20.06.2008

Festung Europa

Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge

In welche Richtung Europa gesteuert wird, zeigt einmal mehr die am 18. Juni vom EU-Parlament abgenickte "Richtlinie über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger" (kurz: Rückführungsrichtlinie). Zwei Wochen zuvor war diese Verschärfung der bisherigen Flüchtlings-Politik vom EU-Ministerrat für Justiz und Inneres beschlossen worden.

Illegal eingereiste Flüchtlinge dürfen nun bis zu 18 Monaten in Haft genommen werden, auch Kinder sind hiervon nicht ausgenommen. Der Rechtsschutz der Flüchtlinge wird hierdurch weiter beschnitten. Ein formaler richterlicher Beschluß ist für eine Inhaftierung nicht notwendig, es reicht die Anordnung einer Verwaltungsbehörde. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kommentiert dies in einer aktuellen Stellungnahme als "schäbige und menschenrechtswidrige Praktik".

Nach einem neuen Bericht der UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) sind derzeit weltweit rund 37 Millionen Menschen auf der Flucht. Europa reagiert mit Abschottung und Abschiebung. Die EU-Grenze - und insbesondere das Mittelmeer - wird zunehmend militarisiert, Tote sind als Abschreckung miteingeplant.

Die Asylantragszahlen konnten so weiter minimiert werden. Während die Chancen auf Aufnahme und ein faires Verfahren immer geringer werden, werden Möglichkeiten der Inhaftierung und Abschiebung erweitert. Die wenigen Flüchtlinge, die es trotzdem noch nach Deutschland schaffen, erwartet ein Leben in Sammellagern. Für sie gilt faktisch ein Arbeits- und Ausbildungsverbot. Zugleich erhalten sie nach dem "Asylbewerberleistungsgesetz" für vier Jahre Leistungen, die zwischen 15 und 35 Prozent unter dem Existenzminimum liegen.

Deutschland hat in der EU Schritt für Schritt seine reaktionäre und menschenverachtende Flüchtlingspolitik durchgesetzt. Damit findet die Harmonisierung im Asylrecht auf unterstem Level statt. Die Bundesregierung hatte im Ministerrat darauf gedrängt, die Abschiebehaft nicht auf maximal drei Monate zu begrenzen. Während in Frankreich derzeit die maximale Abschiebehaft 32 Tage nicht überschreiten darf, gilt in Deutschland bereits heute die 18-monatige Haft-Frist. Das Bündnis "Für ein globales Recht auf Migration - Solidarität ohne Grenzen" ruft zu einer Demonstration anläßlich des 15. Jahrestags der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl am 5. Juli in Berlin auf.

Bei Flüchtlingen aus Afrika, die zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken, handelt es sich weit überwiegend um Menschen aus den ärmsten Ländern Afrikas. Eine Unterteilung der Flüchtlinge nach unterschiedlichen Fluchtgründen wie Hunger, Armut oder Unterdrückung wäre in aller Regel völlig willkürlich. Gelangen sie trotz einer immer besser überwachten Außengrenze nach Europa und werden sie ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung aufgegriffen, werden sie inhaftiert. Es sei denn sie reisen innerhalb von 30 Tagen "freiwillig" aus.

Die Inhaftierung dient neben der Abschreckung dem Zweck, die "Rückführung" vorzubereiten. Eine in der Richtlinie vorgesehene Einschränkung, wonach die Abschiebehaft nur dann angeordnet werden soll, wenn eine "realistische Aussicht" besteht, daß die Abschiebung auch tatsächlich durchgeführt werden kann, ist pure Kosmetik. Die bislang im Zusammenhang mit der Abschiebehaft kritisierte Zermürbungstaktik soll angeblich durch diese Einschränkung vermieden werden. Es ist offensichtlich, daß Flüchtlinge durch die Dauer der Abschiebehaft zu einer "freiwilligen" Ausreise genötigt werden sollen. Durch die neue Richtlinie wird nun jedoch der Druck erhöht, denn die Abschiebehaft wird zur Regel. Und die Flüchtlinge werden nicht nur in ihre Herkunftsländer, sondern auch in sogenannte "sichere Drittländer" abgeschoben, mit denen die EU Rückführungsabkommen abgeschlossen hat.

