Moratorium für elektronischen Einkommensnachweis
Der "gelbe" Bundeswirtschafts- minister Rainer Brüderle gab in einem Interview mit dem 'Handelsblatt' bekannt, daß er dem Druck von DatenschützerInnen und besorgten BürgerInnen nachgeben will und die Einführung des elektronischen Einkommensnachweises (ELENA) auf Eis zu legen gedenkt. Das Wirtschaftsministerium - noch unter seinem "schwarzen" Vorgänger Michael Glos - hatte zusammen mit dem Spitzenverband der deutschen Krankenkassen die zentrale Sammlung von Datensätzen in Auftrag gegeben. Hauptgrund für das temporäre Nachgeben dürften allerdings die immensen Kosten von ELENA sein.
Vor dem Hintergrund der Verschuldung der öffentlichen Haushalte mit über 1.700 Milliarden Euro und der Suche von Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Möglichkeiten, die staatlichen Ausgaben zu senken, soll nun ELENA eingefroren und grundlegend in Frage gestellt werden, so Brüderle im 'Handelsblatt'. Zu klären seien die genauen Kosten und vor allem der Nutzen des Projekts. Es sei "immer noch nicht klar, ob bei Teilen des Mittelstands tatsächlich eine Entlastung stattfindet," meinte Brüderle. Er hatte bereits vor Monaten angekündigt, daß der Mittelstand von ELENA verschont werden solle. Nach dem Bericht des 'Handelsblatts' soll sich eine Runde von Staatssekretären getroffen haben, die eine "Bestandsaufnahme" des umstrittenen Projektes der Massenspeicherung von ArbeitnehmerInnen-Daten vornehmen soll.
Vergeblich hatte bereits zuvor die "gelbe" Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bedenken aus datenschutzrechtlichen Gründen gegen ELENA geäußert. Entgegen ihrem Image als Datenschützerin hatte sie sich jedoch wenig in dieser Sache engagiert. Zudem hatte sich "Arbeits"-Ministerin Ursula von der Leyen, die ebenfalls für ELENA zuständig ist, bislang gegen Änderungswünsche von DatenschützerInnen gesperrt.
Den Druck auf Brüderle dürfte auch ein Gutachten des Normenkontrollrats zu ELENA vom Dezember 2007 verstärkt haben. Laut diesem Gutachten kostet die Einrichtung und Programmierung der zentralen Datensammelstelle über 30 Millionen Euro. Nochmals dieselbe Summe müsse die Regierung an die datenabrufende Stelle, die Bundesagentur für Arbeit, zahlen, deren Software ELENA-tauglich gemacht werden müßte. Diese Summe könnte eingespart werden, da bislang nur die zentrale Datensammelstelle in Betrieb gegangen ist. Hier laufen die von den Unternehmen seit dem 1. Januar dieses Jahres zu meldenden Lohn- und Gehalts-Daten, Arbeitszeiten und Sozialversicherungsabgaben ein und werden gesammelt, bis die elektronische Datenabfrage in Betrieb gehen kann. Im Falle von Kündigungen oder langen Krankheiten werden zudem Daten zu Fehlzeiten gespeichert. 35 Millionen Datensätze lagen bereits im großen Magen von ELENA. Unter anderem sollte mit ELENA in Zukunft die Ausstellung elektronischer Arbeitsbescheinigungen möglich werden. Diese sind für Anträge auf bestimmte Sozialleistungen wie Arbeitslosen-, Wohn- oder Elterngeld erforderlich und werden bislang auf Papier ausgestellt.
Für die deutsche Wirtschaft versprach ELENA nach den Berechnungen des Normenkontrollrates eine Einsparung von 81 Millionen Euro. Die Beschäftigten müßten dagegen in Zukunft die für den zwangsweisen Einstieg bei ELENA eine qualifizierte elektronische Signatur kaufen. Unternehmen hätten die Möglichkeit, ihre Daten mit dem ELSTER-Zertifikat der Finanzämter ohne zusätzliche Kosten zu melden. Dies ergäbe laut Gutachten eine Einsparung von 69,3 Millionen Euro. Weitere 6,1 Millionen Euro sollten durch entfallende Software-Updates gespart werden, außerdem 5,5 Millionen durch eine "Software-Vereinfachung".
Die Angaben des Normenkontrollrates wurden jedoch von IT-Expertinnen in Zweifel gezogen. Kalkuliert war, daß alle Beschäftigten jährlich 3,30 Euro für die nötige elektronische Signatur bezahlen sollten. Derzeit kostet eine derartige Signatur jedoch rund 20 Euro im Jahr. Die Absenkung des Preises wurde mit der Hoffnung begründet, daß der "elektronische Personalausweis" und die elektronische Gesundheitskarte flächendeckend Verbreitung fänden. Beide Kartenprojekte eignen sich zur Speicherung der Signatur.
Während nun die Kosten das Aus für ELENA näher rücken lassen, wurden die Bedenken gegen die zentralisierte Sammlung einer Vielzahl persönlicher Daten von der Bundesregierung, ob "rot-grün", "schwarz-rot" oder "schwarz-gelb", bislang kaum zur Kenntnis genommen. Denn geplant war die schleichende Einführung einer zentralen Daten-Sammelstelle, in der immer mehr über alle BürgerInnen gespeichert werden sollte. Vorgesehen war in einer ersten Stufe nur die Erfassung von sechs Bescheinigungen des Sozialrechts. Geplant war aber ab 2015 der Zugriff der Kraken-Arme von ELENA auf sämtliche der über 50 amtlichen Bescheinigungen. Ein Auslesen diese zentrale Datei hätte dann Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand, Krankheiten oder auch die Teilnahme an Streiks jeder einzelnen erfaßten Person erlaubt.
In der Zukunft wäre der Staat mit ELENA sogar in der Lage, sich jederzeit Persönlichkeitsprofile und Bewegungsmuster zu beschaffen. Auch bei der Einführung des elektronischen Überwachungssystems für die Autobahn-Maut hatte es zuerst geheißen, diese werde nicht zu anderen Zwecken verwendet. Doch mit dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung lassen sich zuvor zugesicherte Einschränkungen allzu leicht beiseite räumen.
Eine Entschlüsselung der mit ELENA gespeicherten Daten - so die Bundesregierung - werde nur dann möglich sein, wenn jemand dies mit seiner persönlichen Signatur erlaubt. Diese Darstellung nennt der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert "schlicht unwahr". Das Verfahren ermöglicht technisch den zentralen Zugriff auf die Daten ohne die Kenntnis der Betroffenen. Bereits im Jahr 2007 hatte die Gesellschaft für Informatik vor Datenmißbrauch gewarnt, weil die Entschlüsselung der Daten mit einem hinterlegten Masterkey (einer Art elekronischem Generalschlüssel) leicht möglich sei. Bereits seit 2003 kritisieren die Datenschutzbeauftragten der Länder das Konzept von ELENA, das jedoch in seinen Grundstrukturen unverändert blieb.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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