17.12.2009

Gastbeitrag

Gewaltfreiheit
oder Krieg für den Frieden?

Zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama

Wofür gibt es einen Friedensnobelpreis, wenn die Preisträger Kriege rechtfertigen, um Sicherheit, Wohlstand und Frieden zu erzwingen? Dies kann nicht der Sinn eines solchen Preises sein. Das ist altes Denken.

Neues, preiswürdiges Denken und Handeln sollte die Überwindung von Krieg und Gewalt auf dem Weg des Friedens sein. Man kann der Meinung sein, daß dies nicht immer möglich ist. Diese Meinung ist allerdings so alt und so verbreitet, daß es dafür keiner Auszeichnung solchen Ranges bedarf. Wenn Präsident Obama seine Afghanistan-Politik damit begründet, "eine gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht gestoppt", könnte man ihm und seinen Vorgängern vielleicht den "Kriegsbegründungspreis" verleihen. Denn mit diesem Argument wurden bereits die Kriege gegen Serbien und gegen den Irak erfolgreich propagiert und moralisch reingewaschen.

Doch so unvergleichbar die gegenwärtigen Kriege mit dem Zweiten Weltkrieg sind, so anfechtbar ist das Argument an sich. Denn die Geschichtsforschung zeigt, daß es durchaus möglich war, Hitler ohne Waffen zu stoppen. Nur sind diese Fakten wenig bekannt, in den USA offenbar noch weniger als in Deutschland: Der französische Historiker Jacques Semelin hat in seiner Studie 'Ohne Waffen gegen Hitler'1 über 40 Beispiele zivilen, gewaltlosen Widerstands aufgelistet und ausgewertet. Sein Fazit: Ziviler Widerstand war möglich und meist sogar erfolgreich!

Der italienische Autor Gabriele Nissim hat in seinem Buch 'Der Mann, der Hitler stoppte'2 die Rettung der bulgarischen Juden nachgezeichnet. Durch den zivilcouragierten Einsatz des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Dimitar Pesev, der orthodoxen Kirche und der gesamten Bevölkerung konnte die Deportation der bulgarischen Juden gestoppt und die gesamte antisemitische Gesetzgebung niedergeschlagen werden.

Der in den USA lebende jüdische Historiker Nathan Stoltzfus hat in seinem Band 'Widerstand des Herzens'3 den erfolgreichen Widerstand von Hunderten von Frauen gegen die Deportation ihrer jüdischen Ehemänner - im Herzen des Deutschen Reiches, mitten in Berlin - ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Joschka Fischer schrieb dazu 1999 in seinem Vorwort: "Es ist ein wirkliches Heldinnenepos, ein Stück erfolgreichen zivilen Widerstandes der Menschlichkeit gegen eine menschenvernichtende totale Diktatur, gegen die - so eine der hartnäckigsten Nachkriegslegenden neben dem 'Wir haben es nicht gewusst' - man ja angeblich doch 'nichts hätte machen können'. Der erfolgreiche Protest der Frauen aus der Rosenstraße widerlegt diese Legende."4

Der erfolgreiche Widerstand der norwegischen Lehrer gegen die Gleichschaltung von Schulwesen und Gesellschaft veranlaßte den norwegischen Ministerpräsidenten und Nationalsozialisten Vidkun Quisling im Mai 1942 zu dem denkwürdigen Satz: "Ihr habt mir alles zerstört!"5 Einer der Norweger, die jene Zeit persönlich miterlebt haben, der renommierte Friedensforscher Johan Galtung resümiert: "Frieden bekommen wir nur, wenn wir mit Konflikten friedlich umgehen. In jedem Konflikt gibt es bei allen Beteiligten einen rationalen Kern, den man verstehen kann. Gerade Gandhi oder meinetwegen Jesus hat mit dieser Haltung der Akzeptanz gelebt. Ich habe keine Probleme damit, große Teile - natürlich ohne das nationalsozialistische ideologische Pathos - von Hitlers Definition des Versailler Vertrages zuzustimmen. Und das zu tun, bedeutet natürlich sofort, offen die Frage der Mitverantwortlichkeit an die Konfliktpartner zu stellen."6

Frieden schaffen ist etwas anderes als einen Feind besiegen. Kriege führen, das haben "wir" gelernt, dafür geben wir Milliarden aus, dafür dürfen auch Zivilisten als "Kollateralschaden" getötet werden. Wie man Frieden friedlich und dauerhaft schafft, das ist die große Herausforderung nach den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts. Um diese "weltfremde Träumerei" (Badische Zeitung, 11.12.09) politische Realität werden zu lassen, sollte der Friedensnobelpreis verliehen werden!

 

Gastbeitrag von

Christoph Besemer

für
REGENBOGEN NACHRICHTEN

Der Autor ist Politologe, Mediator, Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, Herausgeber und Mitautor des Sammelbandes "Gewaltfrei gegen Hitler? Gewaltloser Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute",
hg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, Karlsruhe 2007.

 

Anmerkung

1 Jacques Semelin: Ohne Waffen gegen Hitler. Eine Studie zum zivilen Widerstand in Europa, dipa-Verlag, Frankfurt am Main 1995

2 Gabriele Nissim: Der Mann, der Hitler stoppte. Dimitar Pesev und die Rettung der bulgarischen Juden, Siedler Verlag, Berlin 2000

3 Nathan Stolzfus: Widerstand des Herzen. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße - 1943, Carl Hanser Verlag, München - Wien 1999

4 A.a.O., S. I

5 Magne Skodvin: Gewaltloser Widerstand in Norwegen während der deutschen Besetzung, S. 102, in: Adam Roberts (Hg.): Gewaltloser Widerstand gegen Aggressoren, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1971

6 György Széll, Dieter Kinkelbuhr (Hg.): Johan Vincent Galtung. Forschung, Erziehung und Arbeit für den Frieden; Verleihung der Ehrendoktorwürde des Fachbereiches Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück an J.V. Galtung, fibre Verlag, Osnabrück 1996, S. 40 f.

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