Als zusätzliche Verschärfung dient eine Wiedereinreise-Sperre von fünf Jahren gegen abgeschobene Flüchtlinge. Diese Sperre kann zudem verlängert werden, wenn Betroffene als "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit" eingestuft werden. So sind auch die von BefürworterInnen der neuen EU-Richtlinie genannten "europäischen Mindeststandards" im Umgang mit "Illegalen", unter anderem für Familien und Kinder, nichts als Schein. Formell wird zwar angemahnt, aus das "Interesse des Kindes" zu achten. Auch schon bisher gibt es von der EU anerkannte internationale UN-Richtlinien für den Umgang mit Kindern. Doch diese haben die nationalen Behörden der EU-Staaten in der Praxis nicht daran gehindert, etwa allein reisende Kinder bereits am Flughafen einzusperren. Nunmehr ist in der EU-Richtlinie eine Inhaftierung Minderjähriger ausdrücklich zugelassen.

So ist abzusehen, daß "das traurige Kapitel der Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Mitgliedstaaten nicht beendet, sondern diese kinder- und menschenrechtsfeindlichen Praktiken gar noch ausgeweitet" werden, erklärt die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl in ihrer aktuellen Stellungnahme. Doch damit nicht genug: Unbegleitete Kinder und Jugendliche können jetzt erstmals auch völlig legal abgeschoben werden.

Andere Formulierungen der Richtlinie sind bewußt vage gehalten und lassen den Gesetzgebern und Behörden der einzelnen EU-Staaten Spielraum für weitere restriktive Regelungen. So bleibt es beispielsweise den EU-Staaten überlassen, ob Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt wird und ob Prozeßkostenhilfe gewährt wird. Flüchtlinge verlieren damit jedes Mittel, sich rechtlich gegen Abschiebung und Inhaftierung zur Wehr zu setzen.

Die vorgeschriebene räumliche Trennung der Abschiebehaftzentren von normalen Gefängnissen stellt ebenfalls keine Garantie für eine Verbesserung der bislang angewandten Praxis dar. In einigen EU-Staaten werden Abschiebehäftlinge vom Sicherheitspersonal systematisch drangsaliert und geschlagen. Depressionen, Hungerstreiks und Selbstmorde sind trauriger Alltag in den EU-weit über 220 Abschiebezentren für mehr als 30.000 Personen. Hinzu kommt eine dehnbar formulierte "Notstands-Klausel", nach der bei einer "unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen" eines EU-Staates oder seines Verwaltungs- und Justizpersonals selbst diese Mindestrichtlinien noch unterlaufen werden können.

Ganz unverhüllt hat der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier, den Zweck der neuen Richtlinie gegenüber 'spiegel online' Anfang Juni benannt: "Wir haben im Sinne Deutschlands erreicht, daß die Abschiebungen von denen, die wir loswerden wollen, in Zukunft erleichtert werden." Diese Erhöhung des Abschiebe-Druck hat zugleich eine erwünschte Nebenwirkung: Da in keinem EU-Staat vermehrt Illegale eingebürgert werden, wächst der Druck, dem sie ausgesetzt sind, auch die schlimmsten Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Nach Schätzungen leben drei bis acht Millionen Menschen illegal in Europa. Laut EU-Justizkommissar Jacques Barrot kommen jährlich etwa zwei Millionen Flüchtlinge in die EU. Ein Teil von ihnen reist legal ein, etwa mit Touristenvisum, und bleibt anschließend ohne Aufenthaltsgenehmigung. Viele sind Flüchtlinge, deren Asylanträge aufgrund der restriktiven Flüchtlingspolitik in der EU abgelehnt worden sind und die dann untergetaucht sind, um der drohenden Deportation zu entgehen. Sie unterscheiden sich nicht von "legalen" Migranten, außer daß sie ohne Aufenthaltserlaubnis und ohne Arbeitserlaubnis von allen sozialen und demokratischen Rechten abgeschnitten sind.

