5.09.2004

Erklärung

Nein zur EU-Verfassung!

Erklärung des 3. Friedenspolitischen Kongresses in Hannover (Diese Erklärung ist zugleich eine Unterschriften-Aktion - zum Unterzeichnen: siehe Ende dieser Seite)

Am 29. Oktober 2004 soll der EU-Verfassungsentwurf durch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU unterzeichnet werden. Danach wird in den einzelnen Staaten der Ratifizierungsprozeß beginnen. Die "rot-grüne" Bundesregierung hat schon erklärt, diesen Prozeß möglichst kurz zu gestalten.

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, wenden uns gegen die Ratifizierung dieses Verfassungsvertrags.

Wir lehnen diesen EU-Verfassungsvertrag ab

  • weil mit ihm die - auch von ökonomischen Interessen geleitete - Militarisierung der Europäischen Union bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben wird;

  • weil mit ihm der Neoliberalismus Verfassungsrang erhält und die EU auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" verpflichtet wird. Soziale Belange und Beschäftigungspolitik werden der Wettbewerbspolitik untergeordnet. Die Finanzmittel für die Um- und Aufrüstung der EU-Armeen sowie für neue Kriege werden auch durch den Abbau von Sozialsystemen in den EU-Mitgliedstaaten erkauft;

  • weil eine antisoziale Ordnung in der EU festgeschrieben wird, indem die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte in der EU-Grundrechtecharta durch beigefügte Erläuterungen noch weiter ausgehöhlt und ihrer Wirksamkeit beraubt werden;

  • weil imperiale Machtpolitik nach außen und innen festgeschrieben wird; bei Abstimmungen im Europäischen Rat und im Ministerrat gibt es ein Übergewicht der großen Länder, vor allem Deutschlands.

  • Wir rufen zum Protest und Widerstand gegen diesen EU-Verfassungsentwurf auf.

  • Um zu verhindern, daß dieser Vertrag in Kraft tritt, unterstützen wir eine große öffentliche Kampagne, die die Bevölkerung über die Inhalte dieses Vertrages aufklärt.

[Unterzeichnerinnen und Unterzeichner]

Begründung:

Friedensgefährdend

Mit dem EU-Verfassungsvertrag wird die Militarisierung der Europäischen Union bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben. Der Verfassungsvertrag soll der EU die "auf militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen" (Art I-41 Abs. 1) sichern. Eine zusätzliche kerneuropäische Militarisierung wird mit der "ständigen strukturierten Zusammenarbeit" (III-312) etabliert.

Aufrüstung wird Verfassungsgebot: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art.I-41 Abs. 3) . Die Petersbergaufgaben werden um noch weiter reichende militärische Interventionsmöglichkeiten erweitert bis hin zu "Abrüstungskriegen" (III-309). Eine "Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung" wird die Aufrüstung der Mitgliedstaaten überwachen und zudem "zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors" durchsetzen (III-311).

Neoliberal

Die Prinzipien des Neoliberalismus erhalten Verfassungsrang. In den allgemeinen "Zielen der Union" ist zwar beschönigend die Rede von einer "in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität". (I-3) Im konkreten Politikteil wird dann aber Klartext geredet von der Verpflichtung auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb". (III-177) Beschäftigungspolitik wird den "Grundzügen der Wirtschaftspolitik" untergeordnet (III-206, 179), die geprägt sind durch die einseitige Orientierung auf das "vorrangige" Ziel der "Preisstabilität" (I-30, III-177, 185) und durch den in Verfassungsrang erhobenen "Stabilitätspakt" (III-184), In der Steuerpolitik sollen nur die indirekten Steuern harmonisiert werden (III-171). Nicht vorgesehen ist die längst überfällige Angleichung direkter Steuern, besonders der Unternehmenssteuern, womit der ruinöse "Abwärtswettbewerb" bei den staatlichen Einnahmen zu Lasten der Finanzierung öffentlicher Aufgaben aufzuhalten wäre.

Die einzelstaatlich gewährleisteten Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, auch die beschworene Sicherung der "kulturellen Vielfalt", einschließlich der künstlerischen (I-3), werden ganz im Sinne der WTO relativiert (III-166) und bleiben der Beihilfekontrolle unterworfen.

