Info-Serie Atomenergie
Folge 5

Umweltverbrechen Uran-Abbau

Zur Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke wird Uran-235 benötigt. Dieses Uran-Isotop ist im Natur-Uran (einem Gemisch von verschiedenen Isotopen) jedoch nur zu rund 0,7 Prozent enthalten. Uran kann als Erz im Tagebau gewonnen werden, sein Anteil in den Trägerschichten liegt in der Regel jedoch unter 0,5 Prozent, vielfach sogar unter 0,05 Prozent. Dies bedeutet, daß mehr als 99 Prozent des Geförderten unbrauchbar sind. Um 33 Tonnen Uran-235, den Jahresbedarf eines 1300-MW-Reaktors, zu erhalten, fallen 407.000 Tonnen strahlender Abraum, radioaktive Schlämme und Abfälle an.

Uran ist radioaktiv. Auch die Folgeprodukte, die aus dem Zerfall des Urans entstehen, strahlen. Radon-222, eines der Zwischenprodukte, breitet sich beim Uranerz-Abbau und der weiteren Bearbeitung leicht in der Umwelt aus. Das Risiko, im Laufe des Lebens an Lungenkrebs zu erkranken, ist darum auch für die in der Umgebung des Abbaugebiets lebende Bevölkerung deutlich erhöht. Von den gesundheitlichen Folgen des Uran-Abbaus sind vor allem indigene Völker betroffen, da sich 70 Prozent der weltweiten Uran-Vorräte in von ihnen bewohnten Regionen befinden.

Die Uran-Lieferanten sind Australien, Kanada, Niger, Namibia, Südafrika und die USA. Die Folgen des Uranerz-Abbaus sind desaströs für Umwelt und Menschen. Große Mengen radioaktiv und chemisch verseuchter Gruben-Abwässer werden in die nächstliegenden Flüsse und Seen gepumpt. Bei Stilllegung von Uran-Bergwerken werden diese oft einfach geflutet. Radioaktiv und mit Schwermetallen verseuchte Grubenabwässer gelangen ins Grundwasser.

Nach Beendigung des Uranerz-Abbaus strahlen die entstandenen riesigen Abraum-Halden für Jahrhunderte weiter. Die Sanierung dieser Gebiete ist, wenn überhaupt, nur mit sehr großem Aufwand möglich. Allein die nur notdürftige Sanierung des Uran-Tagebaugebiets Wismut, einer Altlast der DDR, kostete 6,6 Milliarden Euro an Steuergeldern. Die weltweit für die Sanierung von Uran-Abbaugebieten aufzuwendenden Kosten, in die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Atomenergie einbezogen, würden diese noch weit über die in Folge 3 genannten 2 Euro pro Kilowattstunde hinaus erhöhen.

Bislang werden die Umwelt- und Gesundheitsfolgen der Uran-Gewinnung weit überwiegend von den Herkunftsländern getragen. Darunter sind auch wirtschaftlich schwache wie der nord-westafrikanische Staat Niger - unter den uranexportierenden Staaten weltweit die Nummer Sechs. Laut Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist Niger eines der ärmsten Ländern der Welt. Die Wirtschaftsleistung liegt bei etwa 150 Euro pro Kopf. Das wichtigste Exportgut ist Uran.

Dem unabhängigen französischen Institut CRIIRAD gelang es - trotz offensichtlicher Sabotageversuche ihrer Untersuchungen durch die Beschlagnahmung verschiedenster Meßgeräte auf dem Flughafen - zwischen 2003 und 2005 eine Untersuchung der Umweltfolgen von Uran-Abbau im Niger durchzuführen. CRIIRAD stellte dabei fest

  • eine überhöhte Strahlenbelastung (nach WHO Standard) von Trinkwasserproben
  • hohe Belastung der Minenarbeiter und Bevölkerung in der Region durch Radon-Freisetzung aus der Mine sowie aus den Tailings
  • unzulängliches Abfallmanagement für Abraum und Tailings: keinerlei Kennzeichnung der Lagerstätten, kein Zaun um die Lagerstätten, keinerlei Abschirmung der Lagerstätten gegenüber der Luft
  • unzulängliche Beseitigung der Folgen eines Unfalls (2004) beim Transport von angereichertem Uran, noch einen Monat später war die deutlich erhöhte Strahlenbelastung meßbar
  • radioaktiv belastetes Altmetall wird nicht angemessen entsorgt. Es findet sich, wie auch andere Studien bestätigen, regelmäßig auf den Märkten in der Umgebung zum Verkauf

