10.05.2011

Atom-Ausstieg teuer?
Im Gegenteil: Ersparnis von jährlich
mehr als 8 Milliarden Euro

Erneuerbare Energien: Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft, Biogas,... Um die finanzielle Bilanz einer Energie-Wende mit sofortigem Atom-Ausstieg abzuschätzen, gilt es auf der einen Seite die Kosten für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien als Minus mit den Einsparungen an Subventionen für die Atomenergie als Plus zu verrechnen. Nach der gestern veröffentlichten brutalstmöglichen Schätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) soll ein "übereilter" Umbau der Energieversorgung bis zum Jahr 2020 insgesamt 51 Milliarden Euro kosten.

Auf der Plus-Seite ließen sich hingegen bei einem sofortigen Atom-Ausstieg jährlich Subventionen von 14 Milliarden Euro einsparen. Dies ergibt in den neun Jahren bis 2020 eine Summe von 126 Milliarden Euro - und damit nach Abzug der vom BDI veranschlagten 51 Milliarden Euro unterm Strich ein Plus von satten 75 Milliarden Euro. Eine Energie-Wende mit sofortigen Atom-Ausstieg würde also für den Staatshaushalt eine Ersparnis von jährlich mehr als 8 Milliarden Euro bedeuten.

Wie in unserem Hintergrund-Artikel "Die Subventionierung der Atomenergie" ausführlich dargelegt, wurde die Atomenergie bis in die jüngste Vergangenheit mit jährlich mindestens 17 Milliarden Euro subventioniert. Ein Teil dieser Subventionierung wäre durch die im vergangenen Herbst von "Schwarz-Gelb" eingeführte Brennelemente-Steuer gekappt worden. Die Bundesregierung ging zwar nur von Einnahmen in Höhe von jährlich 2,3 Milliarden Euro aus - in die Gesamtsumme von 17 Milliarden Euro für die verschiedenen Formen der (zu weiten Teilen verdeckten) Subventionierung der Atomenergie war der Verzicht auf eine im Vergleich zu den anderen Energieträgern angemessene Besteuerung von Uran jedoch mit 3 Milliarden Euro pro Jahr eingegangen. Da bei einem sofortigen Atom-Ausstieg keine Steuern auf Uran mehr eingenommen werden können, muß dieser Betrag abgezogen werden, so daß eine Einsparung von jährlich 14 Milliarden an Atomenergie-Subventionen in die Rechnung eingeht.

Nun wird in den Mainstream-Medien immer wieder in Zweifel gezogen, daß ein sofortiger Atom-Ausstieg überhaupt möglich sei. Hierbei wird jedoch regelmäßig eine wichtige Information unterschlagen. Nach wie vor ist die Gesamtleistung des Kraftwerksparks in Deutschland weit höher als die jemals abgerufene Höchstlast. In Deutschland steht ein Kraftwerkspark mit einer installierten Leistung von insgesamt 155 Gigawatt zur Verfügung. Diese Zahl wird vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen veröffentlicht
(http://www.bdew.de/internet.nsf/id/DE_Energiedaten).
Diese Zahl wird auch auf der entsprechenden Seite bei Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Installierte_Leistung) für das Jahr 2009 genannt. Gehen wir hier jedoch vorsichtig von der ebenfalls auf der genannten Internet-Seite des BDEW im Abschnitt "10.3 Stromversorgung am Tag der Winterhöchstlast" genannten Zahl von 129 GW für die Netto-Kraftwerksleistung aus. Selbst bei Höchstlast wurden in den vergangenen Jahrzehnten nie mehr als 80 Gigawatt Leistung in Anspruch genommen - zuletzt am 3. Dezember 2007. Die Gesamtleistung der 17 derzeit noch nicht stillgelegten Reaktoren in 12 deutschen Atomkraftwerken beträgt 22 Gigawatt. Selbst wenn also konservativ eine Sicherheits-Reserve von 10 Gigawatt Leistung als nötig erachtet würde, könnten sämtliche deutschen Atomkraftwerke ohne Verlust an Versorgungs-Sicherheit sofort stillgelegt werden. Nach Abzug der 22 Gigawatt der deutschen Atomkraftwerke bleibt eine Gesamtleistung des deutschen Kraftwerksparks von 107 Gigawatt. Statt der bei äußerster Vorsicht veranschlagten 10 Gigawatt bliebe also immer noch eine Sicherheitsreserve von 27 Gigawatt.