Millionen arbeiten in der Bauwirtschaft, der Landwirtschaft oder im Dienstleistungsbereich, vor allem im Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie und in Hotels, in letzter Zeit aber vermehrt auch in Privathaushalten. Die Löhne liegen in der Regel weit unter Tarif, wenn sie überhaupt regelmäßig gezahlt werden. Einen bestehenden Rechtsanspruch können die Betroffenen aufgrund der Gefahr der Aufdeckung vor Gericht nicht durchsetzen. Arbeitslosigkeit und Tagelöhnertum sind für viele Einwanderer bittere Realität in einem Alltag, in dem jede Krankheit lebensbedrohlich werden kann, da bereits der Gang ins Krankenhaus ohne Krankenversicherung die Abschiebung nach sich ziehen kann, und Kindern kein Schulbesuch und keine Berufsqualifikation möglich ist.

Es handelt sich hierbei um eine der von den Mainstream-Medien nahezu vollständig ausgeblendeten Folgen der Globalisierung. Im Bereich der industriellen Produktion werden die Löhne durch Standortverlagerungen und das gegenseitige Ausspielen der abhängig Beschäftigten nach unten gedrückt. In anderen Bereichen, die wie Landwirtschaft oder Baugewerbe standortgebunden sind, werden die Löhne hingegen gedrückt, indem Millionen Illegaler zu Dumpinglöhnen eingesetzt werden. Schon jetzt werden Hunderttausende von ihnen jedes Jahr festgenommen und abgeschoben. Durch die neue EU-Rückführungsrichtlinie wird der Druck erhöht und zugleich die Arbeits- und Lebensbedingungen weiter verschärft.

Die große Mehrheit im EU-Parlament für die neue Rückführungsrichtlinie wurde von manchen Medien als "überraschend" kommentiert. Sie schließt sich jedoch nahtlos an die seit Jahren von "sozialistischen" ebenso wie von "konservativen" EU-Regierungen konsequent verfolgte Ausländer-, Asyl- und Flüchtlings-Politik an. Und kaum daß die Rückführungsrichtlinie beschlossen war, kündigte die "sozialistische" spanische Regierung neue Maßnahmen an. Die Vizeministerpräsidentin María Teresa Fernández de la Vega sagte in Madrid, der Familiennachzug werde weiter eingeschränkt und die Dauer der Abschiebehaft verlängert.

In den vergangenen 15 Jahren bezahlten - nach offiziellen Zahlen - 12.000 Flüchtlinge diese Politik an den Grenzen Europas mit ihrem Leben.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Flüchtlingselend und Artenschwund in Nordafrika
      Führt Tierschutz zu mehr Menschenschutz? (22.01.08)

      Frontex und die toten Flüchtlinge
      Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)

      Europa, schäme dich!
      Flüchtlingselend im Mittelmeer (28.05.07)

      Eine mörderische Weltordnung
      Ceuta und Melilla (21.10.05)

      ai: "deutsche Asylpolitik verantwortungslos" (25.05.05)

      Festung Europa fordert Tote
      Mehr Leichen als Krabben in den Netzen (26.03.05)

      Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      Menschenverachtender Umgang
      mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt (3.06.04)

      Zuwanderungsgesetz
      oder Abschottungsgesetz? (27.05.04)

      Nach wie vor werden in Deutschland
      Kinderrechte mit Füßen getreten (16.01.04)

      60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit (22.12.03)

      Sind Sie darauf stolz, Herr Schily? (13.01.03)

      Europa hat eine Verantwortung (11.10.00)

 

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