CIA (26.08.08)

      Krieg im Kaukasus
      Mehr Blut für Öl (11.08.08)

      Deutschland wird tiefer
      in Afghanistan-Krieg hineingezogen (6.02.08)

      Frankreichs Regierung
      von US-Geheimdienst abgehört (21.06.07)

      G8 - Zwei Sorten Gewalttäter,
      zwei Sorten Unpolitische
      und eine strahlende zweifache Blenderin (8.06.07)

      Presse-Zensur vor G-8-Gipfel in Heiligendamm
      Akkreditierung ausschließlich für devote JournalistInnen (1.06.07)

      "Rot-Grün" wußte bereits 2001
      von CIA-Gefängnissen in Europa (27.10.06)

      Fall Kurnaz: Bundesregierung war bereits 2001 informiert
      Wie lange kann sich Steinmeier noch halten? (26.10.06)

      "Sie sagten, du bist von al Qaida,
      und wenn ich nein sagte, schlugen sie zu"
      Interview mit Murat Kurnaz im 'stern' 41/06 (5.10.06)

      CIA-Affäre stürzt
      US-Administration in Krise (29.10.05)

      Massengräber in Amerika
      Guatemala... (5.07.03)

      Die vergessenen Kriege (28.03.03)

      Echelon und die deutsche Wirtschaft
      US-Geheimdienst hört ab (5.03.2001)

      CIA und US-Wissenschaftler
      Wissenschaft und Spionage (12.02.2001)

 

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