17.07.2009

Karlsruher "Atomsuppe"
Verglasung weiter verzögert

Die Verglasung der Karlsruher "Atomsuppe" kann nicht wie noch im Februar verkündet in diesem Monat beginnen. Nach der heutigen (Freitag) Auskunft der baden-württembergischen "Umwelt"-Ministerin Tanja Gönner sei erst jetzt auf Verlangen des äußerst atomindustrie-affinen TÜV klar geworden, daß Sicherheits-Nachweise für den Fall eines Flugzeugabsturzes fehlen.

Die "Atomsuppe" ist eine der gefährlichsten Altlasten, die das nur wenige Jahrzehnte währende "Atomzeitalter" in Deutschland hinterlassen hat. Die nach der experimentellen Separierung von Brennstäben aus Atomkraftwerken zurückgebliebenen rund 80.000 Liter strahlende und wärmeentwickelnde, radioaktive Flüssigkeit enthält 504 Kilogramm Uran und 16,5 Kilogramm hochgiftiges Plutonium, sowie beträchtliche Mengen Cäsium- und Strontium-Isotope als Einlage. Sie dümpelt hinter drei Meter dicken Stahlbetonwänden vor sich hin und muß permanent gekühlt und umgerührt werden, da sie sich durch radioaktive Spaltprozesse selbst erhitzt und hoch explosiv ist. Kühlung und Bewachung kosten Tag für Tag immense Summen und treiben die Kosten um so höher, je länger sich die geplante Verglasung hinauszögert.

Die Hinterlassenschaft der ehemaligen Versuchs-"Wiederaufarbeitungsanlage" in Karlsruhe geht noch auf Beschlüsse des damaligen Atom-Ministers Franz Josef Strauß aus dem Jahr 1956 zurück, der zum Zweck der Plutoniumgewinnung für eine deutsche Atombombe eine "Wiederaufarbeitungsanlage" bauen lassen wollte. Mit der Anlage in Karlsruhe sollte seinerzeit die Technik für die geplante Plutoniumfabrik im bayerischen Wackerdorf vorangetrieben werden. Als bayerischer Ministerpräsident war Strauß 1991 - nicht zuletzt wegen massivem Widerstand aus der Bevölkerung und selbst aus der CSU - gezwungen, das Projekt einzustellen, das bereits Steuermittel in Milliardenhöhe verschlungen hatte und dessen Kosten explodierten. Das Pilot-Projekt in Karlsruhe, das 1971 in Betrieb gegangen war, wurde daraufhin ebenfalls 1991 stillgelegt. Seitdem dauern Planungen, Genehmigungen und Testreihen für den versprochenen Rückbau.

Den Menschen in Karlsruhe wurde schon vor Jahrzehnten die sprichwörtliche "grüne Wiese" nach dem Rückbau der Anlage versprochen. Doch nach wie vor ist auf einem mit Stacheldraht gesicherten Gelände ein Klotz aus Stahl und Beton zu sehen, dessen Eingangstür allein 26 Tonnen wiegt. Einige Rohre laufen in das bunkerartige Gebäude, in dem die "Atomsuppe" hinter drei Meter dicken Stahlbetonwänden ständig umgerührt wird, damit sich keine kritische Masse bildet. Durch diese Rohre soll die "Atomsuppe" zur Verglasung geleitet werden. Die Flüssigkeit entwickelt eine Strahlung von über einer Trillion Becquerel, was etwa der Hälfte der bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl freigesetzten Radioaktivität entspricht. Etwa drei bis vier Milliarden Euro - überwiegend aus Steuermitteln - wird es nach neuesten Schätzungen kosten, bis auf dem Gelände eine Wiese zu sehen ist. Während noch vor wenigen Jahren die "grüne Wiese" für das Jahr 2010 versprochen wurde, und zuletzt das Jahr 2023 genannt wurde, mochte sich die baden-württembergische "Umwelt"-Ministerin Gönner auf der heutigen Pressekonferenz nicht auf ein neues Datum festlegen lassen.

In Karlsruhe werden die in unregelmäßigen Abständen veröffentlichten ministeriellen Verlautbarungen mit mit großer Skepsis und Protesten aufgenommen. Mehr als 1000 Einwendungen gegen das Verglasungsverfahren gingen ein. KritikerInnen bemängelten schon seit längerem, daß die Rohre von der alten Wiederaufbereitungsanlage in die Verglasungs-Anlage nicht gegen einen Flugzeugabsturz gesichert sind. Seit mittlerweile sechs Jahren verbreitet sich in Deutschland die Erkenntnis, daß die 17 hierzulande weiterhin betriebenen Atomkraftwerke gegen den gezielten Absturz eines Passagier-Flugzeugs nach dem Vorbild der Terrorangriffe vom 11. September 2001 nicht ausreichend geschützt sind. Auch vor dem geplanten Abtransport aus Karlsruhe werden die Glas-Kokillen der Planung zufolge nicht ausreichend geschützt. Bis zu eineinhalb Jahre lang sollen sie in CASTOR-Behältern mit nur einfachem Deckel in einer Leichtbauhalle in Karlruhe auf den Abtransport warten.

In der Verglasungs-Anlage soll die "Atomsuppe" in einen Schmelzofen fließen. Bei rund 1200 Grad verdampft die Salpetersäure und die festen Atomabfälle sollen dann entsprechend der Planung in Borsilikatglas eingeschmolzen und in Kokillen-Gußformen aus Edelstahl - eingegossen werden. Diese sollen daraufhin verschweißt werden. 130 Kokillen sind vorgesehen, 1,5 Meter hoch und 40 Zentimeter breit, die dann in CASTOR-Behälter verpackt ins Zwischenlager Nord beim ehemaligen AKW-Standort Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern transportiert werden sollen.

Ein Endlager für hochradioaktiven Müll ist weltweit nach wie vor nicht in Sicht.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Terrorziel Atomkraftwerk
      TV-Magazin 'Frontal21' veröffentlicht Geheimbericht (17.06.08)

      Ankündigung:
      Karlsruher "Atomsuppe" soll ab Juli verglast werden (25.02.09)

      Kosten für Karlsruher "Atomsuppe" wachsen auf 2,6 Milliarden Euro
      Vorgeschmack auf das bittere Erbe der Atomenergie (16.01.08)

      Karlsruher "Atomsuppe" kostet Milliarden
      Geplante "Entsorgung" verzögert sich weiter (5.10.07)

      Kosten Atomausstieg Karlsruhe verdoppelt:
      1,9 Milliarden Euro (17.05.05)

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Info-Serie 'Atomenergie' - Folge 12

 

neuronales Netzwerk