20.000 gegen Überwachungswahn
Unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn!" haben am gestrigen Samstag in Berlin 20.000 (nach Polizeiangaben: 10.000) Menschen gegen die zunehmende Datenschnüffel-Praxis von Staat und Wirtschaft demonstriert. Insbesondere gegen die Einführung von Internet-Sperren unter dem Vorwand der Pornographie-Bekämpfung und gegen Vorrats- datenspeichung richtete sich der Protest.
Ein Teil der DemonstrantInnen versammelte sich gegen 13 Uhr auf dem Platz vor dem Roten Rathaus und setzte sich um 14:30 Uhr in Bewegung, um sich gegen 16 Uhr mit einem weiteren Demozug des 'AK Vorratsdatenspeicherung' gemeinsam im Sternmarsch am Potsdamer Platz zu verbinden. 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und 22 Jahr nach dem Volkszählungsboykott von 1987 sieht heute eine zunehmende Zahl von Menschen die Gefahr eines schleichenden Abbaus der Grundrechte. Zu der Demonstration hatten Bürgerinitiativen, die 'Aktion Freiheit statt Angst e.V.', der 'Computer Chaos Club' (CCC), Gewerkschaften, Berufsverbände und Parteien aufgerufen.
Auffallend war die große Zahl junger TeilnehmerInnen. Diese erteilten einer Generation, die den Volkszählungsboykott von 1987 als antiquiert und Ausdruck einer damals herrschenden Hysterie beiseite schieben wollte, eine Absage. Deutlich wird hierbei, daß die Tradition eines staatskritischen Verständnisses von Datenschutz, die von einer Partei wie den "Grünen" aufgegeben wurde, wiederbelebt werden konnte. Thematisiert wurde auf der Demo nicht allein Datenschutz im engeren Sinne, sondern auch der Trend in der EU zur Aufrüstung der Innenpolitik mit technischen Überwachungsinstrumentarien, zum Verschmelzen von Polizeien, Geheimdiensten und Militär und zur militärischen Bekämpfung und massenhaften Erfassung von Flüchtlingen. "Die Sicherheitsstrategie der EU richtet sich in erster Linie eben nicht gegen Internet-Nutzer, sondern gegen Andersdenkende und gegen Andersaussehende", erläuterte das Veranstalterteam der 'Aktion Freiheit statt Angst e.V.'.
Um darüber hinaus für kulturelle Freiräume zu kämpfen, unterstützen die VeranstalterInnen explizit das Berliner Megaspree-Bündnis und umgekehrt: "Kulturelle Freiräume sind die Geburtsstätten des kritischen Denkens, des Nachdenkens über Gesellschaft und Politik", sagte ein Sprecher auf der Demo.
Hier ein Überblick über die auf der Demo vorgebrachten Forderungen:
1. Überwachung abbauen
- Abschaffen der Vorratsdatenspeicherung
- Abschaffung der flächendeckenden Erhebung biometrischer Daten sowie von RFID-Ausweisdokumenten
- Schutz vor Bespitzelung am Arbeitsplatz durch ein ArbeitnehmerInnen-Datenschutzgesetz
- Berücksichtigung des Datenschutzes für BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen bereits in der Konzeptionsphase aller eGovernment-Projekte
- Keine einheitliche SchülerInnen-Nummer ("Berliner Schülerdatei")
- Keine europaweite Vereinheitlichung staatlicher Informationssammlung ("Stockholmer Programm")
- Kein Informationsaustausch mit Staaten ohne Grundrechtsschutz
- Abbau der Videoüberwachung und Verbot von Verhaltenserkennungssystemen
- Keine pauschale Registrierung von Flug- und Schiffsreisen ("PNR-Daten")
- Keine geheime Durchsuchung von Privat-Computern, weder online noch offline
- Keine Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der geplanten Form
2. Evaluierung der bestehenden Überwachungsbefugnisse
Alle bestehenden Überwachungsbefugnisse müssen in Hinblick auf ihre Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen von einer unabhängigen Instanz geprüft werden.
3. Moratorium für neue Überwachungsbefugnisse
Sofortiger Stop aller neuen Gesetzesvorhaben, die mit weiteren Grundrechtseingriffen verbunden sind
4. Gewährleistung der Meinungsfreiheit und des freien Meinungs- und Informationsaustauschs über das Internet
- Keine Beschränkung des Internetzugangs durch staatliche Stellen oder Internet-Anbieter ("Sperrlisten") und keine Sperrung von Internetanschlüssen
- Verbot der Installation von Filtern in die Infrastruktur des Internets
- Entfernung von Internet-Inhalten nur auf Anordnung eines Richters
- Einführung eines uneingeschränkten Zitier-Rechts für Multimedia-Inhalte, das heute unverzichtbar für die öffentliche Debatte ist
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel
'aspekte'-Sendung mit Kritik an
Internet-Sperren-Gesetz
Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem äußert
schwerwiegende Bedenken (1.08.2009)
Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
Anhörung im Bundestag (4.06.09)
Vorläufige Bilanz des Überwachungs-Skandals
bei der Bahn / Keine Beweise gegen Mehdorn (14.05.2009)
Gegen politische Zensur des Internets
Online-Petition gegen Internetsperre
am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)
Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.2009)
Aktionismus gegen Kinderpornographie
zielt auf Zensur des Internets
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