Im Jahr 2007 eskalierte der Konflikt der vom Uran-Abbau betroffenen Tuareg mit der Zentralregierung des Niger. Zwölf Jahre nach der Beilegung der letzten Tuareg-Rebellion nimmt die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer "Bewegung der Nigerier für Gerechtigkeit" (MNJ) stetig zu. Am 22. Juni 2007 kamen bei einem Angriff der MNJ mindestens 15 Soldaten ums Leben und 72 Armeeangehörige gerieten in Gefangenschaft. Zuvor waren drei Tuareg-Zivilisten verhaftete und getötet worden.

Offenbar wurden auch Zusagen und Vertragsverpflichtungen von Seiten der Zentralregierung wie schon vor Beginn der Tuareg-Krise in den Jahren 1991 bis 1995 nicht eingehalten. Im Zentrum des Konflikts stehen nach wie vor die massiven wirtschaftlichen, ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Folgen des Uran-Abbaus im Norden des Staates Niger. Im April 2007 hatte die MNJ mit einem Überfall auf das größte Uran-Bergwerk des Landes, das vom nigerischen Tochter-Unternehmen des französischen Areva-Konzerns betrieben wird, für Aufsehen gesorgt. Ein Mensch kam dabei ums Leben.

Umweltschutz-Organisationen werfen den Unternehmen vor, Umwelt-Standards zu ignorieren und ArbeiterInnen radioaktiver Strahlung auszusetzen, welche die von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegten Werte um das 40-fache überschreite. Zudem ist die lokale Bevölkerung - weit überwiegend Tuareg - unzureichend über die medizinischen Risiken informiert.

Die Tuareg fordern nicht nur Aufklärung über die ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Uran-Abbaus, sondern verlangen auch, daß die lokale Bevölkerung etwas von dem offensichtlich aus dem Abbau resultierenden Reichtum abbekomme. So müßten mehr Arbeitskräfte aus der Region eingestellt werden und der Gewinn aus dem Uran-Abbau solle auch der armen Nord-Region zugute kommen. Seit Jahrzehnten beklagen die Tuareg die Vernachlässigung des Nordens.

Shinkolobwe ist bekannt als der Herkunftsort des Urans, das von den USA für die Ende des Zweiten Weltkriegs auf Hiroshima abgeworfenen Atombombe verwendet wurde. Offiziell ist die Uran-Mine Shinkolobwe im afrikanischen Staat DR ("Demokratische Republik") Kongo längst stillgelegt, doch illegal wird dort weiterhin abgebaut. So wurde Anfang November 2007 bekannt, daß am Mura-Fluß im Süden der DR Kongo 18 Tonnen radioaktives Material abgekippt worden waren, die aus der Atombomben-Mine Shinkolobwe stammten.

Ein Minister der Kabila-Regierung erklärte allerdings, zur Herkunft des Materials gebe es bislang nur Spekulationen. Es sei eine Untersuchung eingeleitet worden. Doch Maßnahmen gegen die Verseuchung des Flusses sind von der Regierung nicht zu erwarten.

Die Fundstelle liegt in der Nähe der Stadt Likasi, wo sich auch die ehemalige Uran-Mine Shinkolobwe befindet. In der Region gibt es weitere Uranfunde und trotz des offiziellen Verbots arbeiten immer noch Tausende Bergleute dort. Es ist ein offenes Geheimnis, daß eines der zahlreichen Bergbauunternehmen in der Region in den Atommüllskandal verwickelt ist. Die Gegend ist zudem reich an Kobalt, Kupfer und Uran.

