2.12.2009

Das Ermittler-Team von Frankfurt V

Wie allzu tüchtige Steuerfahnder für verrückt erklärt wurden

Der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar widersprach heute vor dem Landtag in Wiesbaden dem Vorwurf, daß vier allzu tüchtige Steuerfahnder mit Hilfe fragwürdiger psychiatrischer Gefälligkeitsgutachten für arbeitsunfähig erklärt und in den vorzeitigen Ruhestand geschickt worden seien. Aus seiner Sicht habe die Steuerverwaltung in der seit Jahren dauernden Affaire richtig gehandelt. Da die betroffenen Steuerfahnder jedoch vor Gericht rehabilitiert worden waren, empfahl Weimar ihnen wie zum Hohn, einen "Antrag auf Reaktivierung" zu stellen. Einen Anlaß, sich zu entschuldigen, sah er nicht.

Einer der vier Steuerfahnder vom Ermittler-Team des Finanzamts Frankfurt V war Marco Wehner. Er war dem früheren Bundesschatzmeister der CDU, Walter Leisler Kiep auf den Fersen, einer zentralen Figur in der Flick-Affaire, die im Januar 1982 aufgedeckt wurde, aber ebenso im Spenden-Skandal um Altkanzler Helmut Kohl, der 1999 zu Tage kam. Im weiteren Verlauf des Spenden-Skandals wurde am 13. April 2000 ein Brief Kieps an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl veröffentlicht: Kiep hatte 1993 in diesem Brief Kohl um Hilfe für den Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber gebeten unter dem Hinweis auf die hochbrisante Lieferung von Fuchs-Spürpanzern an Saudi-Arabien 1991.

Kiep konnte den Verbleib von 1,5 Millionen Schweizer Franken Schwarzgeld, das auf einem Konto in Liechtenstein geparkt war, nicht belegen. Bereits im Januar 2000 hatte der damalige Nachfolger Kohls als CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble eingestehen müssen, daß er vom Waffenlobbyisten Schreiber im Jahre 1994 eine Bar-Spende über 100.000 Mark für die CDU entgegengenommen hatte. Am 16. Februar 2000 erklärt Schäuble, als Partei- und Fraktionsvorsitzender nicht mehr zu kandidieren. Ebenfalls im Januar räumt der ehemalige hessische CDU-Vorsitzende Manfred Kanther ein, im Jahre 1983 insgesamt 8 Millionen Mark der Landes-CDU ins Ausland transferiert zu haben und Rücküberweisungen als Vermächtnisse oder Kredite getarnt zu haben.

Der hessische CDU-Chef Roland Koch berichtete allerdings am 27. Januar 2000, daß im Jahre 1983 nicht 8 Millionen, sondern 18 Millionen Mark in die Schweiz transferiert worden seien. Damals sagte Roland Koch, er wolle die Spenden-Affaire "brutalst möglich" aufklären. Später stellte sich heraus, daß Koch selbst an der Tarnung der Spenden-Gelder beteiligt war. Und am 7. September 2000 mußte der damalige hessische Generalsekretär (und spätere Bundeskriegsminister) Franz Josef Jung zurücktreten, da ihm die Verantwortung für die Finanzierung von Wahlkämpfen und des Baus einer neuen Parteizentrale aus als "jüdische Vermächtnisse" getarnten Schwarzgeldern zur Last gelegt wurde.

Im Jahr 2001 verfügte das Finanzamt Frankfurt auf Anweisung des hessischen Finanzministeriums, daß Geldtransfers ins Ausland, die 500.000 Euro nicht überschritten, als steuerrechtlich unverdächtig eingestuft werden sollten. Dies durfte als eine Aufforderung verstanden werden, Steuerhinterziehung hinfort mit Hilfe gestückelter Teilbeträgen zu begehen. Das Fahnder-Team rebellierte gegen diese Verfügung und wurde daraufhin kaltgestellt.

