14.05.2009

Vorläufige Bilanz
des Überwachungs-Skandals
bei der Bahn

Keine Beweise gegen Mehdorn

190 Seiten umfaßt der nun vorliegende - vorläufige - Ermittlungs-Bericht zum Überwachungs-Skandal bei der Bahn. Darin werden einige Details aufgedeckt, daß und wie eine Art Bahn-Geheimdienst angeblich unkontrolliert die MitarbeiterInnen bespitzelte. Außerdem kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in einem weiteren Bericht zum Ergebnis, daß das heimliche Löschen einer eMail der Gewerkschaft GDL an bei ihr organisierte BahnmitarbeiterInnen unter anderem den Tatbestand der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses sowie einen Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit bedeutet habe und entsprechend geahndet werden müsse.

Es sei "seit Jahren wiederholt und breitflächig" zu Verstößen gegen rechtliche und betriebliche Regeln gekommen, bilanzierte Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller. Einzelne Vorkommnisse waren offensichtlich "strafrechtlich relevant". Es gebe aber keine Beweise für "individuelles Fehlverhalten" von Mitglieder des Bahn-Vorstandes oder gar von Hartmut Mehdorn.1

Dennoch traten nun - vermutlich auf Druck des neuen Bahn-Chefs Rüdiger Grube2 - einzelne Mitglieder des Bahn-Vorstandes zurück: Margret Suckale, Norbert Bensel, Otto Wiesheu und Norbert Hansen. Diese Rücktritte und die mit der Vorlage des Untersuchungsberichts verbundene Transparenz-Show sollen offenbar dazu dienen, einen Schlußstrich unter die Affaire zu ziehen und weiteren Ermittlungen vorbeugen.

Der bahn-interne Geheimdienst hatte offenbar weitgehende Vollmachten. Unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung wurde reihenweise gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen wie nun auch im 'spiegel', in der 'Zeit' und der 'Süddeutschen Zeitung' berichtet wird. Mit Hilfe mehrerer Detektivbüros seien illegal Daten gesammelt worden: Kontobewegungen, Informationen aus Steuererklärungen oder KfZ-Halterdaten im Umfeld von Bahn-MitarbeiterInnen. Auch ihre Arbeitsplatz-Computer und ihr eMail-Verkehr seien systematisch überwacht worden. Fast 800 Bahn-GeheimdienstlerInnen hatten demnach Zugriffsrechte auf alle 60.000 Computer im Konzern. Sie konnten - nach dem mittlerweile vorliegenden Stand der Ermittlungen - Dateien und Ordner kopieren, beim Surfen mitlesen oder Informationen aus der Ferne löschen, ohne daß die betroffenen NutzerInnen dies erfuhren. Bis Mitte 2008 sei zudem die gesamte elektronische Post nach über 500 Suchbegriffen durchforstet worden.

Nach einem am 23. April in der 'Zeit' erschienenen Artikel von Günter Wallraff haben zumindest einzelne Bahn-MitarbeiterInnen bemerkt, daß sie bespitzelt wurden. So schildert eine Mitarbeiterin der Bahn, daß es an ihrem Computer-Arbeitsplatz zugegangen sei wie in einer Science-Fiction-Story: Der Mauszeiger wanderte auf dem Bildschirm ganz ohne ihr Zutun umher. "Ich hatte die Chance, den Eindringling auf meinem Rechner beim Löschen eines Dokuments zu beobachten", bezeugte sie schriftlich. Die Computer-Spezialistin habe auf ihrem Rechner schließlich einige Programme zur Ausspähung von Paßwörtern gefunden, den Eingang eigenartiger eMails bemerkt und Hinweise auf Manipulationen an zahlreichen eMail-Dokumenten gefunden. Innerhalb eines halben Jahres seien neun wichtige Dokumente von ihrem Rechner verschwunden. Sie habe sich an ihren Vorgesetzten gewendet und gefordert, daß ihr Computer von solchen Programmen gesäubert werde - vergeblich. Schließlich habe sie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Diese stellte jedoch dem Artikel zufolge nach einer gewissen Zeit die Ermittlungen ergebnislos ein. Bereits im Jahr 2006 hatten sich Bahn-MitarbeiterInnen einer anderen Abteilung der Konzernzentrale im Vertrauen an den Betriebsrat gewandt und von Ausspähungen berichtetet. Dieser kannte damals schon den Fall und ging der Sache nach. Ebenfalls ohne Ergebnis.