Bereits Ende 2007 wurde der mögliche Verlauf des Umwelt-Verbrechens rekontruiert: Anlaß war vermutlich eine zerstörte Brücke über den Mura-Fluß. Vier LkWs, die mit Uranerz beladen waren, konnten das vorgegebene Ziel nicht erreichen und kippten am 26. Oktober die rund 18 Tonnen radioaktiven Materials kurzerhand in den Fluß. Kurze Zeit zuvor waren die Fahrer vor den Toren Likasis, zehn Kilometer vom Fundort entfernt, in eine Kontrolle geraten. Sie waren wegen der gefährlichen Fracht von Beamten angehalten worden. Die Aussagen sind wenig plausibel. Zumindest wurde festgestellt, daß das Material falsch deklariert war: als Kupfer- und Kobalterz. Zudem wurde eine erhöhte Radioaktivität festgestellt: Mitarbeiter des Kongolesischen Kontrollamtes OCC maßen eine Radioaktivität von bis zu 15 Microsievert pro Stunde. Dies entspricht ungefähr das Ausmaß der Verstrahlung in der Umgebung des AKW Tschernoby.

Bereits kurze Zeit später war die Abladestelle stark verstrahlt - doch die AnwohnerInnen wurden nicht informiert. Offenbar gehen die Behörden davon aus, daß Menschen in der DR Kongo das Thema Radioaktivität kalt läßt. Viele Menschen in armen Regionen Afrikas sind tatsächlich durch die Vielfalt der Gefahren relativ fatalistisch geworden.

Zuweilen stürzt eine der illegalen oder legalen Minen ein und begräbt die Bergleute unter sich. Die Uran-Mine Shinkolobwe ähnelt vielen Bergwerken in der DR Kongo. Die zerstörte Ökonomie des Landes erlaubt vielerlei, was sonst weltweit längst verboten ist.

Allein im südkongolesischen Bergbaurevier von Katanga wird die Zahl der Schürfer in verlassenen industriellen Bergwerken auf rund 600.000 geschätzt. Die Bergleute sind häufig gegen die Gefahren abgestumpft: "Wir sind doch schon Leichen, und eine Leiche muß keine Angst vor Radioaktivität haben", zitiert ein kongolesischer Zeitungsbericht einen Bergmann. Ein anderer sagt: "Jeder sucht sich aus, woran er stirbt. Der eine stirbt an Malaria, der andere an den Kugeln von Rebellen. Ich entscheide mich für die radioaktive Verseuchung."

Das Uran von Shinkolobwe ist ein Mythos. Die Tagebauminen befinden sich auf Abbauhalden alter belgischer Kolonialminen. Denn früher wurden im Kupferbergbau andere Erze achtlos weggeworfen, die heute wertvoll sind - zum Beispiel Uranerze. Die reichhaltigeren Uran-Vorkommen liegen viel tiefer unter der Erde, und da kommt kein Schürfer heran. Dennoch meinten im November 2007 UN-Experten: Das Risiko erzwinge eine endgültige Schließung der Mine, da die Menschen "möglicherweise chronisch der Radioaktivität ausgesetzt" seien.

Auch die Weiterverarbeitung des Uran-Erzes ist eine Quelle gigantischer Umweltzerstörung. Beim sogenannten Miling wird das Uran-Erz zu einem gelben Pulver, dem "yellow cake" zermahlen. Während die Hälfte des im Gestein eingeschlossenen gesundheitsgefährdenden Radongases schon beim Abbau freigesetzt wird, löst sich der Rest beim Mahlprozess. Das Edelgas Radon ist ein Produkt der natürlichen Uran- und Thorium-Zerfallsreihen. Für Radon-Belastungen ist in erster Linie Radon-222 verantwortlich. Die Radon-Konzentrationen in Deutschland liegen im Mittel bei 50 Becquerel pro Kubikmeter in Wohnräumen.

An Orten mit Uranerzabbau treten allerdings Spitzenwerte von 2.000 bis 3.000 Becquerel pro Kubikmeter, vereinzelt alarmierende Werte von 100.000 Becquerel pro Kubikmeter auf. Deutlich erhöhte Lungenkrebsraten sind die Folge. Zwischen 1946 und 1990 starben in der damaligen DDR 7.163 Bergleute an Lungenkrebs hervorgerufen durch entwichenes Radongas. Sie arbeiteten in den Uranminen der Wismut AG. Bereits seit über einem Vieteljahrhundert ist bekannt, daß bei 16 Prozent der US-amerikanischen Bergarbeiter, die zwischen 1946 und 1968 in Uran-Minen arbeiteten, Krebs festgestellt wurde.

