Die Volkszählung des vergangenen Jahres, die mit werbe- psychologischem Understatement als "Zensus 2011" bezeichnet wurde, hat mehr Widerstand provoziert als erwartet. So müssen die "Erhebungsbeauftragten" etwa im Landkreis Göttingen im Februar knapp 17 Prozent der zum Ausfüllen der Fragebögen Aufgeforderten erneut einen Besuch abstatten.
Der Arbeitskreis (AK) Zensus, eine im Mai 2010 unter dem Dach des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung gegründete Bürgerinitiative, hat jetzt eine kritische Zwischenbilanz vorgelegt. Anfang November 2011 - sechs Monate nach dem Stichtag der Volkszählung "Zensus 2011" - hatten laut der offiziellen Zahlen der Behörden noch rund 400.000 Haushalts-Befragte keine Antworten gegeben und nahezu 4 Millionen der ausgesendeten Fragebögen der Gebäude- und Wohnungszählung waren noch nicht zurückgeschickt worden.
Nach Angaben des Datenschutzexperten Werner Hülsmann, der den "Zensus 2011" mit einer Klage hatte verhindern wollen, hätten die Landesstatistikämter mittlerweile Zwangsgelddrohungen an viele Volkszählungs-BoykotteurInnen versendet. In einigen Bundesländern seien die Briefe bereits im November 2011, in anderen in den vergangenen Tagen rausgegangen. Das angedrohte Zwangsgeld beträgt inclusive anfallender Amtsgebühren 406 Euro, kann aber bei konsequentem Volkszählungs-Boykott mehrmals vollstreckt werden. In Berlin sei bereits mit der Verhängung von Ersatz-Zwangshaft gedroht worden. Hülsmann hält eine Vollstreckung allerdings für sehr unwahrscheinlich, weil sie nach juristischen Gesichtspunkten unverhältnismäßig sei.
Wegen einer Panne könnten in Hamburg und Schleswig-Holstein verschickte Zwangsgeld-Androhungen aus juristischer Sicht unwirksam sein. In den förmlichen Zustellungen forderten die Behörden mit Nachdruck dazu auf, "den mit diesem Schreiben übermittelten Fragebogen" auszufüllen. Doch dem Schreiben lag kein Fragebogen bei, berichteten Betroffene dem AK Zensus.
Gravierendere Vorkommnisse als solche Pannen gab es in etlichen Bundesländern. So kam durch den Bericht des hessischen Landesdatenschutzbeauftragten zutage, daß der Raum, der zur Durchführung der Volkszählung diente und in dem sämtliche ausgefüllten Fragebögen der Haushaltsbefragung lagerten, nicht abgeschlossen war. Ausgerechnet am Tag der Prüfung durch die Mitarbeiter des Landesdatenschutzbeauftragten war die Tür nicht nur unverschlossen, sondern stand "sperrangelweit" offen, während "Personal weit und breit nicht zu sehen war." Auch waren Rechner, die für Zwecke der Volkszählung eingesetzt wurden, entgegen den Vorschriften mit dem Internet verbunden. Zudem stellte die hessische Landesdatenschutzbehörde fest, daß Software falsch installiert war. All dies wurde vom hessischen Landesdatenschutzbeauftragten jedoch als "kleinere Fehler" gewertet.
Bekannt wurde mittlerweile, daß in etwa Niedersachsen überhaupt keine entsprechenden Kontrollen durch die Datenschutzbehörden vorgenommen worden waren. Vielerorts müssen die VolkszählerInnen - amtlich als Erhebungsbeauftragte bezeichnet - im Februar erneut einen nicht unerheblichen Teil der für die Befragung auserwählten BürgerInnen besuchen. Allein im Landkreis Göttingen mit seinen schätzungsweise 139.000 EinwohnerInnen, von denen 18.000 einen Fragebogen erhielten, müssen 3.000 BürgerInnen - also knapp 17 Prozent - erneut mit einem Besuch von Erhebungsbeauftagten rechnen. Es sollen "Unstimmigkeiten geklärt werden, die sich beim Abgleich der Melderegisterdaten mit den Angaben aus der Gebäude- und Wohnungszählung ergeben haben," erläutert Iris Beiteke, Beauftragte für den "Zensus 2011" beim Landkreis Göttingen. Zugleich aber verkündet sie: "Die Akzeptanz der Volkszählung war im Landkreis Göttingen wie in vielen Landkreisen Niedersachsens erfreulich groß." Und meist wird nur letztes in den Mainstream-Medien verbreitet.
Ebenfalls wurde publik, daß das nordrhein-westfälische Statistikamt bereits 200.000 Mahnungen verschickt hat, weil Auskunftspflichtige sich dem "Zensus 2011" verweigerten. Für den Fall des konsequenten Volkszählungs-Boykotts wird mit in den Schreiben einem "Zwangsgeld" gedroht
Im Fazit der Zwischenbilanz des AK Zensus heißt es: "Es gibt also trotz allerlei anderslautender Bekundungen ein nicht zu unterschätzendes Verweigerungspotential der Bevölkerung gegenüber den per Gesetz verankerten Auskunftspflichten." Michael Ebeling vom AK Zensus vermutet, die aufgedeckten Fälle seien "nur die Spitze des Eisbergs."
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Volkszählung "Zensus 2011"
Gewaltige Kosten - Ergebnis zweifelhaft (25.11.11)
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