Systematische Verfolgung und Mobbing der vier Steuerfahnder setzte ein. Zunächst wurden sie strafversetzt, um sie so zu disziplinieren. Dazu diente eine "Servicestelle Recht", die intern als Geisterstation bezeichnet wurde, da sie keine adäquate Arbeit für die Betroffenen bot. Diese Station wurde behördenintern auch als "Strafbataillon" bezeichnet. Zwei der Betroffenen klagten gegen die Disziplinarmaßnahmen und gewannen diese Prozesse. Schließlich wurde die "Servicestelle Recht" aufgelöst

Im Sommer 2003 solidarisierten sich fast fünfzig Steuerfahnder mit dem Team von Frankfurt V und verfaßten einen Brief an den hessischen Ministerpräsident Roland Koch: "Wir sind Steuerfahnder und Steuerfahndungshelfer des Finanzamts Frankfurt V und wenden uns an Sie, weil wir begründeten Anlaß zu der Sorge haben, daß die Steuerfahndung Frankfurt am Main ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden kann, weil Steuerhinterzieher nicht in gebotenem Maße verfolgt werden können." Doch der Brief wurde nie abgesendet, da einige der UnterzeichnerInnen kalte Füße bekommen hatten. Der Brief gelangte ebenso wie die Verfügung aus dem Jahr 2001 auf anderem Wege an die Öffentlichkeit. Ein Untersuchungsausschuß wurde eingerichtet, in dem aber eine "schwarz-gelbe" Mehrheit die mittlerweile sprichwörtliche Aufklärungsbereitschaft des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch erkennen ließ. Es wuchs Gras über die Angelegenheit.

Im September 2004 erhielt Koch auf dem Dienstweg ein Schreiben des Steuerfahnders Rudolf Schmenger, in dem dieser Führungskräften der hessischen Finanzverwaltung "Strafvereitelung im Amt, falsche Verdächtigung, Verletzungen des Steuergeheimnisses, Verletzung des Personaldatenschutzes, Mobbing und Verleumdung" vorwarf und diese anzeigte. Darauf veranlaßte die Oberfinanzdirektion, daß sich Schmenger vom Psychiater Thomas Holzmann untersuchen lassen mußte. Nach Auskunft der hessischen Landesregierung begutachtete Holzmann seit Oktober 2005 exakt 22 Fälle in der Finanzverwaltung. In zwei Dritteln dieser Fälle sei er zum Urteil "Dienstunfähigkeit" gelangt.

Im Falle Schmenger schrieb Holzmann in seine Expertise: "Da es sich bei der psychischen Erkrankung um eine chronische und verfestigte Entwicklung ohne Krankheitseinsicht handelt, ist eine Rückkehr an seine Arbeitsstätte nicht denkbar und Herr Schmenger als dienst- und auch als teildienstunfähig anzusehen."

Doch die betroffenen Steuerfahnder ließen sich nicht ohne Gegenwehr psychiatrisieren. Nahezu acht Jahre nach dem Beginn der Affaire, im November 2009, verurteilte das Verwaltungsgericht Gießen den Psychiater Thomas Holzmann wegen fehlerhafter und "vorsätzlich" falsch erstellter Gutachten über hessische Steuerfahnder zu einer Geldbuße von 12.000 Euro und erteilte einen Verweis. Denn, so das Gericht: "Weshalb der Gutachter von vornherein die vom Probanden geschilderten Ereignisse (...) für wahnhaft, also nicht der Realität entsprechend bewertet, ist an keiner Stelle des Gutachtens dargelegt und erschließt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang." Laut Gericht hatte der Psychiater vier fast wortgleiche Gutachten verfaßt.

Jeder einzelne der Steuerfahnder hatte dem Land Hessen ein Vielfaches seines Gehalts an Einnahmen beschert. Das Steuerfahnder-Team von Frankfurt V hatte unter anderem wegen Steuerhinterziehung gegen Großbanken ermittelt. "Stapelweise Belastungsmaterial fand das Team bei Commerzbank und Deutscher Bank. Sie hatten Kunden geholfen, Geld vor dem Fiskus zu verstecken. 250 Millionen Euro zusätzlich aus Steuernachzahlungen der Banken verbuchte das Land Hessen wegen der Erfolge der Finanzbeamten, rund eine Milliarde der Bund", schrieb die Frankfurter Rundschau. In Deutschland gehen dem Gemeinwesen jährlich rund 65 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren. Der Schaden durch Sozialhilfemißbrauch wird dagegen auf jährlich rund 120 Millionen Euro geschätzt. Offenbar sind führende PolitikerInnen in Hessen - und anderswo - nicht wirklich an der Bekämpfung von Steuerhinterziehung interessiert.

Rudolf Schmenger arbeitet mittlerweile als Steuerberater.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Hessen:
      Sieg der NichtwählerInnen (18.01.09)

      Die ehrenwerte Frau Metzger
      von der hessischen SPD / Hintergründe (17.03.08)

      Zwei Wahlsiege in Hessen und Niedersachsen
      NichtwählerInnen legen zu (28.01.08)

 

neuronales Netzwerk