Die Wismut AG war ein bedeutender Uranproduzent. Die Minen sind aber aus wirtschaftlichen wie aus ökologischen Gründen nach der Wiedervereinigung geschlossen worden. In 5.237 der Lungenkrebs-Fälle wurde wurde Radioaktivität als Ursache offiziell anerkannt. Für die Produktion von 220.000 Tonnen Uran wurden von 1945 bis 1990 ganze 500 Millionen Tonnen radioaktiver Müll mitproduziert, gelagert auf Abraumhalden, die eine Fläche von 32 Quadratkilometer bedecken. Insgesamt gelten 168 Quadratkilometer als verseucht, weitere 1000 Quadratkilometer sollen erst genauer untersucht werden.

Das Gesteinsmehl wird danach chemisch aufbereitet, wobei als Abfall feiner Schlamm zurückbleibt, der in Absetzbecken geleitet wird. Diese sogenannten Tailings enthalten bis zu 85 Prozent Radioaktivität, bestehen aus langlebigen Isotopen und stellen eine langjährige Gefahr dar. Oft wurden und werden ganze Täler damit aufgefüllt. Weltweit lagern bereits über 1 Milliarde Tonnen Tailings, jährlich kommen weitere 20 Millionen Tonnen hinzu. Neben dem Entweichen von Radongas sind Tailings anfällig für Winderosion, so daß der gefährliche Staub auch über größere Strecken verblasen werden kann. Teilweise ist das Wissensmanagment der Tailings äußerst bedenklich. So wurden in den USA immer wieder die Sande von trockenen Tailings zum Hausbau verwendet. Immer wieder brechen Dämme von Tailings, so daß radioaktives Material ausläuft. Darüber hinaus enthalten Tailings nicht nur radioaktive Stoffe, sondern auch Schwermetalle wie Arsen.

Im nächsten Verarbeitungsschritt wird der yellow cake in Uranhexafluorid (UF6) umgewandelt - eine sehr giftige, chemisch aggressive Substanz. Da es nur wenige Konversionseinrichtungen gibt, wird UF6 über weite Distanzen transportiert. Auch während der Konversion fällt ungefähr so viel Atommüll wie Uranhexafluorid an.

Natürlich vorkommendes Uran enthält nur rund 0,7 Prozent des spaltbaren Isotops Uran-235 (U-235). Die meisten Reaktortypen benötigen aber Brennstoff mit einem Anteil an U-235 von 3 bis 3,5 Prozent. Daher ist als weiterer Verarbeitungsschritt die sogenannte Anreicherung nötig. Bei diesem Prozeß fällt viel "abgereichertes" Uran an. Uran hat ein höheres spezifisches Gewicht als Blei. Daher wird dieser Atommüll zur Panzerung und als panzerbrechende Munition verwendet, die beispielsweise im Golf- und Kosovokrieg verschossen wurde.

Uranhexafluorid wird weiter in Urandioxid umgewandelt, in Tablettenform gepreßt ("pellets") und schließlich zu Brennstäben verarbeitet. Die in der Regel röhrenförmigen Brennstäbe enthalten diese Tabletten und bestehen aus dem Material Zirkaloy, einer Zirkonium-Legierung. Brennstäbe werden wiederum zu Brennelementen gebündelt.

Je nach Reaktortyp werden für die Stromproduktion 30 bis 100 Tonnen angereichertes Uran als Brennstoff benötigt. Meist wird pro Jahr ein Drittel der Brennstoffladung ausgetauscht. Das ergibt bei weltweit rund 440 Reaktoren in Atomkraftwerken jährlich rund 10.000 Tonnen abgebrannter Brennelemente, in denen auch Plutonium enthalten ist.

 

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Die übrigen Folgen der Info-Serie:

  1 Grundlagenwissen

  2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"

  3 Die Subventionierung der Atomenergie

  4 Der siamesische Zwilling: Atombombe

 

  6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

  7 Die Geschichte der Atom-Unfälle

  8 Die stille Katastrophe

  9 Der italienische Atom-Ausstieg

10 Schwedens "Atom-Ausstieg"

11 Atomenergie in Frankreich

12 Das ungelöste Problem der Endlagerung

 

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