3.03.2009

Bundesverfassungsgericht
stoppt Wahl-Computer

Die Manipulierbarkeit von
elektronischen Speichersystemen,
'Wikipedia' und Internet-Umfragen

In Deutschland müssen Wahlen voraussichtlich zumindest in diesem "Superwahljahr" wieder ohne Wahl-Computer stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem heutigen Urteil die bisher benutzten Wahl-Computer für unzulässig erklärt. Die Anforderungen an eine elektronische Abgabe der WäherInnen-Stimmen und deren elektronische Auszählung wurden nach Ansicht von Fachleuten so streng gefaßt, daß eine Manipulation der Wahlergebnisse auch in Zukunft so unwahrscheinlich bleiben soll, wie sie es bei der Abgabe von Stimmzetteln mit manueller und öffentlich zugänglicher Auszählung bisher war.

1.800 Wahl-Computer waren in Deutschland bei der Bundestagswahl 2005 eingesetzt, rund zwei Millionen Stimmabgaben hierbei betroffen. Bereits bei der Europawahl 1999 und bei einigen Kommunalwahlen kamen Wahl-Computer zum Einsatz. Geklagt hatten dagegen der Informatiker Ulrich Wiesner und sein Vater, der Politikwissenschaftler Joachim Wiesner. Letzterer ist mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr zufrieden, da nach seiner Interpretation Wahl-Computer damit endgültig aus dem Rennen seien: "Kein Computer kann das leisten, was das Verfassungsgericht heute beschlossen hat."

Im Einsatz waren in Deutschland Wahl-Computer des niederländischen Hersteller Nedap. Innerhalb von nur einer Minute hatten drei Mitglieder einer niederländische Bürgerinitiative es geschaft, die Speichermodule eines solchen Wahl-Computers auszutauschen. Die Aktion ist im Internet per Video dukumentiert. 2007 protestierten so die BI gemeinsam mit dem deutschen CCC (Chaos-Computer-Club) gegen den Einsatz von Nedap-Wahl-Computern.

Der wesenliche Unterschied bei der Manipulation elektronischer Speichersysteme gegenüber beispielsweise einer Wahl mit Stimmzetteln liegt darin begründet, daß - anders als bei Veränderungen an einem Papier - nach einer Überspeicherung weder der ursprüngliche Datenbestand wiederhergestellt werden kann, noch mit kriminologischen Mitteln Spuren der Manipulation nachgewiesen werden können. Auch beim Austausch tausender Wahlzettel zum Zwecke einer Wahl-Manipulation stellt deren enormes Volumen eine effektiv höhere Hürde dar. Diese sind kaum in einer Hosentasche zu verstecken, während etwa das Mitbringen eines daumengroßen USB-Sticks in die Wahlkabine völlig genügt, um die für einen Austausch der Stimmergebnisse vorgesehenen Daten zur Hand zu haben.

Nach einer auf die Aktion der niederländischen Bürgerinitiative im Jahr 2007 folgenden Untersuchung durch eine Regierungskommission widerief das niederländische Innenministerium die Zulassung für die Wahl-Computer. Ebenso konnten sich die Nedap-Geräte in New York nach einem kurzen Interregnum nicht durchsetzen. Nun entschied auch das deutsche Bundesverfassungsgericht, daß der Einsatz der Nedap-Modelle ESD 1 und ESD 2 bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig war. Die Wahl wurde allerdings nicht für ungültig erklärt, da keine Beweise für Manipulationen vorlagen. Der "Bestandsschutz" des gewählten Bundestages habe deshalb Vorrang.

Der CCC veröffentlichte eine freudige Stellungnahme, in der es heißt, die Nedap-Geräte seien mit dem Verfassungsgerichts-Urteil "nur noch Elektroschrott". Kommunen, die auf die Werbeversprechen einer 20-jährigen Verwendbarkeit von Nedap-Wahlcomputern hereingefallen seien, sollten Ansprüche gegen den Hersteller geltend machen.

Gegenüber der Möglichkeit von Manipulationen bei einer Wahl erscheint die Manipulierbarkeit von Internet-Enzyklopädien oder Internet-Abstimmungen auf den ersten Blick weniger bedeutsam. Da diese jedoch zunehmend an Bedeutung gewinnen, soll deren Manipulationsanfälligkeit hier ebenfalls beleuchtet werden.

So kann das Projekt einer vermeintlich basisdemokratisch gesteuerten Internet-Enzyklopädie wie beispielsweise 'Wikipedia' bei vielen Basis-AktivistInnen ein hohes Maß an Zuspruch und Vertrauensvorschuß verzeichnen. Die Korrektur der Beiträge, die im Stil oft alten Buch-Enzyklopädien wie 'Brockhaus' oder 'Encyclopedia Britannica' ähneln, durch die NutzerInnen selbst übt einen gewissen Charme aus. Es scheint, daß einer der Urgründe für die Überlegenheit einer demokratischen gegenüber einer diktatorischen Gesellschaftsform, nämlich der Vorsprung der kollektiven Weisheit von Millionen selbst vor einem genialen Einzelnen, bei einer Internet-Enzyklopädie wie 'Wikipedia' realisiert werden könnte.

Übersehen wird dabei aber, daß einflußreiche und finanzmächtige Lobby-Organisationen den Rückstand an Personal, den sie gegenüber einem Millionenheer an Internet-NutzerInnen haben, durch technische Mittel ohne weiteres wettmachen können. Nun ist zwar mittlerweile aufgefallen, daß Fans der Atomenergie mehrfach auf entsprechenden Seiten von 'Wikipedia' kritische Beiträge gelöscht haben und über die IP-Adresse des dabei verwendeten Computers deren Arbeitsplatz bei einem Atomkraftwerks-Betreiber publik wurde. Doch auch nach der Veröffentlichung solcher Fälle ist die Einseitigkeit der Darstellungen zum Thema "Kernenergie" bei 'Wikipedia' frappierend.