Nach und nach stellte sich laut Wallraff heraus, daß es sich nicht um Einzelfälle handelte. Der bahn-interne Geheimdienst habe in mehreren Aktionen mit Codenamen wie "Aktion Eichhörnchen" und "Operation Babylon" zehntausende Bahn-MitarbeiterInnen ausgespäht. In einer Art Schleppnetz-Fahndung sei deren gesamter eMail-Verkehr durchforstet worden. Nach der Aussage eines früheren Bahnmitarbeiters wurden gar kompromittierende Porno-Bilder und Nazi-Materialien auf die Dienstcomputer von Bahn-MitarbeiterInnen aufgespielt, um sie erst unter Druck und dann vor die Tür setzen zu können. Betroffen waren demnach - wohl nicht zufällig - auch Angehörige des gehobenen Bahn-Managements, die als GegnerInnen der Bahn-Privatisierung galten.

"Es ist über Jahre großer Mist geschehen", räumt Müller nun ein. Verantwortlich für die Bespitzelung werden allerdings lediglich "Verantwortliche" aus der zweiten und dritten Hierarchie-Ebene der Bahn gemacht, darunter der Anti-Korruptionsbeauftragte Wolfgang Schaupensteiner, der Leiter der Revisions-Abteilung Josef Bähr und der Leiter der Sicherheits-Abteilung Jens Puls. Angeblich prüft die Konzern-Spitze zur Zeit arbeitsrechtliche Schritte bei insgesamt zwei Dutzend Bahn-Beschäftigten. Die von den Bespitzelungen Betroffenen würden nunmehr über die "Datenverstöße" informiert.

Die Untersuchungs-Kommission gibt vor, in den Unterlagen der Bahn wenig Beweismaterial gefunden zu haben: "Die vorgefundenen Akten und Dokumente haben sich in einem beklagenswerten Zustand befunden." Nahezu keiner der von Überwachungsmaßnahmen betroffenen Mitarbeiter sei bis heute darüber informiert worden. Der Bahn-Vorstand inklusive Mehdorn wird dennoch allenfalls sachte kritisiert: "Nachweise und Belege für die nötige Tiefe und Intensität der Aufklärung innerhalb der DB AG seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe im Sommer 2008 fehlen weitestgehend." Im Klartext: Der Vorstand wollte nichts wissen oder nicht aufklären.

Die vier aus der Vorstands-Ebene, die gehen, fallen weich. Da ihnen angeblich keine Pflichtverletzung und keine Mitwisserschaft an der illegalen Bespitzelung nachgewiesen werden kann, erhalten sie ihre Gehälter bis zum Ablauf ihres Vertrages und außerdem die "vertragsgemäßen Abfindungen". Schadenersatzforderungen schließt der Aufsichtsrat aus, auch Regressansprüche gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn. Die scheidenden Vorstände hätten "hervorragende Arbeit geleistet", betonte Aufsichtsrats-Chef Werner Müller. In der zweiten Hierarchie-Ebene könnte es dagegen für manche eng werden. Viele strafrechtliche Vergehen sind zwar bereits verjährt, doch in manchen Fällen könnte die Staatsanwaltschaft noch TäterInnen vor Gericht bringen. Grube kündigte an, daß die Prüfberichte an die Ermittlungsbehörden weiter gereicht werden.

Ist also zu erwarten, daß der Bespitzelung-Skandal nun lückenlos aufgeklärt wird?

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Bahn-Chef Mehdorn von Merkel zurückgetreten
      Herber Verlust für Flugzeug- und Automobil-Lobby (30.03.09)

2 Siehe auch unsere Artikel:

      Neuer Bahn-Terminator: Rüdiger Grube
      Ein Manager der Automobil- und Flugzeug-Branche (2.04.09)

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Mehdorn wackelt
      Läuft die Uhr des Bahn-Terminators ab? (29.03.09)

      Bahn-Datenaffäre: "Brandbeschleuniger"
      Mehdorn sorgt mit Briefwechsel für Eskalation (11.03.09)

      Bahn-Privatisierung abgesetzt
      Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)

      Bahn vergrault Fahrgäste in Baden-Württemberg
      Kahlschlag beim Service (12.02.09)

      Mehdorn vergrault Fahrgäste
      Bahn im Verfolgungswahn (3.01.09)

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