Tatsächlich wäre eine Energie-Wende nicht wie vom Bundesverband der Deutschen Industrie als "übereiltes" Szenario dargestellt in neun Jahren, sondern sogar in acht Jahren bei einer sofortigen Stilllegung der Atomkraftwerke realisierbar. Selbst bei dem gebremsten Wachstum der erneuerbaren Energien, wie es in den vergangenen Jahren wegen der Behinderung durch behördliche Auflagen und wegen der weitaus höheren Subventionierung der Atomenergie zu beobachten war, könnte die Stromversorgung in Deutschland in acht Jahren zu 100 Prozent auf Ökostrom umgestellt werden. Für rund fünf Jahre müßte dabei ein höherer Einsatz der vorhandenen Kohle- und Gaskraftwerke in Kauf genommen werden.

Entgegen immer wieder in den Medien lancierter Propaganda der Energie-Konzerne stellt eine Vollversorgung des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien kein "Flächenproblem" dar. Allein die derzeitige landwirtschaftliche Stilllegungsfläche Deutschlands von rund 2 Millionen Hektar würde ausreichen, um ausschließlich mit Photovoltaik-Anlagen rund 900 TWh pro Jahr - also weit mehr als den derzeitigen Strombedarf von rund 600 TWh pro Jahr - zu decken.

Bis zum Jahr 2019 könnte bei den bisherigen Ausbauraten mit Windenergie eine Stromproduktion von rund 310 TWh pro Jahr erreicht werden. Mit Biomasse könnten im Jahr 2019 109 TWh und mit Photovoltaik 465 TWh erzielt werden. Die erneuerbaren Energien könnten den Strombedarf im Jahr 2019 also problemlos decken. Würden die bisherigen politischen Hindernisse aus dem Weg geräumt, könnte 100 Prozent Ökostrom sogar in weniger als 8 Jahren erreicht werden.

Bei dieser Hochrechnung ist der Ausbau der Wasserkraft - gerade in Baden-Württemberg liegt ein gewaltiges Potential an Wasserkraft kleiner Flüsse und Bäche bisher brach - noch gar nicht eingerechnet. Ein weiteres gewaltiges Potential ist ebenso wenig eingerechnet: Die technologischen Möglichkeiten der Effizienzsteigerung und Stromeinsparung. So ist es völlig unsinnig, eine hochwertige Energie wie Strom für die Wärmebereitstellung einzusetzen. Der Betrieb von Elektroherden, Waschmaschinen mit elektrischen Heizstäben oder gar Nachtstrom-"speicher"-Öfen hätte längst verboten werden müssen. Die Umstellungskosten für die Beseitigung dieses technologischen Irrsinns, der allein der Profitsteigerung der Strom-Konzerne diente, müßte von diesen zu 100 Prozent getragen werden. Allein mit der Vermeidung von Standby-Verlusten kann der Stromverbrauch um rund 18 TWh pro Jahr gesenkt werden.

Würden die vorsichtig veranschlagten Finanzmittel von rund 8 Milliarden Euro pro Jahr, die nach einem sofortigen Atom-Ausstieg frei würden, für eine Anschubfinanzierung von Energie-Effizienz-Technologie im Bereich der industriellen Produktion eingesetzt, könnte innerhalb weniger Jahre der heutige Strombedarf um die Hälfte reduziert werden. Um so schneller wäre somit eine Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom möglich.

Bei einem Energie-Szenario für das Jahr 2019 sei hier nur einmal vorsichtig eine Reduzierung des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland um 170 TWh auf 430 TWh angepeilt. Diese 430 TWh können bei sehr vorsichtiger Prognose im Jahr 2019 wie folgt bereitgestellt werden: Windenergie 260 TWh, Photovoltaik 80 TWh, Wasserkraft 50 TWh und Biomasse 40 TWh.