Dabei ist es vermutlich gar nicht im Sinne der Atom-Lobby, daß sich eine Schar von hyperaktiven Fans der Atomenergie so auffällig durchsetzt. Aus einem naheliegenden strategischen Interesse wäre es eher zu erwarten, daß sich solche Lobby-Gruppen noch einige Zeit - vielleicht wenige Jahre - zurückhalten, bis ein Label wie 'Wikipedia' eine ähnliche Marktdurchdringung wie Coca-Cola, Google oder Microsoft erlangt hat. Denn ist erst einmal eine Art Monopolstellung und das damit verknüpfte Vertrauen der VerbraucherInnen erreicht, kann diese kaum mehr rückgängig zu machenden Stellung genutzt werden, um eine mit der heutigen Situation unvergleichliche Propagandamacht zu installieren. Die "Kernenergie"-Seiten von 'Wikipedia' geben hiervon nur einen schwachen Vorgeschmack.

Frappierend ist beispielsweise auch der Inhalt des deutschen 'Wikipedia'-Beitrags zum Ersten Weltkrieg. Er ist geprägt von einem längst überwunden geglaubten idealistischen Geschichtsverständnis, das Krieg als Resultat politischer Spannungen oder gar Ressentiments zu erklären versucht. Die realen wirtschaftlichen Antriebs-Kräfte und deren historisch nachweisbare Erscheinungsformen in den Jahren vor dem Auslösen des Ersten Weltkriegs bleiben nahezu völlig ausgeblendet. Namen wie Stinnes, Krupp, Kirdorf oder Hugenberg fehlen völlig. Selbst die Microsoft-Enzyclopädie 'Encarta' bietet in dieser Hinsicht mehr historisches Hintergrundwissen.

Selbst bei einem Millionenheer von NutzerInnen werden immer nur bestenfalls einige tausend Interessierte an einem Thema wie beispielsweise der Atomenergie an den Seiten von 'Wikipedia' arbeiten und diese fortentwickeln. Für die Atom-Lobby ist es daher unschwer möglich einer gut ausgebildten Gruppe von etwa einem dutzend Personen tausende von Computern zur Verfügung zu stellen, an deren IP-Adresse dann keineswegs deren Auftraggeber abgelesen werden kann. So einfach kann bei entsprechenden finanziellen Mitteln eine Internet-Enzyklopädie wie 'Wikipedia' manipuliert werden.

Bei Internet-Abstimmungen zu bestimmten Themen, die nach und nach die - immerhin einigermaßen wissenschaftlich abgesicherten - Umfragen von Meinungsforschungs-Instituten zu verdrängen drohen, können gleich zweierlei Methoden der Manipulation eingesetzt werden. Beide Methoden sind bei entsprechendem finanziellen Hintergrund ohne ein nennenswertes Risiko, entdeckt zu werden, durchführbar. Zum einen ist es auch hier möglich, daß einzelne Personen durch technische Tricks mehrfach abstimmen.

Es ist mittlerweile auch breiteren Kreisen bekannt, daß Einzelne aus der Anti-Atom-Bewegung sich damit brüsteten, bei online-Abstimmungen die relativ einfachen technischen Hürden, mit denen eine Mehrfach-Stimmabgabe von einem bestimmten Computer aus ausgeschlossen werden soll, geknackt zu haben und so mehrere tausend mal in Bruchteilen von Sekunden "zur Stimmabgabe schritten". Dies ist der Gegenseite sicherlich nicht entgangen.

Hinzu kommt die Möglichkeit - analog der Manipulations-Möglichkeit an Wahl-Computern - das zunächst digital gespeicherte Ergebnis einer Internet-Abstimmung zu verfälschen. Dies kann mit oder ohne Wissen des Betreibers der Plattform geschehen, auf der zur Abstimmung aufgerufen wurde. Um eine solche Manipulation durchzuführen, ist nur ein sehr kleiner Kreis von Eingeweihten nötig - und entsprechend gering ist das Risiko, entdeckt zu werden.

Wenn dennoch nach wie vor die meisten Internet-Abstimmungen zum Thema Atomenergie für die Anti-Atom-Bewegung positiv ausgehen, kann dies nur einen Grund haben. Die Atom-Lobby wartet ab, bis diese Art der Umfragen einen Grad der Beliebtheit erreicht haben, daß deren Ergebnisse für einen inszenierten Stimmungsumschwung genutzt werden können. Und ein Teil der Anti-Atom-Bewegung weiß nichts besseres, als mit großem Enthusiasmus in den eigenen Reihen für die Teilnahme an immer neuen Umfragen über den "Atomausstieg" zu mobilisieren und so die Begeisterung für diesen Unfug zu steigern.

Ist jedoch der Zeitpunkt einer gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz solcher Internet-Abstimmungen und deren Dominanz über herkömmliche Umfragen erreicht, lohnt es sich für die Atom-Lobby, das Katz-und-Maus-Spiel zu beenden und mit allen denkbaren Manipulations-Instrumenten zuzuschlagen. Der Schaden, den ein solcher durch sträfliche Unbedarftheit begünstigte Meinungsumschwung zugunsten der Atom-Lobby anrichten kann, ist unermeßlich. Und dann ist es auch zu spät, wenn jene, die selbst immer wieder zur Beteiligung an solchen Internet-Abstimmungen aufgerufen haben, plötzlich argumentieren wollen, die Ergebnisse seien nun doch unglaubwürdig.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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