Antisozial

Die Aufnahme der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag stellt zwar prinzipiell einen geringen Fortschritt bei der Verankerung demokratischer und sozialer Grundrechte dar. Zugleich wurde aber insgesamt eine Schieflage zuungunsten der sozialen Grundrechte verankert, die sich ausdrückt in der fehlenden Sozialbindung des Eigentums in Art II-77 und der verfassungsrechtlichen Hervorhebung der "unternehmerischen Freiheit" (II-76). Anstelle eines "Rechts auf Arbeit" wird nur das "Recht zu arbeiten" gewährt (II-75), auch andere soziale Grundrechte fanden keine Aufnahme oder nur eine Aufnahme in stark beschnittener Form. Durch die Herabstufung von Grundrechten zu "Grundsätzen" in den sogenannten Schlußbestimmungen jedoch (II-112 Abs. 5) und die nachträgliche Aufnahme eines Verweises auf aktualisierte Erläuterungen der Präsidien des Grundrechtekonvents und des Verfassungskonvents (II-112 Abs. 7) sind die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte auf EU-Ebene noch weiter ausgehöhlt und de facto ihrer Wirksamkeit beraubt worden. Im Ergebnis kann beispielsweise weiterhin nicht von einem EU-Streikrecht oder einem grenzüberschreitenden Streikrecht die Rede sein, während nationalstaatliche Regelungen zur Aussperrung geschützt werden (II-88).

Imperial

Die, neu in den Verfassungsvertrag aufgenommene, maßgebliche Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungsgröße bei Abstimmungen im Europäischen Rat und im Ministerrat führt zu einem Übergewicht der großen Länder - und vor allem Deutschlands als bevölkerungsreichstem Land. Die EU setzt damit ihren traditionellen Charakter eines Zusammenschlusses gleicher Staaten aufs Spiel.

Nach außen fördert die EU erklärtermaßen "ihre Werte und Interessen" (I-3 Abs. 4). Zugleich will sie sich per Verfassungsvertrag ermächtigen, militärisch global zu intervenieren, um diese Interessen "mit geeigneten Mitteln" (I-3 Abs. 5) durchzusetzen. Statt ihre PolitikerInnen auf eine Einhaltung der UN-Charta und des Völkerrechts sowie die Ächtung von Angriffskriegen zu verpflichten, wird im Verfassungsvertrag bewußt Interpretationsspielraum für globale Kriegseinsätze gelassen. So wird lediglich die "Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen" (I-3 Abs. 4) erklärt und auch die interventionistisch interpretierbare Formulierung der "Weiterentwicklung des Völkerrechts" (I-3 Abs. 4) verwendet.

Anmerkung

Der Wortlaut wie die Zählung der oben zitierten Paragraphen des Verfassungsentwurfs beziehen sich auf die endgültige konsolidierte Fassung. Diese Fassung ist das Ergebnis der Regierungskonferenz von Brüssel vom 18. Juni 2004; sie wurde am 6. August 2004 unter dem Zeichen CIG 87/04 veröffentlicht und soll am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnet werden. Da die vorangegangenen inhaltlichen Auseinandersetzungen in der politischen Öffentlichkeit überwiegend nach der Fassung des Entwurfs des Europäischen Konvents vom 18. Juli 2003 und des vorläufig konsolidierten Textes der Regierungskonferenz (CIG 86/04) vom Juni 2004 erfolgt sind, werden die ursprünglichen Numerierungen jeweils in Fußnoten benannt. Der konsolidierte EU-Verfassungsvertragstext (CIG 87/04 - 349 Seiten) sowie die Protokolle und Anhänge (CIG 87/04 ADD 1 - 382 Seiten) und die Erklärungen und Erläuterungen (CIG 87/04 ADD 2 - 121 Seiten) sind im Internet auf der Seite des Rates abrufbar: hier

 

Hier die Erklärung in Form einer Unterschriften-Liste zum Herunterladen
im rtf-Format:
euverf.rtf

 

Anmerkung von NETZWERK REGENBOGEN:

Siehe auch unsere Veröffentlichungen

    Nachruf zur Ausrufung einer europäischen Verfassung
    - Thukydides ist tot und Europa vergewaltigt (14.06.03)

    EU-Verfassung vorerst gescheitert
    - Militarisierung Europas gebremst? (19.12.03)

    Neue Atommacht EU?
    - Die militärische Dimension des EURATOM-Vertrags (24.04.04)

    EURATOM und EU-Verfassung
    - Greenpeace meldet sich zu Wort (11.06.04)

 

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