Zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama
Wofür gibt es einen Friedensnobelpreis, wenn die Preisträger Kriege
rechtfertigen, um Sicherheit, Wohlstand und Frieden zu erzwingen? Dies
kann nicht der Sinn eines solchen Preises sein. Das ist altes Denken.
Neues, preiswürdiges Denken und Handeln sollte die Überwindung von Krieg
und Gewalt auf dem Weg des Friedens sein. Man kann der Meinung sein, daß
dies nicht immer möglich ist. Diese Meinung ist allerdings so alt und so
verbreitet, daß es dafür keiner Auszeichnung solchen Ranges bedarf. Wenn
Präsident Obama seine Afghanistan-Politik damit begründet, "eine
gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht gestoppt", könnte man
ihm und seinen Vorgängern vielleicht den "Kriegsbegründungspreis"
verleihen. Denn mit diesem Argument wurden bereits die Kriege gegen
Serbien und gegen den Irak erfolgreich propagiert und moralisch
reingewaschen.
Doch so unvergleichbar die gegenwärtigen Kriege mit dem
Zweiten Weltkrieg sind, so anfechtbar ist das Argument an sich. Denn die
Geschichtsforschung zeigt, daß es durchaus möglich war, Hitler ohne
Waffen zu stoppen. Nur sind diese Fakten wenig bekannt, in den USA
offenbar noch weniger als in Deutschland: Der französische Historiker
Jacques Semelin hat in seiner Studie 'Ohne Waffen gegen Hitler'1
über 40 Beispiele zivilen, gewaltlosen Widerstands aufgelistet und
ausgewertet. Sein Fazit: Ziviler Widerstand war möglich und meist sogar
erfolgreich!
Der italienische Autor Gabriele Nissim hat in seinem Buch
'Der Mann, der Hitler stoppte'2 die Rettung der bulgarischen Juden
nachgezeichnet. Durch den zivilcouragierten Einsatz des stellvertretenden
Parlamentspräsidenten Dimitar Pesev, der orthodoxen Kirche und der
gesamten Bevölkerung konnte die Deportation der bulgarischen Juden
gestoppt und die gesamte antisemitische Gesetzgebung niedergeschlagen
werden.
Der in den USA lebende jüdische Historiker Nathan Stoltzfus hat
in seinem Band 'Widerstand des Herzens'3 den erfolgreichen
Widerstand von Hunderten von Frauen gegen die Deportation ihrer jüdischen
Ehemänner - im Herzen des Deutschen Reiches, mitten in Berlin - ans Licht
der Öffentlichkeit gebracht. Joschka Fischer schrieb dazu 1999 in seinem
Vorwort: "Es ist ein wirkliches Heldinnenepos, ein Stück erfolgreichen
zivilen Widerstandes der Menschlichkeit gegen eine menschenvernichtende
totale Diktatur, gegen die - so eine der hartnäckigsten
Nachkriegslegenden neben dem 'Wir haben es nicht gewusst' - man ja
angeblich doch 'nichts hätte machen können'. Der erfolgreiche
Protest der Frauen aus der Rosenstraße widerlegt diese Legende."4
Der
erfolgreiche Widerstand der norwegischen Lehrer gegen die Gleichschaltung
von Schulwesen und Gesellschaft veranlaßte den norwegischen
Ministerpräsidenten und Nationalsozialisten Vidkun Quisling im Mai 1942
zu dem denkwürdigen Satz: "Ihr habt mir alles zerstört!"5 Einer
der Norweger, die jene Zeit persönlich miterlebt haben, der renommierte
Friedensforscher Johan Galtung resümiert: "Frieden bekommen wir nur,
wenn wir mit Konflikten friedlich umgehen. In jedem Konflikt gibt es bei
allen Beteiligten einen rationalen Kern, den man verstehen kann. Gerade
Gandhi oder meinetwegen Jesus hat mit dieser Haltung der Akzeptanz gelebt.
Ich habe keine Probleme damit, große Teile - natürlich ohne das
nationalsozialistische ideologische Pathos - von Hitlers Definition des
Versailler Vertrages zuzustimmen. Und das zu tun, bedeutet natürlich
sofort, offen die Frage der Mitverantwortlichkeit an die Konfliktpartner
zu stellen."6
Frieden schaffen ist etwas anderes als einen Feind
besiegen. Kriege führen, das haben "wir" gelernt, dafür geben wir
Milliarden aus, dafür dürfen auch Zivilisten als "Kollateralschaden"
getötet werden. Wie man Frieden friedlich und dauerhaft schafft, das ist
die große Herausforderung nach den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts.
Um diese "weltfremde Träumerei" (Badische Zeitung, 11.12.09)
politische Realität werden zu lassen, sollte der Friedensnobelpreis
verliehen werden!
Gastbeitrag von
Christoph Besemer
für
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Der Autor ist Politologe, Mediator, Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion,
Baden, Herausgeber und Mitautor des Sammelbandes "Gewaltfrei gegen
Hitler? Gewaltloser Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seine
Bedeutung für heute",
hg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion,
Baden, Karlsruhe 2007.
Anmerkung
1 Jacques Semelin: Ohne Waffen gegen Hitler. Eine Studie zum zivilen
Widerstand in Europa, dipa-Verlag, Frankfurt am Main 1995
2 Gabriele Nissim: Der Mann, der Hitler stoppte. Dimitar Pesev und die Rettung der
bulgarischen Juden, Siedler Verlag, Berlin 2000
3 Nathan Stolzfus: Widerstand des Herzen. Der Aufstand der Berliner Frauen in der
Rosenstraße - 1943, Carl Hanser Verlag, München - Wien 1999
4 A.a.O., S. I
5 Magne Skodvin: Gewaltloser Widerstand in Norwegen
während der deutschen Besetzung, S. 102, in: Adam Roberts (Hg.):
Gewaltloser Widerstand gegen Aggressoren, Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 1971
6 György Széll, Dieter Kinkelbuhr (Hg.): Johan Vincent
Galtung. Forschung, Erziehung und Arbeit für den Frieden; Verleihung der
Ehrendoktorwürde des Fachbereiches Sozialwissenschaften der Universität
Osnabrück an J.V. Galtung, fibre Verlag, Osnabrück 1996, S. 40 f.
Siehe auch folgende Artikel:
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