Der 'Arbeitskreis Zensus' kritisiert "gravierende Mängel" bei der Umsetzung der bereits laufenden Volkszählung 2011. Aus einer Vielzahl teils unbefriedigend, teils gar nicht beantworteter Anfragen von BürgerInnen schließen die in dem Arbeitskreis zusammengeschlos- senen AktivistInnen, daß in den Erhebungsstellen "vielfach Sicherheitsvorkehrungen mißachtet und Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes ignoriert" würden.
Beim 'Arbeitskreis Zensus' (AK Zensus)[1] wachsen die Bedenken, ob die Daten der BürgerInnen bei den Behörden in sicheren Händen sind und der Umgang mit dem sensiblen Gut tatsächlich entsprechend den Vorgaben des Bundsverfasungsgerichts erfolgt. Im Rahmen der Aktion "Frag die Befrager!"[2] hakte eine Vielzahl von BürgerInnen in den vergangenen Wochen bei den für die Abwicklung der Volkszählung vor Ort zuständigen Erhebungsstellen nach, wie die Umsetzung der Vorgaben des Volkszählungsurteils[3] des Bundesverfassungsgerichts praktisch sichergestellt werden soll. Die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse und Antworten zu den bis zu 38 Fragen[4] liegen nun vor und wurden im Internet veröffentlicht.[5] Nach Ansicht der im AK Zensus zusammengeschlossenen VolkszählungskritikerInnen belegt das Ergebnis eklatante Mißstände in der Praxis der Behörden.
Offenbar konnten oder wollten viele Erhebungsstellen die an sie gerichteten Fragen gar nicht beantworten. Anstelle ernsthaft auf die Fragen einzugehen wurden von den Landessstatistikämtern verfaßte Musterantworten versandt. Als "besonders freche Beispiele" verweist der 'AK Zensus' die Reaktionen der Landesstatistikämter Berlin-Brandenburg[6] und Niedersachsen[7]. In anderen Fällen wurden die Fragenden pauschal auf die amtlichen Informationsseiten des Statistischen Bundesamtes verwiesen[8], wo sich jedoch keine Antworten auf die Fragen finden lassen. Aus Jena[9] wurde zurückgemeldet, daß man "aufgrund der Vielzahl der Fragen" nicht antworten könne. Man solle aber "versichert sein, daß die Regeln des Zensusgesetzes eingehalten würden." Und schließlich haben zahlreiche andere Erhebungsstellen - wie beispielsweise in Hannover[10] - auch nach zwei Monaten noch gar nicht geantwortet.
Im Einzelnen kritisiert der 'AK Vorrat':
- In Sachsen[11] wird es den VolkszählerInnen beispielsweise gestattet, die ausgefüllten und mit zahlreichen persönlichen Angaben ausgefüllten Fragebögen bis zu einer Woche bei sich in ihrer Privatwohnung aufzubewahren. Auch alle anderen Bundesländer scheinen solche oder ähnliche Regelungen eingeführt zu haben.
- Keine der uns bekannt gewordenen Erhebungsstellen hat eine eMail- Anschrift, die auf einen eigenen, eindeutig abgeschotteten IT- Bereich hinweisen würden, so wie es das Zensusgesetz verlangt (ein Beispiel von vielen: Landkreis Schaumburg[12]).
- Auch eigene Postanschriften oder eigene Briefbögen gab es vielfach nicht, so daß den Menschen nicht klar ist, ob sie beispielsweise vom Landkreis, von der Stadt oder von einer deutlich zu trennenden Zensus-Behörde Post erhalten.
- In manchen Fällen (Beispiel: Tübingen[13]) mochte man nicht ausschließend versichern, daß nicht auch Mitarbeiter aus Sozial-, Melde- oder Ausländerämtern für die Befragungen zur Volkszählung eingesetzt werden. Dieses wäre aber definitiv unzulässig.
- Daß ausschließlich für den "Zensus 2011" angestellte und der Verschwiegenheit verpflichtete Menschen Schlüsselgewalt zu den Erhebungsstellen erhalten, ist in einigen Fällen nicht gesichert - unter Verstoß gegen rechtliche Vorgaben. Beispiel Ravensburg[14]: Dort sei ein Nachschlüssel "für Notfälle sicher verwahrt." In Berlin[15] drückt man sich um eine klare Antwort auf die eindeutige Frage herum.
