Auch in Schleswig-Holstein sorgt mittlerweile ein interner Aufruf der NPD für Wirbel. Die Neo-Nazis wollen sich als InterviewerInnen an der Volkszählung im Mai engagieren und dabei "mentale Befindlichkeiten" erforschen. Die Kieler "S"PD-Land- tagsfraktion stellt sich dumm und fragt in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung nach Vorkehrungen, die "das Land gegen solche Versuche trifft." Dabei ist seit Wochen bekannt, daß es hierfür keine rechtliche Handhabe gibt.
Nicht nur in Sachsen und Schleswig-Holstein, sondern auch in Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen sind inzwischen die NPD-Aufrufe publik geworden. Ab Mai werden bundesweit rund 80.000 ehrenamtliche InterviewerInnen bei den für die Volkszählung ausgewählten Haushalten vorsprechen, um bis Ende Juli die Befragung anhand eines voraussichtlich 23-seitigen Fragebogens durchzuführen. Allein in Berlin werden für den "Zensus 2011" InterviewerInnen für 126.000 "Auskunftspflichtige" gesucht, die nach einem speziellen Verfahren repräsentativ ausgewählt wurden. Die Beantwortung der Fragen soll mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro erzwungen werden. Doch es gibt keine rechtliche Handhabe, Neo-Nazis vom ehrenamtlichen Job als "Zensus-2011"-InterviewerInnen auszuschließen.
Städte und Kommunen suchen derzeit händeringend nach Freiwilligen, die den Job als ehrenamtliche "Erhebungsbeauftragte" - so die amtliche Bezeichnung der InterviewerInnen - übernehmen wollen. Und nun sorgen die Pläne der rechtsextremen NPD für Aufsehen, die offenkundig Mitglieder und SympathisantInnen mobilisiert, sich als "Erhebungsbeauftragte" bei der Volkszählung zu melden. Offenbar versuchen die Neo-Nazis so, den "Zensus 2011" für eigene Zwecke auszunutzen, an für ihre Parteiwerbung interessante Daten zu gelangen und zugleich Linke und Antifa auskundschaften zu können. So heißt es etwa in einem im Bundesland Sachsen verbreiteten NPD-Aufruf, besonders interessant sei ein bestimmter Stadtteil Dresdens, der als Hochburg der linksalternativen Szene und Antifa gilt. Die NPD in Mecklenburg-Vorpommern etwa sieht in einer ehrenamtlichen Beteiligung am "Zensus 2011" zudem die Chance, auf diese Weise "illegale Ausländer" aufzuspüren. Als Vorbild dient vermutlich das Vorgehen der "Hamburger Liste für Ausländerstop" bei der gescheiterten Volkszählung im Jahr 1987.
Marc Langentepe von der Lübecker Stadtverwaltung versucht abzuwiegeln: "Wir wissen von der Problematik und werden die Erhebungsbeauftragten überprüfen." Doch sicherlich weiß auch er, daß es dafür keine Handhabe gibt, da selbst ein Neo-Nazi nicht so dumm sein dürfte, seine wirklichen Absichten zu offenbaren. Völlig wirkungslos ist auch eine immer wieder in diesem Zusammenhang zitierte Passage aus dem Bundesstatistikgesetz, wonach von den InterviewerInnen "Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit" verlangt werde. Denn jedem muß klar sein, daß sich Neo-Nazis im Rathaus nicht mit dem Hinweis vorstellen werde, die Verschwiegenheitspflicht nicht einhalten zu wollen.
Thomas Giebeler, Sprecher des Kieler Innenministeriums meinte nun, es könnten zumindest "rechtliche Vorkehrungen" getroffen werden, um FunktionärInnen der rechten Partei von der Bewerbung zur "Zensus-2011"-Befragung auszuschließen. Doch neue Vorkehrungen können nicht geschaffen werden, ohne den Termin des "Zensus 2011" aufzugeben - und derzeit deutet nichts darauf hin, daß die "schwarz-gelbe" Bundesregierung das Vorhaben aufzuschieben gedenkt. Und die bestehenden Vorkehrungen greifen, solange Neo-Nazis ihre Absichten nicht zu erkennen geben, allenfalls im Falle von Vorstrafen.
Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig erklärte am 11. Januar, es sei "höchst bedenklich", wenn sich eine im Landtag vertretene Partei "offen dazu bekennt, politische Gegner im Zensusverfahren ausschnüffeln zu wollen" und dazu aufrufe, gesetzliche Verschwiegenheitspflichten zu unterlaufen. Doch Konsequenzen kann oder will er keine ziehen. Statt dessen äußerte er den wohlfeilen Rat, die Behörden sollten "auf bekannte und zuverlässige Verwaltungshelfer zurückzugreifen". Doch diese dürften - selbst bei einer Zwangsverpflichtung - bei weiten nicht ausreichen, um die für den "Zensus 2011" benötigte Zahl an InterviewerInnen zu stellen.
Und Sachsens "schwarzer" Innenminister Markus Ulbig machte sich komplett lächerlich, als er seine Absicht kundtat, die NPD generell von einer Mitarbeit auszuschließen. Zwar ist ihm nach eigener Aussage klar, daß die Neo-Nazis "gegen das gesetzlich fixierte Verwendungs- und Verwertungsverbot verstoßen" werden, doch zugleich müßte ihm auch klar sein, daß niemand gezwungen werden kann, seine Partei-Mitgliedschaft zu offenbaren. Und so verweist die NPD bereits frohgemut auf die "juristische Grauzone" hin, in der sich ein Ausschlußverfahren bewegen würde.
Hier noch ein Hinweis auf zwei kritische Info-Seiten:
www.vobo11.de
http://zensus11.de
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Datenspeicher Küchentisch
"Zensus 2011" wenig durchdacht (21.01.11)
Internationale Liga für Menschenrechte
unterstützt Volkszählungs-Boykott (8.01.11)
Volkszählung "Zensus 2011"
Die NPD will helfen (6.01.11)
Volkszählungs-GegnerInnen
legen Verfassungsbeschwerde ein (16.07.10)
Daten-Krake ELENA eingefroren
Moratorium für elektronischen Einkommensnachweis (6.07.10)
google und Zensur
Deutschland weit vorne (21.04.10)
Internet-Sperren und Cecilia Malmström
Unfähig zur Diskussion (15.04.10)
Internet-Zensur nun aus Brüssel?
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Ignoranz gegenüber Sachargumenten (29.03.10)
Vorwurf gegen Postbank
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