Da im dargestellten Szenario von den bisher zu beobachtenden Wachstumsraten ausgegangen wird, müssen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien lediglich die Kosten des EEG angesetzt werden. Von diesen Kosten sind die vermiedenen externen Kosten abzuziehen, die bei einer Stromerzeugung mit dem heutigen Energiemix pro TWh anfallen. Die Daten über die externen Kosten stammen vom Bundesumweltministerium. Dabei produzieren die heutigen Kraftwerke auf fossiler und atomarer Basis im Schnitt 548,5 Gramm CO2 pro kWh Strom. Das Bundesumweltministerium geht von 70 Euro pro Tonne CO2 aus. Damit ergeben sich externe Kosten von 4,07 Cent pro kWh Strom. Diese eingesparten externen Kosten werden den erneuerbaren Energien gutgeschrieben. Außerdem werden den erneuerbaren Energien die vermiedenen Erzeugungskosten des auf fossiler und atomarer Basis erzeugten Stroms gutgeschrieben. Ihre eigenen externen Kosten werden hinzugerechnet. Im Ergebnis kostet daher der beschriebene Ausbau der erneuerbare Energien über einen Zeitraum von 8 Jahren lediglich 12,3 Milliarden Euro.

Doch wie hier aufgezeigt wurde, kann selbst bei den vom BDI veranschlagten Horror-Kosten von 51 Milliarden Euro in neun Jahren unterm Strich eine positive Bilanz gezogen werden. Und eigentlich sollten statt der finanziellen Seite die positiven Auswirkungen eines Atom-Ausstiegs im Zentrum stehen: Die Verminderung der tödlichen Bedrohung durch das "Restrisiko", die Vermeidung von Krebs und Leukämie in der Umgebung der Atomkraftwerke, die Reduzierung des unverantwortlichen Uran-Abbaus zu Lasten indigener Völker und vieles andere mehr.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      RWE-Hauptversammlung
      Großmann unbeirrt auf Atom-Kurs (20.04.11)

      David gegen Goliath
      Titisee-Neustadt übernimmt Stromnetz (6.04.11)

      Erneuerbare Energien
      Auszeichnung für Planegg (27.01.11)

      Madagaskar
      Solarenergie für die Rettung der Wälder (18.01.11)

      Vattenfall
      Ein Fall von Greenwashing (6.01.11)

      Bürger-Energie Alpirsbach
      mit zweiter Photovoltaik-Anlage (19.12.10)

      Ökostrom-Anbieter EWS Schönau
      begrüßt 100.000sten Kunden (13.12.10)

      Nur heiße Luft in Cancún
      Keine konkreten Verpflichtungen (12.12.10)

      Gericht erlaubt Lügenpropaganda
      Vebraucherzentrale unterliegt Atom-Industrie (11.11.10)

      86 Prozent der Deutschen:
      Erneuerbare Energien sind wichtig
      Wieviel kostet Öko-Strom wirklich? (16.10.10)

      Photovoltaik statt Atomenergie
      Zwentendorf wird Forschungszentrum (11.10.10)

      Verbände fordern Energieeffizienz
      und zukunftsweisendes Energiekonzept (24.08.10)

      NRW: Pseudo-Grüne für Kohlekraftwerke
      Position der Linkspartei? (22.07.10)

      "Ein Witz"
      Greenpeace kritisiert CCS-Gesetzentwurf (14.07.10)

      Greenpeace deckt auf: Deutsche Kohle-Subvention
      mit jährlich 13 Milliarden Euro (4.06.10)

      Protestaktion bei Radrennen
      MIBRAG plant Braunkohlekraftwerk Profen (23.05.10)

      Umweltverbände warnen vor Hype um Elektro-Auto:
      "Potemkinsches Dorf der Elektromobilität" (29.04.10)

      Konkurrenz für die Großen Vier
      Kommunen drängen auf den Strom-Markt (14.04.10)

      Energie-Kommune Wildpoldsried im Allgäu
      Dreimal soviel Ökostrom wie Eigenverbrauch (8.04.10)

      Was ist eigentlich aus Mülheim
      als RWE-Vorzeigestadt geworden? (28.02.10)

      Der Kampf um das Strom-Netz hat begonnen
      EnBW lockt Bürgermeister mit Gänsebraten (23.10.09)

      Brandenburg: Linkspartei fällt um
      Platzeck darf weiter klimaschädliche Braunkohle verstromen
      (19.10.09)

      Zukunftsweisender Gerichtsentscheid gegen Strom-Konzerne
      BGH erzwingt Dezentralisierung und stärkt Erneuerbare Energien
      (29.09.09)

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Info-Serie Atomenergie

 

neuronales Netzwerk