"Die Antworten der Erhebungsstellen verstärken unsere Sorge, daß gut gemeinte Gesetze und Richtlinien nichts nützen, wenn sie in der Umsetzung vor Ort nicht verstanden oder beachtet werden", sagt Michael Ebeling vom AK Zensus. "Regeln werden einfach zu Tatsachen erklärt, ohne daß unsere Fragen ernst genommen werden. Das war bei der letzten Volkszählung ähnlich. Hinterher stellte sich beispielsweise heraus, daß viele Volkszähler zur Befragung in direkter Nachbarschaft eingesetzt worden sind. Für mich ist es ein Skandal, daß die heutigen Erhebungsstellen unfähig sind, die direkt an sie gestellten Fragen zu beantworten, vorverfaßte Standardantworten der übergeordneten Statistikämter herunterleiern oder zum Teil überhaupt nicht antworten."
Das erst am vergangenen Freitag mit dem Negativ-Preis 'Big Brother Award'[16] gewürdigte Vorhaben der Volkszähung ist DatenschützerInnen schon seit längerem ein Dorn im Auge. Erfahrungen unzulässiger Datenweitergaben[17], schlechte Ergebnisse eines Tests der telefonischen Beratungsangebote zum Zensus[18] und nun auch noch frappierende Erfahrungen besorgter BürgerInnen stellen die Zuverlässigkeit der praktischen Umsetzung der Zählung immer wieder in Frage.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem berühmten Volkszählungsurteil[19] vom 15. Dezember 1983 festgeschrieben, welchen Bedingungen Volkszählungen in Deutschland genügen müssen. Eine ausreichende, umfangreiche und rechtzeitige Information der Bürger gehört dazu. Obwohl bereits im November 2010 von allen in Deutschland gemeldeten Menschen umfangreiche Daten zentral nicht- anonymisiert zusammengezogen worden sind, ist eine umfangreiche Aufklärung der Betroffenen bislang nicht erfolgt.
Dieser Umstand sowie die aus Sicht der Datenschützer unerträgliche "Sonderbehandlung" bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie z.B. MigrantInneen, Andersgläubigen, psychisch Kranken und Behinderten, und viele andere Gründe werden von den AktivistInnen und vielen UnterstützerInnen in einer gemeinsamen Erklärung[20] ausgeführt. Sie rufen zu einer kritischen Informationsbildung auf und erläutern auf der Homepage zensus11.de und in einer umfangreichen Informationssammlung[21] zahlreiche Möglichkeiten des Aktivwerdens[22] zu Protest und zivilem Ungehorsam.
Verweise:
[1] zensus11.de
[2] zensus11.de/2011/02/den-spies-umdrehen...
[3] www.servat.unibe.ch/dfr/bv065001.html
[4] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Zensus...
[5] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz...Ergebnisse
[6] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Zossen
[7] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz../Schaumburg
[8] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Miesbach
[9] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Jena
[10] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Hannover
[11] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz...Dresden
[12] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild...schaumburg.jpg
[13] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Tuebingen
[14] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Ravensburg
[15] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volksz.../Berlin
[16] www.bigbrotherawards.de/2011/.gov
[17] www.taz.de/1/archiv...
[18] zensus11.de/2011/02/statistikamter...test.../
[19] www.servat.unibe.ch/dfr/bv065001.html
[20] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/...aufruf.pdf
[21] wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Volkszaehlung
[22] zensus11.de/2011/03/der-zensus-generator...,
wiki.vorratsdatenspeicherung.de/...Mieter-und-Vermieter
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Luxenburger Piratenpartei
gegen Volkszählung (28.01.11)
Neo-Nazis wollen bundesweit schnüffeln
"Zensus 2011" bietet Einfallstor (23.01.11)
Datenspeicher Küchentisch
"Zensus 2011" wenig durchdacht (21.01.11)
Internationale Liga für Menschenrechte
unterstützt Volkszählungs-Boykott (8.01.11)
Volkszählung "Zensus 2011"
Die NPD will helfen (6.01.11)
Volkszählungs-GegnerInnen
legen Verfassungsbeschwerde ein (16.07.10)
Daten-Krake ELENA eingefroren
Moratorium für elektronischen Einkommensnachweis (6.07.10)
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